# taz.de -- Bloß nicht in die Queere kommen | |
> FEMINISMUS Brauchen politisch engagierte Frauen noch jene geschützten | |
> Räume, die in den 80ern und 90ern hart erkämpft und teilweise besetzt | |
> wurden? Ein Treffen zweier Generationen in der Begine in Schöneberg, dem | |
> ältesten Frauencafé der Stadt | |
VON MALENE GÜRGEN (TEXT) UND ANJA WEBER (FOTOS) | |
Die Potsdamer Straße an einem Märznachmittag ist ein belebter, aber nicht | |
unbedingt freundlicher Ort. Der Himmel ist grau, die Gesichter der auf der | |
Straße entlanghetzenden Menschen sind es auch. Dazwischen ein sonnengelbes | |
Schild: „Begine – Kultur für Frauen – Frauenkneipe“. In den Fenstern h… | |
Plakate für die nächsten Veranstaltungen: die „Tanzfieber-Party mit | |
Marion“, den Frauentauschring „Ladies TauschTraum“. | |
Drinnen Wände im gleichen Sonnengelb, die Theke im vorderen Teil des Raums, | |
ein Klavier im hinteren. An den Wänden sehr bunte Bilder. Hier sitzen | |
Barbara Hoyer und Manu Giese, 59 und 54 Jahre alt, früher mal ein Paar und | |
Urgesteine der Begine, die im nächsten Jahr 30 wird. Daneben Anna, 26 Jahre | |
alt, die seit fünf Jahren in Berlin lebt, lange Teil eines | |
queerfeministischen Tresenkollektivs war und sich auskennt in dem, was als | |
„netzfeministische Szene“ bezeichnet wird. Alle drei sind lesbisch, alle | |
drei verstehen sich als Feministinnen. Anna stellt da allerdings noch ein | |
„Queer“ davor, während die anderen hinter dieses Wort wiederum kein | |
„-feminismus“ setzen würden – aber dazu später mehr. | |
In der Begine ist Anna an diesem Tag zum ersten Mal, die drei duzen sich | |
trotzdem sofort. Erst mal einen Kaffee. Alle drei reden sehr bestimmt: Es | |
ist offensichtlich nicht das erste Mal, dass sie sich über die Themen | |
dieses Gesprächs Gedanken machen. Wörter wie Cis-Männer – also Menschen, | |
die bei ihrer Geburt als männlich identifiziert wurden und sich auch selbst | |
so definieren, im Unterschied zu Trans-Männern – benutzen alle drei ganz | |
selbstverständlich. | |
Manu: Männer hatten hier von Anfang an keinen Zutritt, und das ist bis | |
heute so. | |
Barbara: Das ist mir politisch wichtig, dass es solche Räume gibt. Und ich | |
brauche das auch persönlich | |
Anna: Das geht mir auch so. Als ich aus meiner ostwestfälischen Kleinstadt | |
nach Berlin gekommen bin, war es unglaublich wichtig für mich zu entdecken, | |
dass es hier solche Räume gibt. | |
Barbara: Ja, dieses Erlebnis hatte ich auch, als ich nach Berlin gekommen | |
bin. | |
Anna: Heute habe ich mir auch privat ein fast komplett cistypenfreies | |
Umfeld geschaffen und habe deswegen im Moment gar nicht mehr so das | |
Bedürfnis, viel wegzugehen. Früher war ich oft im Silverfuture, kennt ihr | |
das? | |
Barbara: Nee, kenn ich gar nicht. | |
Anna: Das ist eine queere Bar auf der Weserstraße. Seit sich die Straße so | |
verändert hat, ist das kein Ort mehr, an dem ich mich wohl fühle. Da | |
verirren sich jetzt immer öfter unangenehme Typengruppen hin, die nicht | |
wissen, was das für ein Raum ist. | |
Barbara: Daran sieht man, dass es wichtig ist, eine klare Türpolitik zu | |
haben – auch wenn das nicht immer einfach ist. | |
Das Haus, in dessen Erdgeschoss die Begine ihren Platz hat, wurde 1981 von | |
Frauen besetzt, Manu war damals schon dabei. Die Besetzerinnen gründeten | |
einen Verein, und sie setzten das baufällige Haus im Auftrag des Senats | |
instand – nach Feierabend und am Wochenende. Alle drei Monate fand eine | |
Bauabnahme statt. War alles korrekt, bekamen sie die nächste Summe Geld für | |
die Sanierung. | |
1986 dann war das Haus renoviert, und im Erdgeschoss wurde die Begine | |
gegründet. Kulturzentrum, Kieztreff, Frauenkneipe. „Wir galten damals in | |
der Szene eher als die Bürgerlichen. In der Frauenbar ‚Pelze‘ nebenan | |
trafen sich die Avantgardistinnen, die fanden uns langweilig“, sagt | |
Barbara, die 1990 zur Begine kam. | |
Anna und ihr Umfeld, das wird im Laufe des Gesprächs deutlich, bewegen sich | |
in anderen Räumen als Barbara und Manu. Nicht nur, dass Anna eher in die | |
queeren Bars und Clubs in Kreuzberg und Neukölln geht, als in die | |
schwul-lesbischen Klassiker in Schöneberg. Vor allem nutzt sie einen Ort, | |
den Barbara und Manu nach eigener Einschätzung ungefähr so gut kennen wie | |
Anna bisher die Begine: die queerfeministische Blogosphäre, die spätestens | |
seit der Gründung des Blogs „Mädchenmannschaft“ im Jahr 2007 blüht und | |
gedeiht. Viele in Annas Umfeld schreiben eigene Blogs, und auch wenn sie | |
sich selbst nicht als Netzaktivistin bezeichnen würde, sei das doch ein | |
nicht wegzudenkender Teil ihrer Auseinandersetzung mit diesen Themen. | |
Anna: Da ist ein Netzwerk entstanden, das superschnelle Reaktionen und | |
Mobilisierungen ermöglicht. Texte werden verbreitet und kommentiert, | |
Kampagnen ins Leben gerufen. Da findet ganz viel wichtige Diskussion statt. | |
Barbara: Tatsächlich kenne ich das aus meinem Umfeld jetzt nicht so, dass | |
man hauptsächlich im Internet unterwegs ist. Für uns ist die direkte | |
Begegnung schon sehr wichtig. | |
Anna: Ich würde das nicht im Widerspruch sehen zu dem, was es an physischen | |
Räumen gibt – das muss zusammengedacht werden. Und oft landen Diskussionen | |
oder Mobilisierungen aus dem Netz dann am Ende ja auch wieder in der Stadt | |
und auf der Straße – und andersherum. | |
Barbara: Ich weiß nicht. Ich finde schon, dass sich da etwas sehr | |
nebeneinanderher und getrennt voneinander entwickelt. Das klingt toll, was | |
du da beschreibst. Aber ich als Mensch, der nicht so viel im Internet | |
unterwegs ist, bin doch davon ausgeschlossen. | |
Schnittpunkte gibt es dennoch: Der Erfahrungsaustausch mit älteren | |
Femininistinnen sei ihr und ihrem Umfeld wichtig, sagt Anna, das | |
Lesbenarchiv „Spinnboden“ in Mitte ein Ort, den sie gerne besuche. Und | |
Barbara berichtet von einer Lesung einer Mädchenmannschafts-Bloggerin in | |
der Begine: „Das war toll, da saßen die Älteren und die Jungen zusammen und | |
haben diskutiert, über Begriffe und Bewertungen, aber ganz solidarisch und | |
aneinander interessiert.“ | |
## Kaum verändertes Konzept | |
Es sei schon so, dass die Begine eher von Frauen über 40 besucht werde, | |
sagt Manu. Vielleicht liege das auch daran, dass in all den Jahren das | |
Konzept nur wenig verändert wurde: Es gibt die Kneipe, die in der Regel ab | |
17 Uhr geöffnet ist, und es gibt das Kulturzentrum, das die fast täglich | |
stattfindenden Veranstaltungen organisiert und sich der Förderung | |
unbekannter Künstlerinnen verschrieben hat. Das Kulturzentrum wird von der | |
Senatsverwaltung für Frauen gefördert, jedes Jahr müssen neue Anträge | |
gestellt werden, „aber das kennen wir. So etwas wie Planungssicherheit | |
hatten wir nie“, sagt Barbara. | |
Nach der Wende wurde die Hälfte der Förderung gestrichen. Manu, Barbara und | |
der Rest des damaligen Teams stiegen deswegen in den 90er Jahren aus, die | |
Kneipe und das Kulturzentrum wurden daraufhin getrennt organisiert. Seit | |
2004 sind die beiden wieder dabei, und seitdem gibt es auch wieder ein | |
Team, das sich um beide Bestandteile der Begine kümmert. Eine | |
25-Stunden-Stelle ist durch die Förderung finanziert, der Rest läuft | |
ehrenamtlich. „Eine Kneipe nur für Frauen wird sich finanziell nie tragen. | |
Das hat einfach mit dem unterschiedlichen Trinkverhalten zu tun“, sagt | |
Barbara. | |
Etwa einmal im Jahr gebe es im Team die Diskussion, ob man die Kneipe nicht | |
doch auch für Männer öffnen sollte, sagt Barbara. Bisher konnten sich die | |
Gegnerinnen einer solchen Öffnung immer durchsetzen. | |
Barbara: Das Verbot gilt auch für Transmenschen. Wenn die zu männlich | |
aussehen, dann sagen wir klar, dass das nicht geht. | |
Anna: Ihr macht also am äußerlichen Erscheinungsbild fest, ab wann eine | |
Transperson, die vorher ein und aus gegangen ist, plötzlich nicht mehr | |
reindarf? | |
Manu: Ja, das ist auch manchmal schwierig, wenn Frauen diesen Prozess | |
durchmachen und wir ihnen irgendwann sagen müssen, es tut uns leid, aber du | |
kannst hier jetzt nicht mehr rein. | |
Anna: Das finde ich superkrass – wie wird denn entschieden, ab wann eine | |
Person dann „zu männlich“ aussieht? Und hat das dann nichts mit anderen | |
Dingen wie Verhalten zu tun? In den queerfeministischen Orten, in denen ich | |
mich bewege, sind Transpersonen ganz explizit mitgedacht und mitgemeint. | |
Wobei auch diese Räume keine diskriminierungsfreien Räume sind, auch dort | |
gibt es Ausschlüsse. Das Wohlfühlen einiger geht immer auf Kosten anderer. | |
Barbara: Wir haben hier auch Besucherinnen, die einen Schutzraum wollen, | |
weil sie zum Beispiel Gewalterfahrungen gemacht haben. Da geht es nicht, | |
dass wir hier Leute sitzen haben, die äußerlich nun mal einfach wie Männer | |
aussehen. Für Transfrauen sind wir natürlich offen. | |
Anna: Mit Betroffenen sexualisierter Gewalt parteilich zu sein ist mir auch | |
sehr wichtig. Das steht für mich auch nicht im Widerspruch dazu, Kritiken | |
an eurer Position zu und Auseinandersetzung mit trans* zu haben. Das ist | |
auch ein Grund, weshalb das dann hier nicht unbedingt ein Raum für mich | |
ist. Also vielleicht mal für eine Veranstaltung, aber regelmäßig herkommen | |
würde ich nicht. Da ist der politische Konflikt doch zu groß. | |
Barbara: Das finde ich schade und auch sehr eng gedacht von dir. | |
Anna: Ich kann ja schon nachvollziehen, dass ihr wollt, dass das hier ein | |
Frauenraum ist. Aber dann muss das doch heißen, dass alle, die sich als | |
Frau definieren, hier reindürfen und nicht nach Aussehen aussortiert wird. | |
Das ist eine wichtige queerfeministische Erkenntnis, finde ich. | |
Barbara: Und genau mit diesem Queer habe ich eben meine Probleme. Ich war | |
schier entsetzt, als ich mit ansehen musste, wie das Aufkommen von Queer | |
unsere feministischen Forderungen unterhöhlt hat. | |
Dass die drei Menschen am Tisch kaum gemeinsame Treffpunkte haben, liegt | |
nicht nur daran, dass sie in verschiedenen Stadtteilen leben oder | |
unterschiedlich viel das Internet nutzen. Es sind auch politische Fragen, | |
die zu den räumlichen Trennungen führen: die Haltung zu Transidentität, zu | |
Sexarbeit, zu Zweigeschlechtlichkeit. Fragen, die nicht neu sind, die aber | |
unvermindert für Zündstoff sorgen. Nichtsdestotrotz ist zwischen den dreien | |
viel Respekt und Verbundenheit zu spüren. Und immer wieder betonen sie, wie | |
wichtig eine solche Auseinandersetzung zwischen den Generationen sei. Und | |
wie schade es sei, dass sie nicht öfter geführt werde. | |
Die möglichen Orte für solche Debatten werden tatsächlich weniger: Die | |
Begine ist die einzige der in den 80er Jahren gegründeten Frauenkneipen in | |
Berlin, die es heute noch gibt. | |
Barbara: „Wir wünschen uns natürlich, dass aus dem, was es gerade an junger | |
feministischer Bewegung gibt, vielleicht wieder solche Orte entstehen. | |
Manu: Wir werden ja schon von Touris aus den Reisebussen fotografiert. Die | |
finden das exotisch, eine Frauenkneipe. | |
Anna: Ich denke, dass es in meinem Umfeld ein Bedürfnis nach Räumen gibt, | |
in denen Menschen, die sich nicht als cis-männlich verorten, unter sich | |
sind. Und ich habe Respekt vor dem, was ihr hier aufgebaut hab. Aber Orte, | |
die jetzt entstehen, müssen aus meiner Perspektive mitdenken, was es an | |
queerfeministischen Kritiken gibt. Sonst sind das nicht meine Orte. | |
7 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
MALENE GÜRGEN | |
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