# taz.de -- Immer voll auf die zwölf | |
> Viktor Bodó ist der Überflieger der europäischen Theaterszene: kaum ein | |
> Festival, das seine Stücke nicht ausgezeichnet hat. Im Haus der Berliner | |
> Festspiele zeigt er die Trashkomödie „Schock“, für das HAU entwickelt er | |
> gerade „Erlebnisministerium“ | |
VON CHRISTINE WAHL | |
Weißer Sommerhut, knöchellanger Fuchspelzmantel: Zweifelsfrei ist die | |
ukrainische Mafia die bestgekleidete Berufsgruppe in Viktor Bodós | |
postsozialistischer Trash-Komödie „Schock“. Dicht darauf folgt die | |
vierköpfige Sexworkerinnen-Combo der ungarischen Grenzstadt, in der das | |
Stück – ein Gastspiel des Móricz Zsigmond Theaters Nyiregyháza im Haus der | |
Berliner Festspiele – spielt: Die hat in ihren schwarzen Netzkleidern, | |
Hotpants und Korsagen echtes Paris-Hilton-Format. Der Rest der | |
„Schock“-Gesellschaft, die sich in einer ranzigen Autowerkstatt zu | |
Prügeleien, halbseidenen Geschäften und alkoholintensiven Partys | |
zusammenfindet, fällt dagegen hoffnungslos ab: Exknackis, bankrotte | |
Ehepaare, Gattinnen in gräulichen Oversize-Anoraks und rentenreife | |
Mechaniker im gewagten Military-Look. Einer pult sich gerade die losen | |
Zähne aus dem Mund; ein anderer bricht nacheinander auf fünf Stühlen | |
zusammen, und die Nummer drei der Hilton-Combo befriedigt sich unter dem | |
Tisch zu fröhlicher Musik mit einer Wodkaflasche. | |
Im Zuschauerraum, sechste Reihe links, sitzt – völlig gebannt – der | |
Regisseur und lacht sich tot. Nicht dass der 29-jährige Ungar der Einzige | |
wäre, der sich über seinen von ungebremster Kindlichkeit beseelten Humor | |
amüsieren kann. Aber eindeutig der Lauteste – zumindest an diesem Abend im | |
Festspielhaus. Der Eindruck täusche, sagt Viktor Bodó am nächsten Tag beim | |
Nachmittagskaffee in einer Prenzlauer-Berg-Kneipe. Da sei oft auch eine | |
hysterische, aus der Sorge geborene Überreaktion im Spiel; vor allem, wenn | |
tausendmal erprobte Pointen vor einem ausländischen Publikum plötzlich | |
total versacken. | |
Fakt ist allerdings auch, dass Viktor Bodó seinem Theater tatsächlich einen | |
großen Eigenunterhaltungswert abverlangt: „Ich langweile mich einfach | |
schnell“, sagt er und gesteht, seine Schauspielerinnen und Schauspieler | |
noch Wochen nach der Premiere permanent mit neuen Ideen zu traktieren: „Als | |
wir mit ‚Gehacktundverschwunden‘ “ – Bodós internationalem Festivalerf… | |
nach Kafkas „Prozess“ – „so oft auf Gastspieltour waren, musste ich st�… | |
daran herumbasteln und neue Szenen einfügen – bis die Schauspieler | |
irgendwann sanft protestierten.“ | |
Man sieht Bodó – und das ist ein uneingeschränktes Kompliment – den | |
Überflieger nicht unbedingt an: Statt den Verdacht auf kulturelles | |
Strebertum weckt er eher Assoziationen zu Kaurismäki- oder mindestens | |
Detlev-Buck-Filmen. De facto aber hat Bodó, der auf Nachfrage mühelos die | |
gesammelte Theatertheorie zitieren kann, bisher eine Musterkarriere | |
hingelegt: Direkt nach dem Studium an der Budapester Theaterakademie wurde | |
er als Hausregisseur ans renommierte Katona József Theater engagiert. Und | |
es gibt kaum ein Festival, von dem „Gehacktundverschwunden“ ohne Preis | |
zurückkehrte. Kein Wunder: Bodós Bildertheater lässt sich selbst auf | |
Ungarisch mit finnischen Übertiteln, wie letztes Jahr beim Theaterfestival | |
in Tampere unweit Helsinkis, ohne gefühlten dramatischen Sinnverlust | |
genießen. Slapstick, Filmanleihen von Orson Welles bis Monty Python oder | |
das von Bodó ebenfalls gern zitierte Genre des Musicalfilms sind halt | |
international. | |
Zwar schlägt immer, wenn es allzu pittoresk zu werden droht, Bodós | |
ausgeprägte, von einer gewissen Bösartigkeit glücklicherweise nicht freie | |
Trash-Ader zu: Da schnellt in „Gehacktundverschwunden“ eine Leinwand vom | |
Schnürboden, die den redlichen Schöngeist Josef K. in kompromittierenden | |
pornografischen Posen zeigt oder kackt ein Prekärer in „Schock“ sehr | |
naturalistisch unters Münztelefon. Aber bei aller gelegentlichen | |
Durchgeknalltheit haben Bodós Arbeiten etwas Grundgefälliges; und dazu | |
steht der Jungregisseur: „Ich möchte, dass die Zuschauer bis zum Ende | |
bleiben, viel lachen und sich wohl fühlen.“ | |
Zum Beispiel beim „Erlebnisministerium“, das er derzeit mit deutschen und | |
ungarischen Schauspielern am HAU 1 entwickelt. Über Konkretes, sagt Bodó, | |
lasse sich grundsätzlich frühestens nach dem ersten Durchlauf spekulieren. | |
Egal ob er sich von klassischen Textvorlagen inspirieren lässt oder eigene | |
Stoffe erarbeitet: Vorlagen sind für Bodó immer nur ein Sprungbrett, um | |
sich gemeinsam mit den Schauspielern und oft auch seinem Koautor András | |
Vinnai in neue Fantasiewelten abzustoßen. Bodó-Inszenierungen entstehen | |
wesentlich aus der Improvisation. Fest allerdings steht, dass es sich beim | |
„Erlebnisministerium“ um einen Stationen-Parcours handelt, den jeder | |
Zuschauer selbst zusammenstellen kann – je nachdem, ob er sich lieber beim | |
Ausfüllen schräger Fragebögen im „Labyrinth der Bürokratie“ verliert, s… | |
immer mal in eine schicke Limousine steigen oder aber zum Protagonisten | |
eines Filmdrehs werden wollte. Wie aktiv er sich ins Geschehen einmischt, | |
ist dabei jedem Zuschauer selbst überlassen: (Mitmach-)Zwang und | |
Provokation sind Bodós Sache nicht. Schon allein deshalb, sagt er, weil er | |
sich selbst äußerst ungern zwingen und provozieren lasse. | |
25 Jun 2007 | |
## AUTOREN | |
CHRISTINE WAHL | |
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