# taz.de -- „Wer so etwas sagt, ist eitel hoch drei“ | |
> GEIST Zuletzt ging es bei Suhrkamp nur noch um den Rechtsstreit und | |
> sinkende Umsatzzahlen. Cheflektor Raimund Fellinger sagt jedoch: „2014 | |
> war ein gutes Jahr.“ Ein Gespräch über verpasste Chancen, Schmeichler und | |
> Handke | |
GESPRÄCH ALEM GRABOVAC FOTO WOLFGANG BORRS | |
Pappelallee 78/79, Berlin: seit 2010 die neue Adresse des Suhrkamp | |
Verlages. Im Eingangsbereich Porträts von Peter Suhrkamp und Siegfried | |
Unseld. Der Cheflektor, Raimund Fellinger, tippt gerade noch eine E-Mail zu | |
Ende. Auf seinem Schreibtisch stapeln sich die Manuskripte. Hinter ihm, | |
zwischen Meyers Konversations-Lexikon und den Bänden des Großen Brockhaus, | |
steht ein Foto von Walter Benjamin und Bertolt Brecht. Sie spielen Schach. | |
taz: Herr Fellinger, gibt es eine Anekdote zu diesem Bild? | |
Raimund Fellinger: Siegfried Unseld hat es mir als Reminiszenz für unsere | |
gemeinsamen Schachabende geschenkt. Jahrelang haben wir mehr oder weniger | |
einmal in der Woche Schach gespielt. | |
Wer war besser? | |
Ganz eindeutig Unseld. | |
Was dachten Sie über ihn das erste Mal, als Sie ihn trafen? | |
Kleiner Lektor, großer Verleger. | |
Was machte ihn zum großen Verleger? | |
Auf diese Frage müsste ich Ihnen mit einem Buch antworten. Ganz verkürzt | |
könnte man vielleicht sagen, dass er nicht vorhersehbar war. Er hatte immer | |
noch eine Idee und noch eine und hat diese dann auch konsequent | |
durchgezogen. Und meistens lag er mit seinen Projekten auch richtig. Einer | |
seiner größten Coups war sicherlich die Einführung der edition suhrkamp. Da | |
waren ja zunächst alle dagegen. Aber es gab auch Fehlschläge. | |
Welche? | |
Sein größter Fehlschlag, auch finanziell, war der Deutsche Klassiker | |
Verlag. Die Germanisten sind nicht zu Potte gekommen, man hatte kein | |
verlegerisches Konzept, es fehlte das Bildungsbürgertum, der berühmte | |
Zahnarzt aus Flensburg, der vielleicht doch keine neue Goethe-Ausgabe mehr | |
haben wollte. 700 Bände waren geplant, 180 sind es geworden. | |
Hat er mal ein Manuskript abgelehnt, das bei einem anderen Verlag ein | |
großer Erfolg wurde? | |
Das passiert uns doch allen. Das ist unvermeidbar. Er hat zum Beispiel | |
Umberto Ecos „Im Namen der Rose“ abgelehnt. Im Nachhinein sind alle | |
schlauer. Wir waren der Verlag von Eco, hatten einige seiner | |
wissenschaftlichen Bücher gemacht. Und dann kommt ein Literaturprofessor | |
und sagt, er hat einen Roman. Um Gottes willen, was macht man da? Unseld | |
sagt, gehen Sie da mal hin und machen ein Angebot. Mehr als 10.000 Mark | |
geben wir dem nicht. Kurz darauf war die Messe – okay, geben wir ihm | |
15.000. Und dann hat Michael Krüger vom Hanser Verlag vielleicht 18.000 | |
gezahlt. Und weg war er, der Umberto Eco mit seinem Weltbestseller. | |
Bei wem lagen Sie daneben? | |
In letzter Zeit waren es zwei. Das eine war der Essay von Stéphane Hessel | |
„Empört Euch!“, der ein riesengroßer Erfolg wurde. Es war mir nicht | |
analytisch genug und wir hatten keine Form für so ein schmales Bändchen. | |
Und dann noch André Gorz’ „Brief an D.“ Da hatte ich mich irritieren | |
lassen, da fehlte mir der Mut. Seine Frau hatte eine schwere Krankheit und | |
sie haben vereinbart, dass sie sich beide umbringen werden. Vorher hat er | |
noch ein Buch darüber geschrieben. Ärgerlich, dass wir das nicht gemacht | |
haben. | |
Wie ist ein guter Lektor? | |
Da gibt es einen Grundsatz: Im Prinzip kann alles, was man liest, falsch | |
sein. Da steht zum Beispiel der Satz: Das Buch ist schön. Ja, aber stimmt | |
das wirklich in diesem Kontext, müsste es nicht eher heißen: Das Buch ist | |
vielfarbig, intellektuell, oder sogar beides? Wissen Sie, ein Kollege sagte | |
einmal: Gehen Sie nur nicht zum Fellinger, der schreibt Ihnen sogar den | |
Text auf Ihrer Zugfahrkarte, die Sie als Fahrkostenabrechnung einreichen, | |
noch um. | |
Es heißt, einige Autoren, zum Beispiel Raymond Carver, würden durch ihre | |
Lektoren geprägt. Wie viel Fellinger steckt in den Werken Ihrer Autoren? | |
Dieser Mythos ist grundfalsch. Was bildet sich dieser Lektor ein? Das ist | |
reine Selbstüberschätzung. Solche Lektoren kann ich überhaupt nicht | |
ausstehen. Das sind widerliche Typen. Wer so etwas sagt, ist eitel hoch | |
drei. Warum hat er denn keine eigenen Romane verfasst? Soll er doch selber | |
schreiben. Offensichtlich konnte er es nicht. Made im Speck. In keinem | |
Buch, das ich gemacht habe, ist Fellinger drin. Es gibt Bücher, die habe | |
ich mehr oder weniger redigiert, aber nur so redigiert, dass sie dem Stil | |
des Autors dienen. Selbst wenn man dem Handke oder Bernhard sagt, ändern | |
Sie mal dies oder jenes, ist das doch kein Fellinger. Das ist Bernhard. – | |
„Herr Bernhard, Sie können nicht auf Seite 20 schreiben, die Stube sei | |
klein und nur zwei Meter hoch, und 100 Seiten später einen vier Meter hohen | |
Schrank in dieser Stube haben.“ Durch konzentriertes Lesen bekommt man so | |
etwas raus. | |
Sie waren zeitgleich Bernhards und Handkes Lektor – zweier Autoren, die | |
verfeindet waren. Gab es da Konflikte? | |
Der Bernhard hat einmal gesagt: Jetzt muss ich zu dem blöden Handke-Lektor. | |
Das ist so eine österreichische Eigenart, die sind halt manchmal gerne | |
böse. Aber als Lektor kann man da etwas sehr genau veranschaulichen: Man | |
darf nicht einer Poetik verfallen sein. Man darf nicht sagen, man muss wie | |
Handke oder Bernhard schreiben. Sie müssen beides lektorieren können, ohne | |
vom jeweiligen Stil abzuweichen. Wenn Sie das weiterdenken, könnten Sie | |
auch sagen, dass der Lektor ein Arschkriecher ist. Bei Bernhard ist er ein | |
Bernhard und bei Handke ist er eben ein Handke. | |
Waren Sie befreundet mit den beiden? | |
Bernhard hatte zu niemandem ein freundschaftliches Verhältnis. Der hat | |
niemanden an sich herangelassen. Ein einsamer Mensch war er, der trotzdem | |
immer die Gesellschaft gesucht hat und dort auch glänzen konnte. Er war | |
unglaublich humoristisch, teilweise sogar kalauerhaft. Er konnte natürlich | |
auch böse Briefe schreiben und böse Telefonate führen. Ich habe mir einmal | |
„Die Auslöschung“ von ihm signieren lassen. Eigentlich mache ich das nie | |
mit Autoren, die ich selbst betreue. Und dann schreibt er mir nur diesen | |
lapidaren Satz: „Meinem geliebten Fehlersucher.“ | |
Und Ihr Verhältnis zu Handke? | |
Sehr freundschaftlich. Wenn jemand übrigens einsam gewesen ist, war das | |
nicht, wie gerade behauptet, Bernhard, sondern Handke. Er hat natürlich | |
Freunde und Leute, die ihm schmeicheln und speichellecken, weil sie etwas | |
von ihm wollen. Und Gegner hat er auch. Trotzdem ist er sehr einsam. Das | |
Schreiben und das Menschsein sind bei ihm so verknüpft, wie ich es bei | |
keinem anderen Autor kenne. Und das meine ich nicht als Charakterdefizit, | |
ganz im Gegenteil. | |
In einen Brief an Unseld hat Sie Handke einmal als „Tölpel“ bezeichnet. Hat | |
Sie das verletzt? | |
Das geht ja noch. Vielleicht habe ich ja auch Fehler gemacht. Damit kann | |
ich leben. | |
Handkes Kritiker sagen, dass er mit seiner proserbischen Parteinahme in den | |
Jugoslawienkriegen seinen Ruf als Autor geschädigt hat. Was meinen Sie? | |
Das ist Quatsch. Das war eine Hetzjagd auf ihn, kulminiert im letzten | |
Herbst in Oslo, als sie ihn bei der Ibsen-Preis-Verleihung als Mörder | |
beschimpft haben. Ihre Pressekollegen haben mit ganz wenigen Ausnahmen alle | |
versagt. Man hat ihn nicht richtig gelesen. Aber es war ja alles so | |
einfach: „Handke geht über Leichen“ und andere widerliche Kommentare. Durch | |
eine fulminante Fehlinterpretation seiner Intentionen hat er vielleicht | |
seinen Ruf in der Öffentlichkeit beschädigt. Sein Status als Autor ist und | |
bleibt davon unangetastet. | |
Hat er sich mit seiner Grabrede auf Milosevic’ Beerdigung nicht vollkommen | |
diskreditiert? | |
Darf man nicht einmal mehr auf eine Beerdigung gehen? | |
Man darf natürlich viel. Sie haben, eineinhalb Jahre nach dem Massaker von | |
Srebrenica, gemeinsam mit Handke den Kriegsverbrecher und Anführer der | |
bosnischen Serben, Radovan Karadzic, in Pale besucht. Es gab damals einen | |
Artikel über Sie mit der Überschrift: „Warum besucht ein Suhrkamp-Lektor | |
einen Massenmörder?“ War Ihr Besuch ein Fehler? | |
Nein. Wir wollten sehen, wer dieser Mensch ist. Wir wollten mit eigenen | |
Augen erfahren, was da los ist. | |
Und, was haben Sie erfahren? | |
Zu wenig. Das war alles Fassade. Wir hätten es auch sein lassen können. | |
Trotzdem war es kein Fehler. Handke hat ganz einfach mit ihm geredet. Die | |
Öffentlichkeit braucht Erregungspotenziale. Suhrkamp-Lektor und | |
Massenmörder, das ist natürlich eine gute Schlagzeile. Ihr, die | |
Journalisten, seid leider eine Skandalerregungsgemeinschaft. | |
Verstehen Sie nicht, dass viele, die wegen Karadzic gelitten haben, Ihren | |
Besuch als Affront empfunden haben? | |
Der Autor und sein Lektor sind keine Richter. Natürlich saßen wir in | |
Srebrenica auch mit Leuten zusammen, die uns von dem Massaker erzählten. | |
Wir wollten uns eine eigene Meinung bilden. Man geht ja da nicht über | |
Leichen hin. Man vergisst auch nicht, was die gemacht haben. Natürlich war | |
das auch eine Trotzreaktion von Handke. Der Handke ist immer trotzig. Wenn | |
alle sagen, die Welt sieht so aus, sagt Handke, dass die Welt | |
möglicherweise ganz anders aussieht. So ist er nun einmal. | |
Anfang 2010 ist der Verlag von Frankfurt nach Berlin gezogen. Waren Sie | |
dafür? | |
Dagegen. | |
Warum? | |
Zum einen meinte ich nicht, dass Berlin der Nabel der Welt ist. Dieser | |
Schönheitswettlauf nach Berlin war nicht meine Sache. Man sollte auch | |
Traditionen wahren. Dezentralisierung ist immer gut. | |
Wo wohnen Sie? | |
Ich pendle zwischen Frankfurt und Berlin. | |
Seit einigen Jahren bringt der Rechtsstreit zwischen den Anteilseignern | |
Ulla Unseld-Berkéwicz und Hans Barlach schlechte Schlagzeilen. Worum geht | |
es in dem Streit? | |
Verkürzt könnte man sagen: Barlach ging es um Rendite und | |
Gewinnmaximierung, die andere Seite setzte eher auf literarisches Profil. | |
Dazu kamen unterschiedliche Temperamente der beteiligten Personen, die sich | |
radikalisiert hatten. Wenn Barlach sagt: Sie sind ist nicht an Rendite | |
interessiert und deswegen die letzte Person, man muss Sie rausschmeißen, | |
und wenn Frau Unseld-Berkéwicz sagt: Wenn Sie nur an Rendite interessiert | |
sind, verstehen Sie nichts von Literatur – dann schaukelt sich so etwas | |
hoch. Wobei – ich glaube, dass ich dies hinzufügen darf – Barlach | |
vermutlich selber nicht wusste, was er eigentlich wollte. Das war das | |
Unangenehme bei der ganzen Auseinandersetzung. Aber das ist jetzt alles | |
endgültig vorbei. Suhrkamp ist eine Aktiengesellschaft geworden. Barlach | |
wird in ihr über keine Durchsetzungsmacht verfügen. | |
Hatte Barlach nicht auch recht mit seiner Kritik an Unseld-Berkéwicz’ | |
Führung? Die Umsatzzahlen sinken jedes Jahr. | |
2014 war ein gutes Jahr. Man darf nicht übersehen, dass alle Verlage im | |
Umbruch sind und wir auf ganz verschiedene Herausforderungen reagieren | |
müssen. Und der Suhrkamp Verlag ist besonders betroffen, weil wir | |
diejenigen sind, die gebunden schöne Bücher machen. Denken Sie an die | |
Insel-Bücherei – da können Sie kein E-Book daraus machen. | |
Lesen Sie E-Books? | |
Natürlich. Muss ich ja. | |
Wenn ein Digital Native Ihnen sagt, Suhrkamp sei ein verknöcherter Verlag, | |
der den Anschluss an die Welt verloren hat: Was antworten Sie? | |
Wie kommen Sie darauf, dass wir nicht lernfähig sind? Wir haben ein | |
Suhrkamp-Blog, bei uns heißt das Logbuch, eine Internetseite mit Filmen zu | |
den Autoren und viele Sachen mehr. Da sind wir doch dabei. | |
Kann es eine „Suhrkamp-Kultur“, wie sie einst das Geistesleben in der | |
Bundesrepublik bestimmt hat, noch mal im Zeitalter der Digitalisierung | |
geben? | |
Es spricht vieles dafür. Es ist ja nicht so, dass die E-Books neue | |
Standards gesetzt haben. Alles ist gerade in the making. | |
Sie sind seit mehr als 35 Jahren Lektor bei Suhrkamp. 2013, als der | |
Rechtsstreit die Existenz des Verlages bedrohte, erlitten Sie einen | |
Schlaganfall. Sehen Sie da einen Zusammenhang? | |
Selbst wenn Sie ein hypersensibler Psychosomatiker hoch 25 sind, | |
funktioniert dieser Zusammenhang nicht. Das sind Küchenpsychologien. | |
In der Klinik wollten Sie angeblich als Erstes Le Monde lesen. | |
Ich bin ein Zeitungsfetischist. Momentan lese ich die Süddeutsche, die FAZ, | |
die Le Monde und die Neue Zürcher Zeitung. Das mit der Le Monde stimmt. Ich | |
glaube, dass ich mir und allen anderen beweisen wollte, dass ich wieder | |
Zeitung lesen kann. Das ist ja nicht so einfach nach einem Schlaganfall. | |
Und zum anderen bin ich im Saarland aufgewachsen, Französisch war meine | |
erste Fremdsprache. Ja, die Kindheitserinnerungen und die Fähigkeit, wieder | |
lesen zu können, dies wird es wohl gewesen sein. | |
■ Alem Grabovac, 41, taz-Autor, hat einige Suhrkamp-Bücher im Regal | |
24 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
ALEM GRABOVAC | |
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