# taz.de -- Verfickter Penispilz-Versager | |
> TOURETTE-KOMÖDIE In „Ein Tick anders“ spielt Jasna Fritzi Bauer einen | |
> aufmüpfigen Teenager, der am Tourette-Syndrom leidet. Nach dem Gewinner | |
> des Deutschen Filmpreises „Vincent will Meer“ ist dies ein ganz ähnlicher | |
> Stoff als Komödie | |
VON WILFRIED HIPPEN | |
Darf man über psychische Behinderungen lachen? Natürlich ist dies auf den | |
ersten Blick (oder Witz) politisch höchst unkorrekt, aber Humor ist ja | |
meist gerade dann am wirkungsvollsten, wenn durch ihn an den Tabus gekratzt | |
wird. Und manchmal ist das Lachen sogar ein guter Weg, um natürlicher mit | |
Behinderten umzugehen. Das unkontrollierte Fluchen von jenen, die am | |
Tourette-Syndrom leiden, hat zum Beispiel manchmal durchaus poetische und | |
komödiantische Qualitäten. Statt dies verkrampft zu ignorieren, könnte man | |
es durchaus als einen ästhetischen Mehrwert der Krankheit begreifen und | |
lachen. | |
Anders als Ralf Huetter, der mit seinem Tourette-Syndrom-Drama „Vincent | |
will Meer“ gerade den Deutschen Filmpreis gewann, hat Andi Rogenhagen | |
diesen Weg eingeschlagen, indem er eine Komödie über ein junges Mädchen | |
gemacht hat, das an dieser Krankheit leidet - oder besser lernt, damit | |
umzugehen. Hier ergibt der in der amerikanischen Umgangssprache gängige und | |
schon blödsinnig politisch korrekte Euphemismus „mentaly challenged“ (also | |
„psychisch herausgefordert“) ausnahmsweise einmal Sinn, denn tatsächlich | |
setzt die aufmüpfige Eva ihre beachtliche Intelligenz und charakterliche | |
Stärke ein, um ein möglichst normales und glückliches Leben zu führen. Sie | |
weiß genau, wie sie auf andere Menschen wirkt und sagt gleich als ersten | |
Satz im Film: „Wenn ich mich selber treffen würde, hätte ich auch Angst!“. | |
So hat sie sich eine idyllische Nische mit möglichst wenigen Außenkontakten | |
geschaffen. Sie stromert gerne allein im Wald herum, wo die Molche in einem | |
Tümpel ihre besten Freunde sind. Ihre Familie ist ein komischer Haufen von | |
sympathisch skurrilen Figuren. Der Vater ist ein kontaktscheuer | |
Autoverkäufer, die Mutter kauft ständig neue Wundermittel ein, mit denen | |
sie ihre Tochter heilen will, der Onkel ist ein untalentierter | |
Rockmusiker/Kleinkrimineller und die Oma ist Harold & Maude in einer | |
Person, denn sie ist weise, arrangiert gerne anarchistische Akte wie die | |
Sprengung eines Staubsaugers und will endlich in Ruhe sterben. Mit diesem | |
Personal schreiben sich die komischen Szenen fast von alleine, und | |
Rogenhagen melkt dann auch viele Lacher mit einem guten komödiantischen | |
Timing und ein paar schönen, alles andere als klischeehaften Pointen. | |
Aber im Mittelpunkt des Films steht immer die Protagonistin, deren | |
kompliziertes Innenleben Rogenhaben mit spielerischen Zwischenschnitten | |
zugleich komisch und originell illustriert. So wird der Entdecker und | |
Namensgeber der Krankheit im Schlossgarten zusammen mit jener französischen | |
Adeligen gezeigt, bei der er die Symptome zum ersten Mal diagnostizierte | |
und Evas schlimmste Peiniger (wie ihre ständig im Therapeuten-Jargon | |
schwafelnde Psychologin) verlieren auf der Guillotine den Kopf. Realistisch | |
und mit viel Detailwissen inszeniert sind dagegen jene Szenen, in denen Eva | |
versucht, eine Arbeitsstelle zu finden. Ein geschickter Trick von | |
Rogenhagen besteht hier darin, hier ganz ohne die üblichen Buhmänner zu | |
arbeiten. Alle sind in den Bewerbungsgesprächen freundlich und | |
verständnisvoll, aber auch das hilft nicht weiter. So hat etwa Nora | |
Tschirner einen kleinen, präzise kalkulierten Gastauftritt als smarte | |
Angestellte, die Eva genau vorrechnet, wo ihre Firma schon Behinderte | |
einsetzt, sodass das Quantum erfüllt und für sie leider kein Platz mehr | |
ist. In diesen Momenten ist der Film am stärksten. | |
Leider verlässt sich Rogenhagen im letzten Akt dann zu sehr auf die | |
Mechanismen der Filmkomödie und so wird die Geschichte mit einem bösen | |
Bankdirektor, einem Einbruch in den Tresorraum der Bank und einer | |
vergrabenen Tasche voller Geld zunehmend albern, sodass der Charme von | |
Jasna Fritzi Bauer in den letzten zwanzig Minuten schon arg strapaziert | |
wird. Aber da diese den Film mit einer grandiosen, zugleich völlig | |
glaubwürdigen und märchenhaften Darstellung der jungen Heldin trägt, | |
gelingt ihr auch dies mit ein paar Zuckungen und Heil Hitler-Rufen. Da | |
stört es dann auch nicht weiter, wenn Rogenhagen sich mit seinem | |
obligatorischen Happyend vor der Frage drückt, wie die Zukunft von Eva | |
halbwegs plausibel aussehen könnte. Da waren die Alternativen wohl zu | |
deprimierend. | |
14 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
WILFRIED HIPPEN | |
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