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# taz.de -- Mit Fröbel fit für die Zukunft
> Ein Besuch im Thüringer Urkindergarten Friedrich Fröbels lohnt sich. Ob
> individuelle Förderung, ganzheitliche Erziehung oder bessere Ausbildung
> für Kindergärtnerinnen – der Pädagoge war schon 1840 dem Stand der
> heutigen Kita-Diskussion voraus
VON MICHAEL BARTSCH
Da sind sie ja, die Quader und Kugeln, die Bälle, Legetafeln und
Faltschulen. Spielgaben heißen sie bei Fröbel. Beim Spielen mit diesen
elementaren Formen sollen die Kinder Fantasie entwickeln. Im Dresdner
Fröbel-Kindergarten sind sie erst auf den zweiten Blick zu sehen. „Wir
übernehmen Fröbel nicht stur und formal, sondern seine Ansprüche“, erklärt
Leiterin Anett Friedrich. So entdeckt man das Wesentliche langsam. Die
Räume beispielsweise wirken übersichtlich und nicht überfrachtet mit
Spielzeug. „Die Kinder müssen auch lernen zu warten“, kommentiert die
Leiterin. Kargheit befördert Konzentration und Kreativität. „Mit Kindern
leben“ lautet ein zentraler Leitsatz Fröbels. Daher werden sie in die
Vorbereitung von Festen und kleinen Feiern so aktiv einbezogen wie in einer
Familie. „Wir machen nicht alles anders, aber vieles bewusster“, fasst
Anett Friedrich zusammen.
In allen guten Kindergärten sowie in den frühkindlichen Bildungsplänen der
Bundesländer stecken heute pädagogische Ansätze von Friedrich Fröbel.
Schaut man sich die aktuelle Diskussion um die Kinderbetreuung in
Deutschland an, findet man viele Grundprinzipien des Vaters aller
Kindergärten darin wieder. Die individuelle Förderung je nach Anlage und
Sozialisierung beispielsweise geht ebenso auf Fröbel zurück wie die
„ganzheitliche Erziehung“, die man mittlerweile in den vorschulischen
Bildungsplänen aller Bundesländer findet. Der alte Fröbel war im Jahre 1840
schon weiter als viele Diskussionsteilnehmer heute.
Wer sollte nach Fröbels Überzeugung einen Kindergarten besuchen? Alle! Denn
Familie und Kindergarten ergänzen einander. „Mütterliche Liebe und
Mutterinstinkt reichen allein nicht aus“, schreibt der Fröbel-Forscher
Helmut Heiland. Fröbels Kindergarten war nicht nur die soziale Antwort auf
das Entstehen einer Klassengesellschaft im Zuge der industriellen
Revolution. In der scheinbar intakten bürgerlichen Familie konnte es ebenso
zu schweren Erziehungsfehlern kommen wie bei sozialen Problemfällen. Beide
brauchten daher Hilfe. Beispielsweise beobachtete Fröbel damals bei
„höheren Kindern“ linkische, unbeholfene Bewegungen. Heute werden unter dem
Stichwort „Wohlstandsverwahrlosung“ ähnliche Erscheinungen diskutiert.
Gemeint sind der Mangel an Bewegung und Zuwendung zum Kind und die
Unfähigkeit zur eigenen Konsumsteuerung, besonders bei den Medien – quer
durch alle Milieus.
In Bad Blankenburg, unweit von Rudolstadt am Nordrand des Thüringer Waldes,
begründete Fröbel 1840 die Weltneuheit „Kindergarten“, die später als
Lehnwort oder wörtlich übersetzt in zahlreiche Sprachen einging. 1842 gab
es die ersten Kindergärtnerinnenkurse, und 1849 entstand die erste
umfassende „Anstalt für allseitige Lebenseinigung durch
entwickelnd-erziehende Menschenbildung“ in Bad Liebenstein, die erste
Berufsbildungseinrichtung für Frauen in Deutschland. Denn der hohe
Selbstanspruch des Kindergartens für alle erforderte eine hohe
Qualifikation der Erzieher und Erzieherinnen. In gewisser Weise nahm Fröbel
damals die heutige Diskussion um eine Hochschulausbildung der
Kindergärtnerinnen und -gärtner vorweg. Auch damals aber stieß die Idee
einer anspruchsvollen Kleinkindbetreuung auf Widerstände. 1851 verbot das
Königreich Preußen den Kindergarten sogar vorübergehend.
Im Fröbel-Museum, dem „Haus über dem Keller“ in Bad Blankenburg, blickt
Friedrich Fröbel schulmeisterlich streng auf seinem Porträt. Dreißig Jahre
war er unter dem Einfluss Pestalozzis als Hauslehrer und Erzieher tätig,
bevor er seine geistige und praktische Tätigkeit den ersten Lebensjahren
der Kinder widmete. Man könnte argumentieren, sein persönlicher
Erkenntnisprozess ähnele dem der Vorschulerziehung in der Bundesrepublik –
sie brauchte ähnlich lange, um die Vorschulerziehung wieder zu entdecken.
Noch heute hat das Museum viel von einem Kindergarten. Da sind die
elementaren Spielgaben; der Würfel rotiert und vervielfacht sich, die Kugel
ist ein Minikosmos und erschließt den Raum. „Das Greifen kommt vor dem
Begreifen“, sagt Museumsleiterin Margitta Rockstein, die lange in
DDR-Kindergärten arbeitete. Basiswissen Geometrie, würden wir heute sagen:
Körper, Fläche, Linie, Punkt. Dazu die klassisch gewordenen Flecht- und
Faltarbeiten wie „Himmel und Hölle“.
Der „authentische Fröbel“, wie ihn Museumsleiterin Rockstein bewahren
möchte, bietet jedoch auch Konfliktstoff. Er war ein zutiefst gläubiger
Christ, ein Mystiker fast, kollidierte aber in seinem unerschütterlichen
Glauben an das Gute im Menschen mit der kirchlichen Lehre von der Erbsünde.
Ziel der Erziehung müsse sein, den Menschen „zur freien Darstellung des in
ihm wirkenden Göttlichen“ zu erheben – durch freies Spiel beispielsweise.
Die damals gängige Erziehungspraxis kritisierte Fröbel: „Der junge Mensch
ist dem Menschen ein Wachsstück, ein Tonklumpen, aus dem er kneten kann,
was er will.“ Ursachen für Trägheit oder Bösartigkeit sah Fröbel zuerst a…
Erzieherseite, in frühen willkürlichen und fehlerhaften Eingriffen in die
Anlagen des „reinen Menschenwesens“.
Fröbel ging also ganz vom Kind und seiner individuellen Uranlage aus. Zwar
räumte auch er Mathematik und Sprache eine gewisse Sonderstellung ein,
bestand aber ebenso auf der Bewegung, der musischen Erziehung – und auf
jenem persönlichen Gartenbeet, dessen Natur für das Wachsen des Kindes
stand. In diesen zwei Quadratmetern Kinder-Garten sollte zugleich ein
Stückchen Paradies anklingen: der Garten Eden.
Heute dagegen geht die Wissensvermittlung zu leicht zu Lasten der sozialen
und emotionalen Seite der Erziehung. Mitglieder der Fröbel-Society schauen
deshalb skeptisch auf die politische Entwicklung. Viele haben den Verdacht,
die neue Aufmerksamkeit für Kinder sei lediglich der demografischen
Entwicklung und dem drohenden Fachkräftemangel geschuldet. „Bei den
heutigen Bildungsplänen haben wir schon wieder das ‚fertige Kind‘ im Bild�…
sagt beispielsweise Museumsleiterin Rockstein. Und der
Erziehungswissenschaftler Michael Winkler aus Jena warnt vor einer neuen
subtilen Normierungstendenz, die sich hinter dem heutigen „fit machen für
den Wettbewerb“ verbirgt: „Leistungsstandards werden oft von nicht
demokratisch legitimierten Gruppen definiert.“ Ob man mithalten könne oder
aus dem Rennen fliege, bleibe meist dem einzelnen Kind überlassen. Winkler
begrüßt einerseits die Wiederentdeckung sozialer Erziehungsformen.
Andererseits sieht er die Gefahr einer „billigeren Kollektiverziehung, die
in Wahrheit mehr Disziplinierung bedeutet“. Das wäre dann freilich der
Anti-Fröbel.
5 Sep 2007
## AUTOREN
MICHAEL BARTSCH
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