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# taz.de -- Tot? Tut mir leid
> ÄÄÄH, MOMENT … Immer mehr Computer- und Videospiele stellen Gamer vor
> moralische Zwickmühlen und Dilemmata. Darf Spielen auch mal keinen Spaß
> machen?
VON DENIS GIESSLER
10, 9, 8 … Die Zeit wird knapp. Captain Walker steht vor drei US-Soldaten,
die ihn retten wollen. Doch das begreift er nicht. Dem Wahnsinn nahe
zweifelt Walker, was er tun soll. Sich ergeben, die eigenen Leute
erschießen oder sterben? Die Wahl muss der Spieler treffen. Und mit den
Konsequenzen umgehen.
Die drei Gangster Michael, Franklin und Trevor werden vom FBI gezwungen,
einen Terroristen auszuschalten. Zu diesem Zweck muss Trevor einen
mutmaßlichen Komplizen foltern, um das Aussehen des Täters in Erfahrung zu
bringen. Der Spieler wird hierbei gezwungen, sich zwischen verschiedenen
Foltervarianten zu entscheiden. Die Darstellung ist sehr detailliert, der
Spieler muss die Aktion jeweils steuern. Wie weit mag er oder sie gehen?
Diese Spielszenen aus „Spec Ops – The Line“ und „Grand Theft Auto V“ …
für eine Entwicklung, die in der Computer- und Videospielwelt in den
letzten Jahren vermehrt stattfindet: Viele Titel setzen auf die Darstellung
von kritischen Situationen, mit denen der Spieler immer wieder vor
schwierige Entscheidungen und Dilemmata gestellt wird. Die in „Spec Ops“
und „GTA V“ enthaltenen Szenen sollen den Entwicklern zufolge
moralisch-ethische Fragen beim Spieler aufwerfen. Aber sind Spiele dazu
überhaupt in der Lage? Und bewirken sie beim Betrachter überhaupt das, was
die Entwickler beabsichtigt haben?
Das Berliner Studio Yager entwickelte den Militärshooter „Spec Ops“ in
einem Zeitraum von fünf Jahren. Der Computerspielzeitschrift PC Games
zufolge kostete das Spiel zwischen 30 und 40 Millionen Euro und ist damit
die bisher teuerste deutsche Produktion. Game-Designer und
Lead-Level-Designer Jörg Friedrich hatte auf die kritisch-narrativen
Momente im Spiel maßgeblichen Einfluss. „Bei ‚Spec Ops‘ war unser Ziel, …
Schrecken des Krieges in all seinen Facetten zu zeigen, ohne aber die
Gewalt zu glorifizieren.“ Moralische Entscheidungen ziehen sich durch das
ganze Spiel.
„Spec Ops – The Line“ wurde beim Deutschen Entwicklerpreis 2012 mehrfach
ausgezeichnet. Von der Computerspielezeitschrift Gamestar erhielt das Spiel
85 von 100 Punkten – mit der Begründung, dass das Spiel dem Themenkomplex
Krieg weitaus kritischer gegenüberstehe als viele andere Produktionen. Ein
Verkaufserfolg war „Spec Ops“ trotzdem nicht.
## Spieler verschreckt
„Spiele sollen für die meisten in erster Linie Spaß machen und müssen in
ihrer Mechanik gut funktionieren, sonst verkaufen sie sich nicht gut“,
erklärt Entwickler Friedrich die Probleme: „Der Knackpunkt liegt darin, ein
unterhaltsames, motivierendes Gameplay mit einer kritischen, größeren
Botschaft, die keinen Spaß macht, erfolgreich verbunden werden muss.“ Bei
„Spec Ops“ sei dies eine Gratwanderung gewesen, die wohl nicht alle
überzeugt und potenzielle Spieler verschreckt habe. „Wir wollten, dass der
Spieler sich schlecht fühlt. Ein negatives Gefühl und Spielmotivation
können sich jedoch in die Quere kommen“, sagt Friedrich.
Dass Spiele immer Spaß machen müssen, stellt Thorsten Unger,
Geschäftsführer des Bundesverbands der Computerspielindustrie (Game), in
Frage: „Ich persönlich assoziiere mit Spielen immer eine große
Tiefenerfahrung, jedoch nur, weil ich das zulasse. Verstehe ich Spiele nur
als Unterhaltungsmedium, bieten sie auch nur das.“ Laut Unger hängt die
Zugänglichkeit für eine solche tiefere Erfahrung immer vom Spielertyp ab,
da es kein universelles Werteverständnis gebe. Entwickler können sich zwar
bemühen, eine kritische Nachricht zu vermitteln, letztlich komme es aber
auf den Spieler an, ob er sie annehme.
Doch der Druck auf die Hersteller, in ihren Spielen mehr zu vermitteln als
schnelles Ballern, wächst. Getrieben werden die großen Produzenten vom
unabhängigen Indie-Spiele-Markt. Der verändert Unger zufolge die aktuelle
Spieleszene: Indie-Produktionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ohne
einen Publisher produziert werden, der plötzlich den Geldhahn zudrehen
könnte. Die Entwickler hätten so mehr Zeit für die Entwicklung und müssten
Kreativität nicht hinter den Interessen des Publishers zurückstecken:
Indie-Titel seien deswegen häufig innovativer und kritischer als
Produktionen großer Publisher.
„The Last of Us“, ein erfolgreiches Spiel aus dem Jahr 2013, in dem sich
Überlebende in einem postapokalyptischen Szenario durchkämpfen müssen, sei
ein gutes Beispiel für eine große Produktion mit tiefgreifender Story und
moralischen Entscheidungen. Derartige Innovationen beeinflussten auch die
großen Spielehersteller, sagt Unger.
## In die Rolle schlüpfen
Einen maßgeblichen Anteil an der Vermittlung moralisch-ethischer
Botschaften in Spielen rechnet Christian Schiffer der Interaktivität zu.
Schiffer ist Herausgeber und Chefredakteur des feuilletonistischen
Game-Magazins WASD. Spiele können seines Erachtens die Empathiefähigkeit
von Menschen positiv beeinflussen.
„Das Gefühl, ein Flüchtling zu sein, tangiert mich in Dokumentationen und
Filmen nur passiv. In Spielen schlüpfe ich hingegen selbst in die Rolle des
Flüchtlings und erlebe das Schicksal persönlich.“ Durch eine intensive
Immersion, also das Eintauchen in die Perspektive des Spielavatars, sei
zudem das emotionale Moment viel stärker und die Problematik
nachvollziehbarer. Ein Beispiel hierfür ist das 2013 erschienene
Indie-Spiel „Papers, Please“, das den Kontrast zwischen entmenschlichter
Bürokratie und Flüchtlingen zeigt. Darin befindet sich der Spieler in der
Rolle des Zöllners genau an der Schnittstelle zwischen den beiden Gruppen.
„Papers, Please“ verkaufte sich trotz minimalistischer Grafik über
500.000-mal. Produziert wurde der Titel von nur einem Entwickler.
WASD-Chefredakteur Christian Schiffer ist davon überzeugt, dass Spiele
Diskurse auslösen können. Die Entwickler müssten den Umgang mit kritischen
Inhalten aber erst noch lernen. „Diese Interaktivität verlangt einfach
handwerkliches Geschick und Erfahrung“, sagt er. Fehlschläge seien dabei
unumgänglich. Filme wie „Apocalypse Now“ konnten auch nur entstehen und
ihre gewollte Wirkung entfalten, weil alle daran Beteiligten bereits
Erfahrungen in der Darstellung und Komposition gesammelt hatten.
Auf die eingangs erwähnten Szenen reagierten die Spieler unterschiedlich.
Ein Forennutzer bezeichnet „Spec Ops“ als notwendige Produktion. Wichtig
und richtig sei vor allem der Ansatz, dass es als Spiel keinen Spaß mache
und Krieg nicht glorifiziere. Die unter Spielern kontrovers diskutierte
Folterszene in „GTA V“ hatte auf den User „Mothman“ im Forum des Magazi…
PC Games eine andere Wirkung als auf einen Großteil der Spielerszene: „Ich
weiß nicht, ich empfinde bei solchen Szenen überhaupt nichts. Vielleicht
ist das auch ein gutes Zeichen, dass ich Spiele und andere Fiktionen nicht
so nahe an mich heranlasse.“
1 Oct 2014
## AUTOREN
DENIS GIESSLER
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