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# taz.de -- „Blackmetaldiscos sind choreografisch total interessant“
> DER CHOREOGRAF Mit seinen Stücken hat sich Christoph Winkler in der
> Tanztheaterszene ein internationales Renommee erarbeitet. Was vielleicht
> auch an der Musik liegt, die er dabei einsetzt. Die darf gern
> experimentell sein und deftig zur Sache gehen. Ein Gespräch über derben
> Krach, Techno als Offenbarung und seine Zeit als Klangkrieger
INTERVIEW ANDREAS HARTMANN FOTO DAVID OLIVEIRA
taz: Herr Winkler, Sie sind Choreograf von Tanztheaterstücken. Ein
elementarer Bestandteil des Tanztheaters ist Musik. Wir würde uns gern mit
Ihnen unterhalten, welche Bedeutung Musik für Sie und Ihre Arbeit hat.
Christoph Winkler: Das können wir gern machen. Klar, Musik spielt auf den
verschiedensten Ebenen eine große Rolle in meinen Stücken, also nicht nur
als Atmosphäre, sondern auch als Referenz beispielsweise.
Wie aufwendig ist es, nach der passenden Musik für Ihre Stücke zu fahnden?
Ich bin sozusagen rund um die Uhr damit beschäftigt zu suchen. Ich
verbringe enorm viel Zeit damit, Musik zu entdecken. Ich habe zig Freunde,
Musiker und Mailinglisten, über die ich ständig etwas Neues bekomme.
Nach welcher Art von Musik suchen Sie genau?
Ich benutze ziemlich spezielle Musik in meinen Stücken. In meinem aktuellen
Stück „Hauptrolle“ für einen Solotänzer gibt es beispielsweise Max
Loderbauer und Riccardo Villalobos zu hören, die Arvo Pärt remixen, die
Band Trümmer aus Hamburg, und Toumani Diabaté, einen Koraspieler aus Mali.
Und es hat genau diese Musik sein müssen?
Sie passt jedenfalls und bringt die Handlung des Stücks voran. Mit meiner
für viele Ohren ungewöhnlichen Musik erzähle ich etwas in meinen Stücken
und erziele dabei den netten Nebeneffekt, dass sich bei einer Aufführung
jedes Mal fünf Zuschauer aus dem Publikum freuen, wenn sie eine ganz
spezielle Musik erkennen.
Die Verwendung von avancierter Popmusik, ist das Ihr Markenzeichen?
Atmosphärische Musik im Tanztheater ist bestimmt nichts Ungewöhnliches, bei
mir ist es aber halt Tim Hecker, dessen Musik eingesetzt wird. Und der, der
sich damit auskennt, sagt dann schon: Hey, Tim Hecker – das ist jetzt aber
wirklich cool.
Tim Hecker macht dronigen Ambient. Manches in Ihren Stücken ist aber
wirklich schwer verdaulich. Etwa der düstere elektronische Gruftsound von
Lustmord, The Legendary Pink Dots oder Chris Carter. Verstehen Ihre oft
sehr jungen Tänzer diese Art von Musik?
Bei Kennenlerntreffs läuft es oft so, dass ich neue Tänzer dazu auffordere,
ihre Handy-Playlists mitzubringen. Heute haben ja alle Playlists auf ihren
iPhones, sie haben keine Ahnung von Musik, aber auf den Playlists sind
immer ein paar gute Tracks. Wenn eine Tänzerin dann ihre Playlist anmacht,
kommt meist irgendwann eine Riesennummer, die wir beide so richtig gut
finden. Ich sage dann: Ja, schön, aber hör mal, das Schlagzeug klingt wie
bei Scorn, das ist ja richtig heftiges Zeug, was du da hörst. Dann frag
ich: Kennst du Scorn? Nein, kennt sie natürlich nicht. Daraufhin hören wir
uns zusammen Scorn an, und so bekommt man über die Musik eine gemeinsame
Basis.
Scorn haben lavazähen Industrial-Dub gemacht, echt schwere Klangmaterie.
Einer Tänzerin habe ich auch mal erzählt: Hey, Blackmetaldiscos sind vom
Feinsten. In Blackmetaldiscos zu gehen ist in etwa so, wie eine Herde Kühe
zu beobachten. Alle haben Lederhosen an und schütteln ihren gesenkten Kopf.
Choreografisch ist das total interessant, hat was Rituelles, ist
tanztechnisch sehr spannend und hat eine große Kraft. Die Tänzerin kam dann
eines Tages zu mir und sagte: Ich war jetzt in einer Blackmetaldisco, und
es war der Hammer. Die jungen Leute mit ihren Playlists sind letztlich
total offen für Neues.
Wie ging das denn bei Ihnen los mit Ihrer musikalischen Sozialisation?
Schon in dem ostdeutschen Dorf, aus dem ich komme, Torgau, saß ich vorm
Radio und habe Can mit dem Kassettenrekorder mitgeschnitten.
Und dann fiel die Mauer und Sie erlebten, wie Techno Berlin veränderte.
Techno war für mich die erste Musikkultur, die ich aus erster Hand erlebte.
Abgesehen davon, dass Techno am Anfang auch musikalisch eine ziemliche
Offenbarung war, vermittelte er einfach das Gefühl, bei etwas live dabei zu
sein. Es formierte sich etwas und wir lasen nicht nur darüber, so wie über
die super achtziger Jahre in Berlin mit David Bowie, Blixa Bargeld und dem
SO36, sondern wir waren mittendrin im Geschehen.
Als sich die erste Technoeuphorie legte, waren Sie ausgebildeter
Balletttänzer, wurden Konzertveranstalter und gründeten ein Label für
experimentelle elektronische Musik. „Klangkrieg“, so hießen Ihre Events und
das Label, wurde mit regelmäßigen Veranstaltungen in der Maria am
Ostbahnhof, vor allem aber in der Insel der Jugend im Treptower Park, Ende
der Neunziger in Berlin zu einer Marke für echt krasse Musik, für Gabba,
Breakcore und Noise. Die schönen Künste und derber Krach, wie kam es zu
dieser Zweigleisigkeit?
Ich hatte eben schon immer ein Herz für Musik, bei der es so richtig
rappelt in der Kiste, manchmal muss sich dann auch die Spreu vom Weizen
trennen. Ende der Neunziger waren aber auch alle ein wenig müde von den
vielen Technopartys und vielleicht dadurch ein wenig offener für
Experimente. Uns von „Klangkrieg“ wurde klar: Wir können an einem Abend
total unterschiedliche Acts buchen und es funktioniert trotzdem. Das war so
ein kleines Zeitfenster, in dem das in dieser Konsequenz möglich war,
glaube ich. In der Insel der Jugend veranstalteten wir unsere Partys ja
gleich auf drei Etagen. Unten lief Gabba, in der Mitte etwas
Experimentelles und oben Ambient oder ich habe „Stalker“ von Andrei
Tarkowski gezeigt – in voller Länge.
Aber wie kommt man überhaupt auf die Idee, Indierock auf Breakcore treffen
zu lassen oder am selben Abend die Geigen-Avantgardistin Kaffe Matthews und
den Gabba-Berserker Panacea auftreten zu lassen?
Ich bin selber immer gern weggegangen, aber die Musik hat mich dabei oft
genervt. Wenn du in einen Club gehst, musst du oft ewig warten, bis der
erste wirklich gute Track kommt. Und in Indiediscos ist das genauso, es
dauert oft ewig, bis dann endlich doch mal die Wipers kommen. Dazu kam,
dass ich es musikalisch einfach schon immer vielfältig mochte. Ich wollte
vielleicht eine Stunde lang Techno hören, dann ein bisschen Intelligent
Dance Music und daraufhin vielleicht noch ein wenig Metal. So eine Mischung
hat aber keiner angeboten. Ich habe dann irgendwann damit begonnen, lieber
zu Hause Musik für mich und ein paar Freunde aufzulegen. Letztendlich habe
ich später dann einfach mein Wohnzimmerprogramm in die Maria und die Insel
der Jugend verlegt.
Sie haben am Ende noch ein paar Mal die Abschlussparty der Fuckparade für
lauter Speedfreaks organisiert, dann war’s das als Konzertveranstalter, und
Ihr Musiklabel haben Sie daraufhin auch eingestellt. Jetzt machen Sie
ziemlich erfolgreich nur noch Tanztheater – holt Sie Ihre musikalische
Vergangenheit trotzdem noch manchmal ein?
Manchmal kommen noch junge Tänzer zu mir und sagen: Hey, ich habe neulich
jemanden getroffen, der meinte, er kenne dich noch von früher und er hat
gesagt, du seist damals total cool gewesen.
Die Maria gibt es heute gar nicht mehr, und die Insel ist ein beschaulicher
Veranstaltungsort geworden, der heute eher zum Plätzchenbacken und
Vogelringebasteln einlädt.
Eine Weile ist das alles schon her, vor allem nach den Maßstäben der
schnelllebigen Popkultur. Neulich erst habe ich einer Tänzerin aus
Frankreich erzählt, wie das 89 so war in Berlin: Da war die Mauer, dann kam
die Wende. Vorher gab es Volkspolizisten, und ein halbes Jahr später kamen
die Technokids in Volkspolizeiuniform zum Raven, und Ost und West tanzten
sofort zusammen. Die Tänzerin war 20 und damals noch gar nicht geboren.
Wenn ich gegenüber so jemandem loslege, ist das wirklich so, als würde Opa
vom Krieg erzählen.
Klangkrieg-Konzerte waren herausfordernd und konnten auch mal die Nerven
strapazieren. Finden Sie Reste der Klangkrieg-Philosophie noch irgendwo in
der aktuellen Clubkultur von Berlin?
Ein bisschen wurde der Spirit von damals trotz der aktuell herrschenden
Diktatur von Minimal ins Jetzt gerettet. Die heute extrem erfolgreichen
Modeselektor waren früher auch viel bei Klangkrieg-Veranstaltungen, ich
habe noch gebrannte CDs von ihnen. Und Andre Jürgens vom Berghain, der dort
für die Konzerte verantwortlich ist, kommt auch von der Insel der Jugend
und hat für Klangkrieg gearbeitet. Das Berghain hat ja sowieso verstanden,
dass sie, wenn sie das noch zehn Jahre weitermachen mit dem Easy Jet, tot
sein werden. Also spielen da jetzt die Swans oder The Bug und das
Staatsballett kommt auch. All das zusammen, so wie bei uns damals, das gibt
es allerdings auch nicht im Berghain. Die Herausforderung wäre ja
eigentlich, dass am Samstag in der DJ-Nacht plötzlich das Licht ausgeht,
und dann sitzt da jemand und spielt Blockflöte.
Faschismus, Rassismus, Kapitalismuskritik – Sie holen gern derartige
Diskursfelder in Ihre Tanztheaterstücke. Kann man sagen: So wie sie schon
seit Jahrzehnten nach spezieller und abgefahrener Musik forschen, drängt es
Sie auch bei den dramaturgischen Stoffen Ihrer Stücke zu einer eher
ungewöhnlichen Herangehensweise?
Mir geht es schon darum zu gucken, wie ich mit Tanz etwas besetzen kann, wo
man im ersten Moment nicht draufkommen würde.
So wie beispielsweise auf die Thematik Urheberrecht in Ihrem Stück „Dance!
Copy! Right?“
Genau. Oder meine Reihe „Böse Körper“. Im Theater ist die Darstellung des
Bösen die Krönung der Kunst, aber im Tanztheater gibt es seltsamerweise
keine Bösen. Ich habe dann mal einen Tänzer gefragt: Wollen wir nicht mal
was über Adolf Eichmann machen? Der meinte nur, ich sei wohl völlig
verrückt. Ich habe dann immerhin „Baader – Choreografie einer
Radikalisierung“ über den RAF-Terroristen Andreas Baader inszeniert.
Zum Schluss noch kurz ein weniger erfreuliches Thema: Wie lebt es sich
eigentlich als gefeierter Choreograf in der Nischenkultur Tanztheater, wenn
man nicht an ein bestimmtes Haus gebunden ist und auf einer freien Basis
arbeitet, so wie Sie das tun? Wie ein Rockstar oder eher wie ein
Experimentalmusiker?
Man lebt im Prekariat, ganz klar. Altersarmut ist da programmiert. Ich bin
innerhalb der Freien Szene noch eher gut gefördert. Aber selbst wenn man zu
den gut Geförderten gehört, reicht das natürlich nicht. Es bleibt
Prekariat, selbst wenn du im oberen Drittel bist, kriegst du ungefähr das
Gehalt eines Schlossers.
Dabei sind Sie inzwischen Choreograf mit einem internationalen Renommee.
Zeigt sich beim Tanztheater mal wieder, dass der Kultursenat in Berlin noch
nicht richtig verstanden hat, was die Freie Szene bedeutet?
Es gibt immer mehr freie Kollektive im Tanztheater, worauf die Förderung
schon auch langsam reagiert, nur bildet sich das noch nicht entsprechend
ab. Wer jetzt von der Tanzschule abgeht, geht ja mit großer
Wahrscheinlichkeit in die Freie Szene. Die Jungen wollen nicht mehr ans
Stadttheater. Ich ja auch nicht, um Gottes willen, was soll ich am
Stadttheater?
Vielleicht dem Prekariat entfliehen?
Das vielleicht, aber hoffentlich ändert sich auch so etwas. Ich habe
immerhin über 40 Stücke inszeniert. Zig davon wurden zum Stück des Jahres
gewählt, das können Sie an kaum einem Stadttheater vorweisen. Ich werde
aber immer noch evaluiert, und vor dem Hauptstadtkulturfonds bin ich ein
Kandidat wie jeder andere auch. Dass ich immer noch evaluiert werde, das
finde ich auch okay, aber ich will, dass das Staatsballett genauso
behandelt wird. Stattdessen läuft es bei dem auch einfach so, und am Ende
des Jahres gibt es kaum eine Antwort auf die Frage: Und, was habt ihr denn
so gemacht, außer dreimal im Berghain zu tanzen? So viele schlechte
Kritiken einfahren wie das Staatsballett, das könnte ich mir jedenfalls
nicht leisten.
3 Jan 2015
## AUTOREN
ANDREAS HARTMANN
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