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# taz.de -- Die Wiederkehr der heiligen Krieger
> PROBEBÜHNE Ein junger Künstler arbeitet vor Ort, verschlossene Archive
> öffnen sich: Mit dem Humboldt-Lab und seinen Probebühnen bereitet man
> sich in Dahlem auf den Umzug ins Humboldt-Forum im Stadtschloss vor – und
> bringt frische Bewegung in die Sammlung
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Zwei Monate lang war Waseem Ahmed, ein junger Miniaturmaler aus Pakistan,
als Artist in Residence zu Gast im Museum für Asiatische Kunst in Dahlem.
Direkt neben dem Raum, in dem die Miniaturen der Moghul-Zeit ausgestellt
sind, schlug der Absolvent des National College of Arts in Lahore sein
Atelier auf und führte in Workshops in die tradierte Technik der höfischen
Kunst ein. Ahmed selbst gehört einer jüngeren Bewegung an, die seit Anfang
der neunziger Jahre den Stil der Miniaturen für Kommentare zur
unmittelbaren Gegenwart benutzt. Zum Ende seines Aufenthalts öffnete nun
eine Ausstellung mit seinen eigenen Arbeiten, die einen großen Bogen
zwischen Geschichte und Gegenwart schlagen, gleich neben den alten
Kunstschätzen.
Zunächst erkennt man die Entsprechungen zwischen den indischen Landschaften
aus vorhergehenden Jahrhunderten und Waseem Ahmeds Aneignungen in den
Farben, dem Hinterfangen der Figuren mit einem Nimbus oder im Stil, wie das
Laub gemalt ist. Wieder sitzt ein Gelehrter mit seinen Schülern unter einem
Baum. Dann aber wundert man sich, dass die Wurzeln des Baums blutrot sind
auf diesem Blatt von „The Silver Bullet Series“ und das Laubwerk sich in
Schriftzeichen auflöst. Oder man entdeckt, dass ein Schläfer einen
Patronengurt trägt und sein Traum vom Paradies möglicherweise der eines
Attentäters ist. Oder der Nimbus, der eine Figur umfängt, ist von einem
ornamentierenden Relief geprägt, das Patronenhülsen abbildet.
## Tradierte Motive
So erhalten viele tradierte Motive, die von religiöser Unterweisung oder
vom Leben der Heiligen erzählen, eine Konnotation von Propaganda und
Aufrüstung für den heiligen Krieg. Man kann das als Kommentare der Trauer
und der Empörung über die Instrumentalisierung eines Glaubens lesen, dem
Waseem Ahmed als gläubiger Muslim selbst angehört. Die Aufladung des Islam
mit Herausforderungen nach seiner gewaltsamen Durchsetzung ist ein Thema,
was er wieder und wieder aufgreift. Dass ihm dabei die Tradition aber auch
am Herzen liegt, die Pflege einer tief mit der Geschichte verwurzelten
Bildsprache, sieht man an der Sorgfalt seiner Technik, in der das Bild mit
sehr feinen Pinseln und Farben aus vielen Schichten gebaut wird.
Dass ein zeitgenössischer Künstler, der so behutsam und zugleich doch
inhaltlich fordernd mit der Geschichte der Kunst arbeitet, direkt neben den
historischen Werken präsentiert werden kann, verdankt sich dem Humboldt-Lab
Dahlem. Seit 2012 mischt das Projekt in den Museen in Dahlem mit, bringt
Künstler in einen Dialog mit den Sammlungen. Oft geht es dabei auch um die
Geschichte der Ethnologie, ihren Beginn als Völkerkunde in den Zeiten des
Kolonialismus, ein Thema, um das heute kein ethnologisches Museum mehr
herumkommt.
Waseem Ahmeds Atelier gehört zur Probebühne 5, der fünften Runde der neuen
Eingriffe in die museale Ordnung. Die Probebühnen funktionieren tatsächlich
als eine Probe: Wie kann man die Sammlungen aus Dahlem, wenn sie denn mal
in das Humboldt-Forum auf dem Schlossplatz einziehen, präsentieren und
inhaltlich mehr Zugänge schaffen als bisher? Geht man jetzt durch die
Dahlemer Sammlungen, findet man dafür viele Vorschläge. Und bedauert
rückblickend, dass erst die Pläne zum Umzug solche Interventionen
hervorgebracht haben. Die Sammlungen hätten ein solches Wachküssen schon
viel früher verdient.
Legendär sind zum Beispiel die Bestände der Musikethnologie und das bisher
kaum öffentlich zugängliche Berliner Phonogramm-Archiv. Musiker oder
Weltmusikredakteure erzählten manchmal von den dort verborgenen Schätzen.
Dass viele der alten Walzen mit Aufnahmen von Gesängen aus Nordafrika oder
dem Kaukasus während des Ersten Weltkriegs in Kriegsgefangenenlagern in
Wünsdorf und Zossen aufgenommen wurden, die von damaligen Völkerkundlern
begeistert als Forschungsfeld besucht wurden, ist schon eine besondere
Geschichte über die Quellen der Ethnologie. Mit ihr befasst sich die
Sonderausstellung „Ton- und Bilddokumente aus deutschen
Kriegsgefangenenlagern“ im Museum Europäischer Kulturen.
Direkt davor findet sich ein von zwei gebogenen Wänden umfasster Raum, der
zur Probebühne 5 gehört. Hier wird ausprobiert, wie man am Humboldt-Forum
die Musikethnologie dauerhaft in die Ausstellung integrieren kann – und wie
Komponisten der Gegenwart damit arbeiten können.
In der sehr sehenswerten Ausstellung über die Kriegsgefangenen als Quelle
völkerkundlichen Wissens empfiehlt mir einer der Museumsaufseher unbedingt
die Hörstation zwei an einer der Säulen. Dort wird die Geschichte vom
sogenannten Halbmondlager in Wünsdorf erzählt, in dem für die
Kriegsgefangenen die erste Moschee auf deutschem Boden gebaut wurde – und
das gleich mit der Absicht, die Moschee für politische Propaganda zu nutzen
und die Gefangenen als heilige Krieger für eine Allianz mit der deutschen
Seite zu instrumentalisieren. Ein wieder mal nicht sehr ruhmreiches Kapitel
deutscher Geschichte.
Eigentlich wollte ich noch weiter zu einer weiteren Probebühne, aber dann
bleibe ich doch hier hängen. Denn die Geschichte vom Halbmondlager beginnt
sich über das Motiv der damals gewünschten und heute so gefürchteten
Dschihadisten gerade mit den Themen zu verknüpfen, die Waseem Ahmed mit so
großer Dringlichkeit bearbeitet. Und das sind beim Pendeln zwischen den
Sammlungen doch noch immer die produktivsten Momente.
13 Nov 2014
## AUTOREN
KATRIN BETTINA MÜLLER
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