# taz.de -- Aus Kunstgewerbe wird Kunst | |
> WIEDERERÖFFNUNG Das Kunstgewerbemuseum am Kulturforum wird heute Abend | |
> nach dreijährigem umfangreichen Umbau eröffnet. Ausstellungsräume sind | |
> aufwändig neuorganisiert. Hinzugekommenen ist die Modesammlung | |
VON RONALD BERG | |
„Im weiß gestrichenen fast leerem Raum steht heute das Wenige, nur äußerst | |
Notwendige an Einrichtung.“ Dieses Zitat von Mies van der Rohe findet sich | |
als Beschriftung zu Couch und Schreibtisch aus dem Landhaus Lemke in | |
Berlin-Hohenschönhausen. Mies hatte das kleine Haus 1932 gebaut und mit | |
eigens entworfenen Möbeln eingerichtet. Jetzt stehen diese Möbel im | |
wiedereröffneten Kunstgewerbemuseum, und der Text gibt so etwas wie das | |
Credo der neugestalteten Einrichtung des Hauses ab. | |
Das 1985 eröffnete Kunstgewerbemuseum galt, kaum war es endlich fertig, als | |
das hässlichste Gebäude im damaligen Westberlin. Nach 19-jähriger Planung, | |
Revisionen, Umplanungen und Bauarbeiten hatte sich der modernistische Geist | |
der sechziger Jahre verflüchtigt, mit dem Architekt Rolf Gutbrod | |
(1910–1999) seinen Bau ursprünglich entworfen hatte. Das Haus mit seiner | |
fensterlosen Fassade gegenüber der Scharoun’schen Philharmonie war im | |
Übrigen nur als Teil einer ganzen Museumslandschaft gedacht, die Gutbrod | |
ebenfalls ausführen sollte. | |
Dazu ist es nicht mehr gekommen. Was sich jetzt als Kulturforum zwischen | |
Tiergartenrand und Sigismundstraße mit Kunstgewerbemuseum, Gemäldegalerie, | |
Kupferstichkabinett, Kunstbibliothek und einer absurd misslungenen, | |
zentralen Eingangshalle samt Zugangsrampe erstreckt, ist das verkorkste | |
Ergebnis jahrzehntelanger Querelen. Vor allem krankt das Kulturforum daran, | |
dass eine kühne modernistische Planung in eine postmoderne Mediokrität | |
abgebogen wurde. Jetzt, da die Postmoderne auch schon wieder Geschichte | |
ist, lässt sich Gutbrods Kunstgewerbemuseum noch einmal ganz neu bewerten. | |
Nichts anderes hat Sabine Thümmler, die Direktorin des Kunstgewerbemuseums, | |
getan. Nach gerade einmal einem Jahr im Amt ließ sie ihr Museum schließen, | |
um es jetzt nach drei Jahren innerer Neuorganisation wieder zu öffnen. | |
Thümmler, die zuvor das Deutsche Tapetenmuseum in Kassel geführt hatte, | |
„mag das Gebäude sehr“, wie sie sagt. Selbst der Streifenornamentik an der | |
vorgeblendeten Backsteinfassade des Museums kann sie etwas abgewinnen. | |
Schließlich hat sie über Ornamentik promoviert. Die frühere Kritik an | |
Gutbrods Haus kontert sie mit dem Hinweis, man habe es bisher „gründlich | |
missverstanden“. Tatsächlich sind die anthroposophischen Anklänge mit den | |
fünfkantigen Stützen und den im Grundriss gegeneinander verschobenen | |
Quadranten kaum jemandem aufgefallen. Was einem jetzt als Ergebnis der | |
Neugestaltung hinter dem Eingang des Museums aber erwartet, muss zunächst | |
schockieren. Zu sehen sind kahle Wände und weiter leerer Raum. Vor der | |
Neugestaltung bot sich hier ein völlig anderes Bild. Die offene Struktur | |
mit der zentralen Freitreppe ließ den Blick in die unteren und oberen | |
Geschosse schweifen. Wo zuvor rings um die Treppenanlage allerlei Vitrinen | |
standen, erlaubt die Leere jetzt nur den Blick auf sogenannte | |
„Superzeichen“: dick-rote Schrift, die den Besucher „buchstäblich“ auf… | |
entsprechenden Inhalte hinter den neu eingezogenen Leichtbauwänden des | |
Architekturbüros Kühn Malvezzi verweisen. | |
Das Berliner Architektenteam hatte bereits 2004 den Wettbewerb zur | |
„Neuordnung der Ausstellung und Umgestaltung des Foyers“ gewonnen. | |
Thümmlers neuer Ansatz hat die Schausammlung des Museums „konzentriert“ und | |
radikal zwischen Verkehrs- und Ausstellungsflächen getrennt. | |
Die Highlights vom Mittelalter bis in die Renaissance präsentieren sich | |
allerdings überraschenderweise hinter den neuen Wänden fast wie früher | |
gewohnt. Natürlich ist der Welfenschatz wieder zu sehen. Die vielen, golden | |
blinkenden Reliquiare, die Heinrich der Löwe einst dem Braunschweiger Dom | |
gestiftet hatte, beinhalten noch die heiligen Gebeine. Es ist allerdings | |
bisher noch nicht vorgekommen, dass ein gläubiger Katholik sich hier zum | |
Beten niederwarf. Die Konversion von Kultgerät aus der religiösen in die | |
museal-ästhetische Sphäre ist also gelungen. Thümmlers Ansatz bei den neu | |
gestalteten Abteilungen von Design, Jugendstil und der neu hinzugekommenen | |
Modesammlung scheint diese Umwertung noch weiterzutreiben, gemäß dem Motto: | |
Aus Kunstgewerbe wird Kunst. | |
Am ehesten ist das bei jenen Keramikfiguren einzusehen, die von Künstlern | |
wie Ernst Barlach nun wirklich keinen praktischen Gebrauchswert haben. | |
Genauso übrigens wie das Lüneburger Ratssilber aus dem 16. Jahrhundert – | |
ein weiteres Glanzlicht des Museums. Die Prunkpokale und -schalen dienten | |
nur zum Repräsentieren. Auch die neue Modeabteilung mit ihren Kleidern von | |
etwa 1850 bis fast hinein in die Gegenwart zeigt ausschließlich Haute | |
Couture, also Kleidung, die für Repräsentationsanlässe getragen wird (Dior, | |
Versace, YSL und so weiter). Die Schaufenstervitrinen entlang der ansonsten | |
abgedunkelten, durch Kühn Malvezzi eingezogenen Gänge unterstreichen den | |
Charakter der Kleider als Preziosen. Und im Grunde genommen funktioniert | |
die gesamte Gestaltung von Thümmler so, dass sie Möbel, Schmuck oder auch | |
Services als ästhetisch wertvolle Meisterstücke vorführt. Ein Vergleich mit | |
anders gearteten Stücken oder eine historische Kontextualisierung findet | |
abgesehen von den von Thümmler verfassten Einleitungstexten in der | |
Designabteilung zum 20. Jahrhunderts nicht statt. Mit der Konzentration auf | |
einige herausragende Einzelstücke knüpft Thümmler bewusst an die Ursprünge | |
des eigenen Hauses an. Das Kunstgewerbemuseum wurde ja 1868 als Ort der | |
Geschmacksbildung und als Vorbildsammlung für Handwerk und Industrie | |
gegründet. Dazu passt, dass das Kunstgewerbemuseum jetzt die Nähe zu | |
Modeschulen und Designhochschulen sucht und sich neuerdings als | |
„Schnittstelle zur Kreativwirtschaft“ versteht. | |
■ Kulturforum, ab 22. November, Di bis Fr 10–18, Sa, So 11–18 Uhr | |
21 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
RONALD BERG | |
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