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# taz.de -- ZWISCHEN DEN RILLEN: Nüchtern, sanft, genau
> The Bill Dixon Orchestra: „Intents & Purposes“ (International Phonograph)
Wenn man sich nur einmal im Jahr ein Jazzalbum zulegt, dann darf es 2011
ruhig „Intents & Purposes“ von Bill Dixon sein. Nicht nur, weil dieses Werk
des afroamerikanischen Trompeters, das jahrzehntelang vergriffen war, seit
es 1967 von dem Plattenmulti RCA zuerst veröffentlicht wurde, nun in
neugemasterter Originalfassung wieder erhältlich ist. Bevor er vergangenes
Jahr im Alter von 84 Jahren starb, sah Bill Dixon das Vorhaben einer
originalgetreuen Wiederveröffentlichung von „Intents & Purposes“
ausdrücklich als Vermächtnis.
Dixons Musik auf dem Album hat Alleinstellungsmerkmale: Sie geht den
Bilderstürmern des amerikanischen Freejazz voraus und variiert gleichzeitig
deren zornige Aufbruchstimmung. Das in den späten Sechzigern im Freejazz
bevorzugte Energy Playing, hörbar etwa im Sound von Albert Ayler, ist bei
Dixon nur eine Ausdrucksform unter mehreren. Dixon lässt viele Pausen, und
diese schaffen im Dialog mit den energischen Momenten seines Spiels
fesselnde Spannung. Sein Trompetenton ist lyrisch und sanft, aber genau.
Das Spirituelle ist bei ihm oftmals durch das Nüchterne ersetzt.
Wenn der expressive Lärm des Freejazz auf die Eingeweide zielte, ist Dixons
Stil nachdenklicher, mehr nach innen gerichtet. Ebenso wichtig wie
Improvisation sind ihm Elemente der Komposition. Er verbrachte sehr viel
Zeit mit Phrasierungen und Resonanzen, erforschte Räume, die sich ihm durch
eine besondere Gabe der Klangvorstellung eröffneten. Es ging ihm weniger um
Noten, erinnert sich ein Schüler von Dixon, sondern mehr darum, welchen
Sound er benutzt und wohin er ihn platziert.
„Intents & Purposes“ ist die Geburt dieser komplexen künstlerischen Vision.
Vorher veröffentlichte Dixon lediglich eine Split-LP mit Archie Shepp.
Zunächst machte er sich einen Namen in der New Yorker Loftjazzszene.
Bekannter war er damals als Organisator. So veranstaltete er 1964 die
„October Revolution in Jazz“, eine Konzertserie mit Sun Ra und weiteren
Musikern, die dann in die Gründung des Kollektivs „Jazz Composers Guild“
mündete. All das war gegen die Konventionen des Bebop gerichtet und brachte
Freejazz auf eine größere Umlaufbahn.
Dixon war auch als Musiker stärker als andere Führungsfiguren bereit, die
Energien seiner Musiker miteinzubeziehen. Auf „Intents & Purposes“ fungiert
er nicht als Leader, er zeichnet zwar als Komponist verantwortlich, strebt
dabei aber immer nach der Einheit seines Ensembles. Die Musik lebt von
starken Kontrasten. Bassposaune, Klarinette, Cello und Bass bilden eine
düstere Klangkulisse, gegen die sich Dixons sorgfältige Trompetensoli immer
wieder erheben müssen. Teilweise duelliert sich Dixon auf dem Album auch
mit Overdubs seiner Trompete, in der Jazzszene damals ein ungeheurer
Vorgang. Für „Intents & Purposes“ wählte Dixon Kollegen aus, die damals
teils im Mainstream und teils an den Rändern des Jazz wirkten. Den
Coltrane-Bassisten Jimmy Garrison und den Posaunisten und Studiomusiker
Jimmy Cheatham zum Beispiel. An den Partituren hatte Bill Dixon über ein
Jahr gearbeitet. Die vier Stücke des Albums bauen aufeinander auf. Zwei
lange Suiten, das mit einem Tentett aufgenommene „Metamorphosis 1962–1966“
und „Voices“, gespielt von einem Quintett, bilden die Klammer, die zwei
kurze Stücke „Nightfall I“ und „Nightfall II“ sind episodisch
dazwischengesetzt. Die Musik erhält durch ihre rhythmischen und
harmonischen Schattierungen eine synästhetische Komponente.
Zum Zeitpunkt der Aufnahmen war Dixon bereits 42 Jahre alt, hatte eine
Ausbildung zum bildenden Künstler durchlaufen, malte, die Musikkarriere kam
später. Sein Gefühl für Klangräume, erklärte er einmal, sei durch die
Bibliothek seiner Eltern in Harlem geprägt. In seinem Elternhaus habe es
außer den vollen Regalen nur wenige weitere Möbel gegeben. JULIAN WEBER
17 Jun 2011
## AUTOREN
JULIAN WEBER
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