# taz.de -- Ein Christ ist 7.000 Euro wert | |
> HISTORIE Die deutschen Kirchen sind reich, das Gesamtvermögen nur zu | |
> schätzen. Dass das so ist, liegt auch an den guten Beziehungen zum Staat. | |
> Ein Blick auf Kirchensteuer, totes Kapital und Klingelbeutel | |
VON PHILIPP GESSLER | |
Draußen am Klingelschild steht nur „Marx“, mehr nicht. Nicht weit von der | |
Münchner Frauenkirche entfernt liegt in einer ruhigen Nebenstraße ein | |
Rokokopalais. Es ist eines der wenigen, das die Zeitläufte seit dem 18. | |
Jahrhundert relativ unbeschadet überstanden hat. Vier Jahre lang, bis 2012, | |
wurde das Palais Holnstein, so sein offizieller Name, aufwendig renoviert. | |
Die Kosten: knapp 9 Millionen Euro. Der weiße dreistöckige Stadtpalast ist | |
der Amts- und Wohnsitz des Erzbischofs von München und Freising, Reinhard | |
Kardinal Marx. Die Kirche trug zur Renovierung des prachtvollen Gebäude nur | |
2,2 Millionen Euro bei. | |
Die Kirchen in Deutschland sind reich – wer etwas anderes behauptet, ist | |
nicht gut informiert. Auf rund 350 Milliarden Euro wird das Vermögen der | |
beiden Volkskirchen mit ihren rund 48 Millionen Mitglieder geschätzt. Doch | |
Vorsicht: Die 350 Milliarden Euro sind nicht nur eine konservative | |
Schätzung – auch der Begriff „Vermögen“ trifft es nur halb. | |
Vielleicht sollte man den etwas schwammigen und sperrigen Begriff | |
„Gesamtreichtum“ nutzen. Denn vieles am Reichtum der Kirchen ist totes | |
Kapital. Das Geldanlage- und Grundvermögen ist noch recht gut zu berechnen. | |
All der über Jahrhunderte angehäufte Reichtum der christlichen | |
Glaubensgemeinschaften aber ist in seinem Wert noch nicht mal zu schätzen – | |
und zudem oft unverkäuflich. Das trifft etwa auf die Domschätze und die | |
meisten alten Kirchenbauten zu, etwa den Kölner Dom. | |
## Solchen Kirchenreichtum gibt es nur in Deutschland | |
Der Autor und Redakteur Matthias Drobinski von der Süddeutschen Zeitung, | |
einer der führenden Kirchenexperten des Landes, hat vor zwei Jahren das | |
Buch mit dem sprechenden Titel „Kirche, Macht und Geld“ herausgegeben. | |
Darin verweist er ebenfalls auf die genannten 350 Milliarden Euro | |
Geldanlage- und Grundvermögen der Kirchen hierzulande. Aber er macht auch | |
eine andere Rechnung zum Vergleich auf: Teile man diese Summe durch die | |
noch rund 48 Millionen Mitglieder dieser Kirchen, dann komme auf jeden | |
Gläubigen eine Summe von rund 7.200 Euro. Angesichts des Alters der | |
kirchlichen Institutionen kann man durchaus diskutieren, ob das besonders | |
viel ist. | |
Dennoch: Das Gesamtvermögen der Kirchen, 350 Milliarden Euro, sind eine im | |
globalen Maßstab außergewöhnlich hohe Summe. Das liegt vor allem an einem | |
anderen, ganz besonderen Instrument der hiesigen Kirchenfinanzierung: der | |
Kirchensteuer. Auch die gibt es in dieser Form nur in Deutschland – | |
nirgendwo sonst zieht der Staat im Auftrag der Kirchen automatisch einen | |
Teil der Einkommensteuer zugunsten religiöser Gemeinschaften ein, sobald | |
sich die arbeitende und Steuer zahlende Person als Kirchenmitglied hat | |
eintragen lassen. Jährlich erhalten die beiden Volkskirchen so jeweils rund | |
5 Milliarden Euro zu ihrem Eigentum dazu. | |
Allerdings gilt erstens: Wer keine Arbeit hat oder pensioniert ist, zahlt | |
auch als Kirchenmitglied keine Kirchensteuer. Für immerhin zwei Drittel der | |
Kirchenmitglieder trifft dies zu. Zweitens: Zwar ziehen die Finanzämter die | |
Kirchensteuer in Höhe von acht oder neun Prozent der Lohn- und | |
Einkommensteuer, je nach Bundesland, ein. Allerdings profitiert der Staat | |
auch von dieser Dienstleistung für die Kirchen, denn zwischen zwei und vier | |
Prozent des Kirchensteueraufkommens darf er für sich behalten. Das addiert | |
sich auf zweistellige Millionenbeträge pro Jahr. Auch der Staat profitiert | |
von der Kirchensteuer. | |
Bislang hat sich nur der Politologe Carsten Frerk, der dem | |
kirchenkritischen Säkularisten-Verein Humanistischer Verband Deutschlands | |
nahesteht, die Mühe gemacht, den Reichtum der Kirchen in der Bundesrepublik | |
zu ermitteln. Von ihm stammt die Schätzung des kirchlichen Gesamtvermögens | |
auf 350 Milliarden Euro. Seine Analyse der Haushalte, die Arbeit in | |
kirchlichen und staatlichen Archiven in rund 50 katholischen Bistümern und | |
evangelischen Landeskirchen hat rund zwei Jahre gedauert. Es war eine | |
notwendige Aufgabe, die aller Ehren wert ist. Sie hat Frerk zu einem der | |
bedeutendsten deutschen Kirchenfinanzexperten gemacht, der sogar zu | |
Fachtagungen in kirchlichen Akademien eingeladen wird. | |
Bekannt ist, dass die beiden Volkskirchen zusammen 10 Milliarden Euro | |
Kirchensteuern jährlich erhalten. Eine ungefähr ebenso hohe Summe nehmen | |
die protestantische und die katholische Kirche insgesamt noch einmal pro | |
Jahr ein, aus Zinserträgen, staatlichen Zuschüssen, Mieten, Schulgeld und | |
Kollekten. | |
Während Schulgeld und Kollekten eher unproblematisch sind, da niemand | |
gezwungen ist, sein Kind auf eine kirchliche Schule zu schicken oder im | |
Gottesdienst den Klingelbeutel zu füllen, sieht das bei den Zinserträgen, | |
bei den Zuschüssen und bei den Mieten anders aus. Experten gehen davon aus, | |
dass allein die katholische Kirche rund 150.000 Gebäude ihr Eigen nennt und | |
im Besitz von über 240.000 Hektar Land ist. | |
Denkt man an den Reichtum der Kirchen, erinnert man sich an die heftige | |
Diskussion über das rund 31 Millionen Euro teure Bauprojekt des ehemaligen | |
Limburger Bischofs Tebartz-van Elst. Die Residenz wurde nun der | |
Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Anders als oft behauptet wurde, findet | |
man dort weder einen Swimmingpool noch goldene Wasserhähne. Die | |
bischöfliche Badewanne war auch nicht 15.000 Euro teuer, wie zu lesen war. | |
Doch dringt man bei der Recherche zum Reichtum der deutschen Kirchen zu | |
Einnahmen, die zweifellos etwas Skandalöses haben, nämlich die sogenannten | |
Staatsleistungen. | |
Für das „Kirchenregiment“ und etwa in Form von Personalzuschüssen erhalten | |
die beiden Volkskirchen zusammen vom Staat noch einmal über 450 Millionen | |
Euro jährlich. Diese Summen gelten staatskirchenrechtlich immer noch als | |
Ausgleichszahlungen für die Säkularisierung vor rund 200 Jahren, als sich, | |
grob gesagt, die deutschen Fürsten kirchlichen Besitz aneigneten – unter | |
anderem als Ausgleich für die Territorien, die ihnen Napoleon entrissen | |
hatte. | |
Dabei blieb es aber nicht. Im Laufe des 19. Jahrhunderts sicherten die | |
deutschen Landesherren den Geistlichen in ihren Herrschaftsgebieten immer | |
weitere Leistungen zu. Denn von irgendetwas mussten diese, nach Entzug | |
vieler Einnahmequellen durch die Säkularisierung, leben. Diese staatlichen | |
Leistungen führten nicht zuletzt dazu, dass der deutsche Klerus in der | |
Regel lange Zeit zuverlässig obrigkeitshörig war – bis zu der Tatsache, | |
dass die protestantischen Pfarrer in Preußen bis zur Revolution von 1918 de | |
facto Staatsbeamte waren. Dass die beiden Volkskirchen in der NS-Zeit 15 | |
Jahre später so gut wie keinen Widerstand gegen die Diktatur leisteten – | |
sieht man von heroischen Einzelpersonen ab –, liegt auch in dieser | |
Tradition des allzu engen Staat-Kirche-Verhältnisses. | |
Eine Folge dieser besonderen Verflechtung von Staat und Kirche hierzulande: | |
Bis vor wenigen Jahren erhielt der evangelische Landesbischof in Bayern | |
noch direkt vom Freistaat ein monatliches Salär von über 10.000 Euro. | |
Allerdings, so betonte der frühere evangelische Landesbischof Heinrich | |
Bedford-Strohm, erhielten auch atheistische und humanistische Verbände | |
Staatsleistungen. Ende vergangenen Jahres ist Bedford-Strohm zum neuen | |
EKD-Ratsvorsitzenden aufgestiegen. Matthias Drobinski hat recherchiert, | |
dass schon ein Weihbischof mindestens 6.600 Euro im Monat verdient – die | |
Geld werten Vorteile ihrer oft gut gelegenen Wohnungen nicht mit berechnet. | |
Die vielleicht wichtigste Zahl im Zusammenhang mit der Kirchenfinanzierung | |
sind jedoch die etwa 45 Milliarden Euro, die die staatlichen | |
Sozialversicherungssysteme den Kirchen pro Jahr überweisen. So viel | |
erhalten die großen kirchlichen Sozialhilfeverbände Diakonie und Caritas, | |
damit diese ihre Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime sowie Kitas | |
unterhalten können. | |
Sicherlich, die Gesellschaft erhält dafür etwas zurück, nämlich Hilfe für | |
Kranke, Alte und Kinder. Aber das alles geschieht unter christlichem Namen | |
und vor allem nach dem christlichen Arbeitsrecht, das auch in das | |
Privatleben der Angestellten hineinfunken darf. Bei manchen kirchlichen | |
Einrichtungen werden 100 Prozent der laufenden Kosten vom Staat getragen. | |
Carsten Frerk schätzt sogar, dass im gesamten Bereich der Caritas und | |
Diakonie nur rund zwei Prozent der Kosten von den Kirchen selbst finanziert | |
werden. | |
Woran liegt das Interesse des Staates an diesem System? Nun, zum einen | |
spart der Staat die rund zwei Prozent, die bei den großen karitativen | |
Sozialverbänden eben doch von den Kirchen stammen – vergleichsweise wenig, | |
aber angesichts der immensen Summen, die in diesem Feld auflaufen, sind es | |
eben doch Millionenbeträge. Außerdem haben die beiden großen Kirchen rund | |
1,5 Millionen Angestellte. Sie sind die zweitgrößten Arbeitgeber der | |
Bundesrepublik, nach dem Staat selbst. Warum sich mit ihnen anlegen? | |
## Kirchliche Kindergärten sind billiger | |
Die Zahl der Mitarbeiter in kirchlichen Häusern der Caritas und Diakonie | |
hat sich seit 1950 nicht etwa verringert, sondern verfünffacht – häufig | |
weil es für den Staat billiger ist, eine kirchliche Einrichtungen zu | |
subventionieren, statt sie selbst zu tragen. Diese Logik hat die Autorin | |
Eva Müller beschrieben. Sie hat das Buch „Gott hat hohe Nebenkosten. Wer | |
wirklich für die Kirchen zahlt“ geschrieben. Darin zitiert sie einen | |
Bürgermeister in Nordrhein-Westfalen mit den Worten: „Einen staatlichen | |
Kindergarten aufzumachen ist viel teurer, weil der kommunale Kindergarten | |
wesentlich geringere Landeszuschüsse bekommt und dann der Anteil, den die | |
Stadt zahlen muss, dementsprechend höher ist.“ | |
Nach längerem Klingeln am Palais Holnstein öffnet ein freundlicher | |
Mitarbeiter von Kardinal Marx das Tor des Amts- und Wohnsitzes des | |
Erzbischofs. Er ist ein Geistlicher, wie sein weißer Kragen offenbart. Beim | |
Gang hinauf in den ersten Stock, zu den Repräsentationsräumen des | |
Kardinals, bemerkt der Geistliche, dass der Reporter beeindruckt ist von | |
der Pracht des Gebäudes. In Zeiten von Papst Franziskus und seiner Idee | |
einer armen Kirche der Armen kommt solche Pracht nicht so gut. Das Gebäude, | |
sagt der Geistliche daraufhin fast entschuldigend, gehöre nicht der Kirche, | |
sondern dem bayerischen Staat. Ebendas ist wahrscheinlich das Problem. | |
28 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
PHILIPP GESSLER | |
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