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# taz.de -- Mit der Melancholie erkalteter Aufbruchsträume
> KÜNSTLERROMAN 1 Klaus Modick erzählt vom Aufstieg und Fall des legendären
> Worpswede – „Konzert ohne Dichter“
VON CHRISTINE REGUS
Rilke fehlt. Inmitten der ornamentalen Blütenpracht eines symmetrisch
angelegten Gartens sieht man um eine Freitreppe arrangiert eine Gruppe
ernster, junger Menschen. Die Männer musizieren, die Frauen blicken
malerisch ins Leere. Wer sich mit der Kunst um 1900 auskennt, kann das
Anwesen Barkenhoff in Worpswede erkennen sowie diverse Protagonisten der
legendären Künstlerkolonie – vorne links die Künstlerinnen Paula
Modersohn-Becker und Clara Westhoff. Zwischen ihnen hätte der Dichter
sitzen sollen. Das belegen Skizzen zu dem Gemälde „Das
Konzert/Sommerabend“, einem Hauptwerk des Jugendstilmalers Heinrich
Vogeler, das den Mythos von Worpswede stark mitgeprägt hat. Rainer Maria
Rilke, der eine Zeit lang zu dem Kreis gehörte, fehlt auf dem Bild, weil er
der Gruppe nicht mehr sehr verbunden war, als es fertig wurde. Die
Freundschaft zu Vogeler war erkaltet sowie die romantischen Gefühle für
Modersohn-Becker und Westhoff, mit denen Rilke sich in eine
Dreiecksbeziehung verstrickt hatte.
In Klaus Modicks neuem Roman „Konzert ohne Dichter“ erinnert sich Vogeler
auf der Fahrt zu einer Ehrung, die er für ebenjenes Gemälde 1905 erhielt,
an seine Freundschaft zu Rilke. Rückblendenartig erzählt Modick vom Zauber
des ersten Treffens in Florenz bis zum bitteren Nachgeschmack eines steifen
Wortwechsels, als man sich schon nichts mehr zu sagen hatte. Das Ende der
Freundschaft fällt zusammen mit dem Ende der Aufbruchsstimmung und
gegenseitigen Inspiration, die Worpswede um 1900 zu einer Art
Künstlerparadies fern den Akademien gemacht hatten. Gemeinsamkeiten
verschwanden hinter Differenzen, in der Euphorie entstandene Verbindungen
wurden brüchig. Auf dem Bild, das form- und inhaltgebender Ausgangspunkt
des Romans ist, ist die Melancholie unübersehbar, und die Erstarrung, wenn
eine glückliche Konstellation schal geworden ist und alle, anstatt sich
aneinander zu berauschen, nur noch wegwollen.
Worpswede, Rilke, die bildenden Künstler – viel wurde hierzu schon
publiziert, neue Erkenntnisse liefert auch Modick nicht. Es scheint ihm
aber auch nicht darum zu gehen. In der atmosphärisch genauen Beschreibung
von Landschaft, Leuten und Sprache klingt eher eine ernsthafte Zuneigung
zum Norddeutschen, zum Platt, dem Moor und auch der Worpsweder Kunst durch,
sodass man das Buch allein deshalb gern liest. Vor allem aber ist die
Künstlerkolonie ein guter Reflexionsraum über den Kunst- und
Literaturbetrieb – ein seit Jahren bevorzugtes Sujet Modicks. Wie in seinem
letzten Roman „Sunset“, der die Beziehung zwischen Feuchtwanger und Brecht
schildert, rückt er eine Künstlerfreundschaft ins Zentrum eines
historischen Romans und schafft so ein gutes Setting für das Schreiben über
Bedingungen der Literaturproduktion und die Zumutungen des Künstlerdaseins.
Vogeler und Rilke eignen sich hervorragend, um das moderne
Künstlerindividuum zu beleuchten zwischen Selbstvermarktung und materiellen
Nöten, existenziellen Zweifeln und Erfolgssucht, Sehnsucht nach Bindung und
einem ausgeprägten Narzissmus. Erwartungsgemäß kommt Vogeler dabei ganz gut
weg, Rilke nicht.
Beide beherrschten die durchgestylte Inszenierung des exzentrischen
Künstlers formvollendet. Sie kostümierten sich für Sammler, Mäzene,
Verleger – Rilke meist im Russenkittel mit roten Stiefeln, Vogeler als
biedermeierlicher Bohemien. Auftritte und Umgebung wurden bis ins Detail
gestaltet – Vogeler hat den Barkenhoff komplett selbst entworfen, von den
gärtnerischen Anlagen bis zum Hausrat. Und so ist auch Modicks Roman sehr
aufs Äußerliche bezogen, Landschaften und Interieurs wechseln wie Kulissen:
Dachkammer des Dichters – ein florentinisches Bordell – die Hütte im
Schilf. In Sachen Habitus ist besonders Rilkes strenge Selbstauratisierung
köstlich beschrieben, durch das Sezieren der einzelnen Gestaltungselemente
mit komischem Effekt, zumal es wohl kaum humorlosere Selbstkonzepte gibt
als das Rilke’sche.
Geht Rilke bei Modick ganz in einer nietzscheanischen Überhöhung der Kunst
und seines eigenen Genies auf, kann Vogeler nicht mehr glauben. Nicht an
sich, nicht an seine Kunst: „Wann beginnt die Firnis zu reißen? Wann
verfällt Schönheit zur Dekoration und Kulissenschieberei, wann wird sie zur
Lüge?“ Vogeler, der sich später dem Sozialismus zuwandte, macht dieser
irreparable Riss traurig. Trotzdem liefert er seinem Publikum, was es sehen
will. An Rilke kann er nur noch das Fratzenhafte wahrnehmen. Den
notorischen Schnorrer. Die Kälte gegenüber dem eigenen Kind und die
Arroganz gegenüber der Kunst von Modersohn-Becker und Westhoff, die er als
Musen schätzt und in seiner Monografie über Worpswede nicht einmal erwähnt.
Die Verheißung, die der Untertitel „Eine Chronique scandaleuse“ in sich
trägt, löst der Roman nicht ein. Was für die Dorfbewohner damals
Aufregungspotenzial hatte, erscheint heute harmlos. Vielleicht ist der
Titel ein augenzwinkernder Tribut an die Marketingzwänge eines
Schriftstellers, der vom Schreiben leben will – ein Thema, zu dem Modick
unter anderem in seinem Roman „Bestseller“ Stellung bezogen hat. Modick
hält nichts von kunstreligiösem Eifer, so viel ist klar. Es scheint, als
sei der geschäftstüchtige Vogeler nicht nur eine Identifikationsfigur für
den Leser, sondern auch ein bisschen für den Autor. Klaus Modick hat sich,
so wirkt es, mit Gelassenheit entschieden. Er will gut erzählen und auf
hohem Niveau unterhalten, und das kann er auch.
■ Klaus Modick: „Konzert ohne Dichter“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015,
240 Seiten, 17,99 Euro
21 Feb 2015
## AUTOREN
CHRISTINE REGUS
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