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# taz.de -- Schöne Aussteiger
> MYTHEN Als Popmusiker clean sein – geht das? Für Patty Schemel und Jeff
> Tweedy ist diese Frage lebenswichtig
VON CHRISTIAN WERTHSCHULTE
Patty Schemel hat’s geschafft. Glücklich steht sie auf der Bühne des Museum
of Modern Art in New York. Soeben hatte „Hit So Hard“, ein Dokumentarfilm
über ihr Leben, hier seine Premiere. Jetzt steht sie im Scheinwerferlicht,
im Hintergrund die ehemaligen BandkollegInnen von Hole, wo Patty Schemel
seit 1992 hinter dem Schlagzeug saß. Damals war sie ein Role Model für
viele Frauen, eine offen lesbische Schlagzeugerin bei einer der
erfolgreichsten Alternative Bands der frühen Neunziger.
Im MOMA aber sagt ihre Kollegin Melissa auf der Maur: „Ich bin froh, dass
Patty noch unter uns ist.“ Mit dem Erfolg von Hole stieg der Druck auf die
Ausnahmeschlagzeugerin. Schemel begann Heroin zu nehmen, was schließlich
ihr Aus bei der Band bedeutete. Bei den Aufnahmen zu Holes drittem Album
„Celebrity Skin“ wurde sie durch einen Studiomusiker ersetzt.
Auch Kurt Cobain ist in „Hit so hard“ zu sehen. Gemeinsam mit seiner Frau
Courtney Love und Patty Schemel sitzt er in der Badewanne und sagt: „Ich
werde meine Mädchen niemals allein lassen.“ Fast zwei Jahre später
erschießt er sich nach einer abgebrochenen Entziehungskur. Patty Schemel
hat Cobain und das Heroin überlebt – heute hat sie mit ihrer Partnerin ein
Kind, macht weiter Musik und hat ihre Geschichte erzählen können. „Hit so
hard“ besteht aus Video-Aufnahmen, die Schemel selbst gedreht hat. Anders
als ihre BandkollegInnen führte sie kein Tagebuch, sondern trug eine kleine
Kamera mit sich herum, um den Touralltag zu dokumentieren. Nach einem
Drogenentzug übergab sie die Bänder dem Regisseur P. David Ebersole. „Ich
sagte ihm: Gib gut darauf acht und erzähle meine Geschichte.“
## Celebrity Rehab
Eigentlich sind Biografien wie die von Schemel im stilistisch geordneten
Drogenuniversum nicht vorgesehen. Michel Foucault beschrieb den
Drogennutzer in einem Interview einmal als jemanden, der sich in einem
Stadium zwischen Normalität und Pathologisierung befindet. Weder gibt er
sich mit der biochemischen Balance des drögen Alltags zufrieden, noch kann
er wie der Süchtige in das Gefüge aus Anstalt, Sozialarbeit und Medizin
überwiesen werden, in dem „Sucht“ als Krankheit produziert wird, um
schließlich vom selben Gefüge geheilt zu werden. Ohne es zu wissen, hatte
Foucault das poptaugliche Modell des Drogengebrauchs beschrieben.
Egal, ob The Velvet Underground ihren Heroin-Nutzer an der Ecke rumstehen
und auf seinen Dealer warten lassen oder der Superstar-DJ in totaler
Verpeiltheit „Feierei“ ins Mikro brüllt: Alles geht, solange man ohne Hilfe
mit dem Konsum klar kommt. Der öffentliche Drogennutzer ist das
Vorzeigemodell eines erfolgreichen Selbstmanagements – selbst im Exzess
behält er den nötigen Cool. Damit einher geht ein Anspruch auf
Authentizität. Wer über Drogen singt und schreibt, muss dem Nüchternsein
wie Amy Winehouse ein lautes „No, No, No“ entgegenwerfen, oder die
Glaubwürdigkeit ist dahin. Gleichzeitig wird die Droge zur Erklärung und
Bedingung von Kunst stilisiert. Anstatt in den Gitarrenfeedbacks des
ehemaligen Pink-Floyd-Gitarristen Syd Barrett das Produkt von
Verstärkertechnik, kapitalstarken Plattenfirmen und der Experimentierfreude
eines Autodidakten zu sehen, reduzieren Fans und Kritik seine Musik auf die
Drogen, deren Missbrauch Barrett schließlich dazu zwingt, das Musikmachen
aufzugeben.
Für als Drogenkonsumenten gescheiterte Musiker ist ein künstlerisches
Überleben zuerst als öffentlich inszenierte Ausnüchterung denkbar. Für die
Reichen und Schönen hat sich die südkalifornische Stadt Malibu zuletzt zum
bevorzugten Ausnüchterungsressort gewandelt. Hier heißen die Kliniken
„Passages“ oder „Wonderland“ und bieten neben der nötigen Wellness auc…
Chance, durch eine geschickt lancierte An- und Abreise den Entzug als Teil
des persönlichen Coming-of-Age karrieretauglich zu vermarkten. Robbie
Williams hat sich mit seinem Schmerzmittelentzug auch gleich von seinem
Image als Spielkind verabschiedet.
Diejenigen, deren unternehmerisches Celebrity-Selbst weniger Rendite
abgeworfen hat, müssen dagegen mit einem schmucklosen Flachbau im
kalifornischen Pasadena vorlieb nehmen. Hier residiert die Praxis von Drew
Pinsky, approbierter Arzt und im Hauptberuf Fernsehmoderator. Seit 2008
sitzt er Drogensüchtigen in einem bequemen Stuhl gegenüber und hört sich
Geschichten über nicht überwundene Traumata, Karriereknicks und Missbrauch
durch den Vater an. Beobachten kann man ihn dabei in „Celebrity Rehab with
Dr. Drew“ – einem Reality-Format des Musiksenders VH1. Kinderstars erzählen
hier von ihrem Steroidmissbrauch und Minderwertigkeitsgefühlen. Mike Starr,
der ehemalige Bassist der Grunge-Band Alice in Chains wird vor laufender
Kamera über den Herointod seines ehemaligen Bandkollegen Layne Staley
ausgefragt. Starr musste die Band 1993 wegen seiner Drogenprobleme
verlassen, im März dieses Jahres stirbt er als erster Teilnehmer der Show
selbst an einer Überdosis und wird nicht als Musiker, sondern als
„Celebrity Rehab Rocker“ verabschiedet.
„Celebrity Rehab“ inszeniert die Authentizität seiner Darsteller passend
für das stereotype Weltbild seines Publikums, gleichgültig ob es durch
puritanische Drogenverteufelung, popkulturelle Schadenfreude oder den
wissenschaftlichen Zweifel an den porträtierten Therapiemethoden geprägt
ist. Denn über die Ursache der Drogensucht herrscht bei „Celebrity Rehab“
immer schon Einigkeit: Exzess, Überforderung oder eine schlimme Kindheit.
Zur Komplettierung der Sammlung an Rockklischees fehlt nur die Erwähnung
der nicht endenden Langeweile im Tourbus.
„Mich hat die Vorstellung des leidenden und verdrogten Künstlers immer
abgestoßen. Dass ich einmal diesem Stereotyp entsprechen könnte,
verursachte immer ein wenig Übelkeit.“ Der Autor dieser Sätze ist Jeff
Tweedy, Sänger und Gitarrist der Indieband Wilco. Seit seiner Kindheit litt
er unter Migräne, oft in Verbindung mit Panikattacken. Irgendwann gab ihm
jemand auf einer Party Schmerzmittel, so begann es.
„In den schlimmsten Phasen meiner Migräne wurde es immer schwieriger, den
Kreislauf aus Schmerzen und dem Einwerfen von Schmerzmitteln zu
durchbrechen“, schreibt er in einem Artikel für die New York Times. „Ich
war selten länger als ein paar Stunden am Tag fähig, normal zu
funktionieren.“ Wilcos Album „A Ghost is born“ hört man die Probleme ihr…
Songschreibers an. Tweedys Songs wirken inkohärent, sie fransen aus in die
drogeninduzierte Wiederholung einfacher Akkordschemata, die kein Zitat der
Psychedelic-Ära sind, sondern Tweedys Konzentrationsprobleme aufzeigen.
Trotzdem ist die Platte erfolgreich – zum ersten Mal gewinnen Wilco einen
Grammy.
## Schmerzmittel per Pflaster
Trotz Tweedys Wissen um die Klischees von Rockstars und Drogen wirkt es
eher wie ein glücklicher Zufall, dass er die Sucht überstanden hat. Ein
Freund nannte ihm eine Klinik, in der Drogenabhängigkeit zusammen mit den
psychischen Problemen behandelt wurde. Zum ersten Mal war eine Therapie
erfolgreich. Heute spielt Tweedy wieder Konzerte, ohne sie wegen
Kopfschmerzen abbrechen zu müssen. Und wie auch Patty Schemel kann er über
seine Geschichte verfügen, die Klischees durch eine Innensicht aufbrechen.
Denn auch die Welt der etwas biederen, aber integren Rockmusik, wie Wilco
sie verkörpern, ist nicht frei von Halbwahrheiten und Nachrede.
Im Mai 2009 starb Tweedys ehemaliger Bandkollege Jay Bennett an einer
Überdosis Schmerzmittel, die er per Pflaster einnahm. Schnell zirkulierten
Geschichten über Sucht und Missbrauch. Aber die Wahrheit ist viel banaler.
Wie viele US-Musiker verfügte Bennett über keine besonders gute
Krankenversicherung. Er nahm Schmerzmittel ein, weil ihm die Versicherung
eine dringend benötigte Hüftoperation verweigerte. Nicht Drogensucht,
sondern Armut war die Todesursache. Sein Tod war so unglamourös wie sein
Leben und gleichzeitig rührt er an einem wirklichen Tabu: Über Drogen
spricht man im Pop zumindest mythologisch ständig, über Armut aber gar
nicht.
31 Dec 2011
## AUTOREN
CHRISTIAN WERTHSCHULTE
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