# taz.de -- Reich, aber nicht sexy | |
> URBANITÄT Südlich des Spittelmarkts entsteht ein schickes Quartier, in | |
> dem es kaum noch Geschäfte gibt. Bezirk und Architekten schieben sich den | |
> Schwarzen Peter zu. Für Stadtforscher ist es ein Hinweis, dass Käufer | |
> teurer Wohnungen ihre Ruhe haben wollen | |
VON UWE RADA | |
Eine Erdgeschosszone, die wie ein Bunker wirkt, schmale Fenster wie | |
Schießscharten, wo sonst Schaufensterscheiben sind – ist das die neue | |
Urbanität? Sechs Baublöcke mit 122 schicken Eigentumswohnungen umfassen die | |
Beuth-Höfe zwischen Seydelstraße und Beuthstraße in Mitte, aber es gibt | |
genauso wenige Geschäfte wie in einem Plattenbaublock in Marzahn. Die | |
Beuth-Höfe sind damit so etwas wie ein Muster für das neue Quartier, das | |
seit einiger Zeit südlich des Spittelmarkts entsteht: reich, aber wenig | |
sexy. | |
Wenn Kristina Laduch die Beuthstraße vor Augen hat, fällt ihr wenig | |
Positives ein. „Von einem lebendigen Stadtquartier kann keine Rede sein“, | |
sagt die Leiterin des Stadtplanungsamtes in Mitte. „Die Investoren wollen | |
hier nur noch Wohnungen bauen, Läden rechnen sich offenbar nicht mehr.“ | |
Tatsächlich bietet der Anblick auf die Beuthstraße ein eher trostloses | |
Bild. Dort, wo sonst die Glasfronten der Geschäfte für Bäckereiketten, | |
Boutiquen oder Drogeriemärkte werben, reiht sich ein sogenanntes | |
Sockelgeschoss neben das andere. Hinter den unwirtlichen Erdgeschossen | |
verbergen sich Mehrzweckräume, Haustechnik, Fahrradabstellplätze. Über dem | |
Sockelgeschoss, im Hochparterre, beginnt schon die Wohnnutzung. | |
„Die Beuth-Höfe“, heißt es im Projekt der Groth-Gruppe, dem Investor des | |
Quartiers, „das ist ein neues urbanes Quartier am Spittelmarkt in Berlin.“ | |
Kristina Laduch sagt: „Das ist ein Getto der Reichen hinter der | |
sozialistischen Fassade der Leipziger Straße geworden.“ | |
## Neues steriles Stadtviertel | |
Die Beuth-Höfe sind nicht das einzige Bauprojekt, das im neuen Quartier | |
südlich des Spittelmarktes entstanden ist. An der Ecke Alte Jacobstraße zur | |
Kommandantenstraße nehmen die Fellini-Residences für sich in Anspruch, die | |
Eleganz von Rom oder Mailand zu verbreiten – mit einem von Arkaden und | |
Säulen umfassten Eingang zum Innenhof. Zwischen der Seydelstraße und der | |
Elisabeth-Mara-Straße erstreckt sich das Domus-Quartier, ebenfalls mit dem | |
Anspruch gehobenen Wohnens. Schließlich die „Neue Mitte“ an der Neuen | |
Grünstraße. Allen Vorhaben gemeinsam ist wie an der Beuthstraße, dass sie | |
gänzlich ohne Ladenflächen auskommen. Die Architektur des neuen, gehobenen | |
Wohnens geht damit deutlich auf Distanz zur sie umgebenden Stadt und ihrer | |
Öffentlichkeit. | |
Kristina Laduch, die schon seit 1987 – damals als Architektin des | |
Stadtbezirks – die Entwicklung von Mitte mitgestaltet, erinnert sich noch | |
gut an den Immobilienboom nach der Wende. „Damals wurden vor allem | |
Bürobauten hochgezogen“, sagt sie. „Als Bezirk haben wir immer gefordert, | |
dass zum Beispiel rund um die Friedrichstraße auch Wohnungen gebaut werden | |
müssen. Denn nur eine gemischte Stadt ist auch eine lebendige Stadt.“ Heute | |
sei die Situation dagegen genau andersrum. „Weil gehobenes Wohnen | |
inzwischen mehr Rendite verspricht, muss ich als Bezirk in mühseligen | |
Verhandlungen den Investor davon überzeugen, mehr Geschäfte | |
unterzubringen.“ | |
Doch das sei schwierig, räumt Laduch ein. „Es gibt für dieses Quartier am | |
Spittelmarkt keinen Bebauungsplan. Wenn der Bauträger keine Geschäfte will, | |
haben wir keinerlei rechtliche Möglichkeiten, ihn dazu zu zwingen.“ Tobias | |
Nöfer ist der Architekt der Beuth-Höfe, auch er hätte gern mehr Läden | |
eingeplant. Doch das war von der Groth-Gruppe als Bauherr nicht vorgesehen. | |
„Wir haben uns dann für einen Kompromiss entschieden. An der Seite, wo die | |
Beuth-Höfe an die Seydelstraße grenzen, gibt es Einzelhandel. An der | |
Beuthstraße haben wir darauf verzichtet.“ Zur Begründung weist Nöfer darauf | |
hin, wie schwierig es sei, Geschäfte in Straßen zu vermieten, in denen es | |
keine Laufkundschaft gibt. „Was ist, wenn nach einem halben Jahr immer noch | |
das meiste leer steht?“, fragt er. „Im Zweifel“, so die Antwort Nöfers, | |
„ist es besser, ein Sockelgeschoss zu haben als leere Läden.“ | |
## Kein Bebauungsplan | |
Für Nöfer liegt die Verantwortung für die Entwicklung des neuen Viertels | |
auch beim Bezirk. „Hätte es da einen Bebauungsplan gegeben, hätte man die | |
Ladennutzung in den Erdgeschossen festschreiben können.“ Aber auch ohne | |
B-Plan, so Nöfer, hätte man Druck auf die Eigentümer ausüben können. „Das | |
ist dann halt Sache informeller Verhandlungen. Kein Bauherr will | |
schließlich, dass sich sein Bauvorhaben verzögert.“ | |
Fast tausend neue Wohnungen entstehen derzeit zwischen Spittelmarkt und | |
Bundesdruckerei, bezahlbares Wohnen ist nicht darunter. Vielmehr verbreiten | |
viele Projekte die Botschaft von Exklusivität und Stil. „Viele Dichter und | |
Baukünstler des 19. Jahrhunderts haben sich in Italien inspirieren lassen | |
und die Stadt an der Spree zu einer italienischen Enklave gemacht“, heißt | |
es etwa im Prospekt der Fellini-Residences. | |
Diese Tradition soll an der Kommandantenstraße wieder aufleben. Eine 204 | |
Quadratmeter große Wohnung kostet knapp 1,1 Millionen Euro, also etwa 5.000 | |
Euro pro Quadratmeter. Für Interessenten wird ein „Chauffeurservice“ | |
angeboten. | |
In den Beuth-Höfen wird derzeit eine 133 Quadratmeter große Wohnung der | |
„gehobenen Kategorie“ für knapp 5.600 Euro den Quadratmeter angeboten. Ist | |
Gewerbe für eine solche Klientel schlicht ein Störfaktor? Mindert gar die | |
Filiale einer Bäckereikette den Wert der Immobilie? | |
Architekt Nöfer widerspricht. „Die, die hierherziehen, wollen doch selbst | |
um die Ecke einen Kaffee trinken.“ Für ihn ist das Ganze kein kulturelles | |
Thema, sondern schlicht eine kaufmännische Rechnung. | |
Außerdem beklagt der Architekt, dass es der Politik noch immer nicht | |
gelungen sei, den Spittelmarkt umzugestalten. „Das ist doch immer noch eine | |
Autoschneise, wie soll denn da ein lebendiges Viertel entstehen?“ | |
## Störfaktor Gewerbe | |
Ganz anders sieht das Cordelia Polinna. Die Stadtforscherin von „Think | |
Berlin“ hat beobachtet: „Für diejenigen, die in solchen Projekten eine | |
Wohnung kaufen, ist ein Bäcker ein Störfaktor. Damit assoziiert man Lärm, | |
Verkehr, Unsicherheit.“ Polinna glaubt daher: „Ein monofunktionales | |
Quartier verkauft sich besser als ein gemischtes.“ | |
Am Spittelmarkt ist also der Trend für das neue, innerstädtische Wohnen zu | |
beobachten. „Die gemischte Stadt ist noch das Leitbild der Stadtplaner, | |
doch die Realität sieht anders aus“, sagt Polinna. „Die neuen Bewohner | |
wollen zwar Restaurants, aber nicht in ihrem Umfeld.“ Für die Forscherin | |
gibt es nur einen Ausweg. „Im Zweifel muss man sich die Mühe machen, einen | |
Bebauungsplan aufzustellen.“ | |
Für den Spittelmarkt kommt das zu spät, und Kristina Laduch muss deshalb | |
immer wieder mit den Eigentümern verhandeln. „Immerhin“, freut sie sich, | |
„ist es uns gelungen, beim neuen Quartier Pandion an der Kreuzung ein Café | |
unterzubringen.“ | |
20 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
UWE RADA | |
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