# taz.de -- Rote Husaren des Klassenkampfs | |
> 40.000 zählen die Nachfahren der „roten Radler“ heute noch, aber | |
> politisch und sportlich ist der alte Arbeitersport nach dem Krieg nicht | |
> wieder auf die Beine gekommen ■ Von Christian Bleher | |
Alfons Hubauer qualmt eine Virginia. Der 76jährige mit den buschigen weißen | |
Augenbrauen versinkt im Dunst der Erinnerungen. Dann erzählt er. 1932, im | |
Sommer, das letzte Gau-Treffen. Über 1.000 Radler sind im oberbayerischen | |
Penzberg zusammengekommen. Selbst bei Demonstrationen bedienten sich die | |
Mitglieder des Arbeiter-Radfahrer-Bundes „Solidarität“ seit dessen Gründu… | |
1896 der Fahrräder. Bis zu Hiters Machtergreifung. Da verschwanden die | |
meisten der „Roten Radler“, der „Roten Husaren des Klassenkampfs“, wie … | |
noch während des Kaiserreichs genannt wurden, in den Nazikerkern. Hubauer, | |
als KPD-Mitglied und „Soli„-Aktiver, für drei Jahre. | |
Als er entlassen wurde, trafen sie sich zunächst noch im Geheimen, doch die | |
Vernichtung des Verbandes gelang gründlich. Aus der weltgrößten Vereinigung | |
der Arbeiter-Rad und Kraftfahrer wurde eine Randerscheinung der deutschen | |
Sportgeschichte. 350.000 Mitglieder waren es vor dem Verbot, heute sind es | |
immerhin wieder knapp 40.000. Das „A“ - wie Arbeiter - verschwand | |
allerdings aus dem Titel: „RKB -Solidarität“, parteipolitische Neutralität | |
schien opportun. Doch der Aufgabe traditioneller Ideale und Ziele folgte | |
der sportliche Niedergang. | |
Betrieben hat dies in erster Linie der bürgerliche Konkurrenz-Verband, der | |
Bund Deutscher Radfahrer (BDR). Als alleiniges bundesdeutsches Mitglied im | |
internationalen Dachverband (UCI) gelang es dem BDR trotz zahlenmäßiger | |
Unterlegenheit nach dem Zweiten Weltkrieg, das Alleinvertretungsrecht des | |
Radsports auch im Deutschen Sportbund (DSB) zu erlangen. Auf dem Höhepunkt | |
der Rivalität verfügten die BDR-Oberen 1962 das sogenannte Sportverbot, das | |
gemeinsame Aktivitäten mit den Solidaritäts-Radlern ausschloß. Ein | |
geschickter Schachzug, denn wer auf eine sportliche Karriere hoffte, | |
wechselte zum BDR. | |
Erst durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs am 19.12.77 wurde der | |
RKB-Solidarität als gleichberechtigter Spitzenverband in den DSB | |
aufgenommen. Doch die gewieften Funktionäre des BDR hielten sich die | |
Genossen weiter vom Leib: Ein Kooperationsvertrag wurde geschlossen, aber | |
gemeinsame Meisterschaften gab es nur beim Hallensport Radball, Einrad- und | |
Zweirad-Kunstfahren sowie Radball. Der lukrative Renn- und Tourensport | |
blieb eine Domäne des BDR. | |
Inzwischen aber habe sich das Verhältnis entspannt, glaubt Uwe Lambinus, | |
seit seiner Wahl auf dem 34.Bundestag in Nürnberg vor zwei Wochen neuer | |
Präsident des RKB -Solidarität. Lambinus, MdB und Vizepräsident des | |
Sportausschusses der SPD, will ein Gespräch mit Werner Göhner führen, dem | |
BDR-Boss. Vor allem wegen des Zwangs für Mitglieder des RKB, zugleich dem | |
BDR beizutreten, um eine Startlizenz bei bundesdeutschen | |
Rennsportmeisterschaften zu bekommen. | |
Doch noch kein BDR-Präsident, der den RKB nicht als Konkurrenz empfunden | |
hätte. Hubauer kann das historisch belegen. Aus seiner Jackentasche zieht | |
er einen speckigen Buchband, das „Handbuch für Mitglieder des ARKB | |
-Solidarität“, erschienen kurz vor 1933. Kapitel 2 trägt den Titel | |
„Bekämpfung durch die gegnerischen Radfahrer -Verbände“, Kapitel 3 | |
„Bekämpfung durch die Unternehmer“. Zu kämpfen hatte die Solidarität sch… | |
immer. | |
Nun also will Lambinus mit Göhner reden, doch der klingt nicht gerade | |
freundlich: „Das wäre so, wie wenn Siemens mit einem Radio-Händler in der | |
Schwanthalerstraße verhandeln würde.“ Hubauer stimmen solche Äußerungen | |
bitter. Aber er ist Realist und meint, „Rennsport können wir uns heute eh | |
nicht mehr leisten“. Und da stimmt er mit Lambinus überein: es müßten eben | |
die Randsportarten des Radsports gefördert werden. | |
Und die Jugend. Mit 25.000 Mitgliedern stellt der Jugendverband ohnehin die | |
meisten Mitglieder im RKB. Für sie werden Zeltlager im In- und Ausland | |
organisiert, auch im sozialistischen, oder Lehrgänge mit jugendpolitischen | |
Themen. Kritik am Traditionsverband mit der verschütteten Vergangenheit | |
kommt vor allem aus diesen Reihen. „Alles verändert sich, wenn du es | |
veränderst“, wird in einer Chronik die Anarchoband „Ton, Steine, Scherben�… | |
zitiert. Auch so ein Klang aus vergangenen Zeiten. Ähnlich denkt auch | |
Rudolf Schulz, Referent für Jugendbildung: „Entweder hat die Solidarität | |
durch die Jugend eine Zukunft, oder gar keine.“ | |
Was ist denn an der Soli noch „rot“, fragt Schulz vorwurfsvoll. Der DSB | |
habe sie schon 1977 unter seinem Präsidenten Willi Weyer (FDP) in | |
gesellschaftlichen Aussagen überholt. Und ein „MdB aus der Fraktion der | |
Sozis an der Spitze des Verbands mag ein Farbtupfer sein, sportpolitisch | |
besagt das gar nichts“. Eine Avantgarde-Rolle in gesellschaftspolitischen | |
Fragen, da ist sich Schulz sicher, sei für seinen Verband längst endgültig | |
passe. | |
Wie könnte die auch eingenommen werden, wenn jene persönlichen Farbtupfer | |
inzwischen weder rot noch rosa, sondern schwarz sind. Wie im Falle Uwe | |
Zöllers, der als CDU -Politiker Vizepräsident des RKB wurde. Oder wenn sich | |
die Jugendleiterin des Landesverbandes Südbayern, Roswitha Kupfer, rühmt, | |
„auch beim Trauerzug für Strauß Spalier gestanden“ zu sein. Das soll | |
heißen: Ja, so liberal, so offen nach allen Seiten ist man heute. Doch | |
derlei Anbiederung war schon früher verhängnisvoll. Die Profillosigkeit in | |
der Politik ging Hand in Hand mit der im Sport. | |
Und so wundern sich die Soli-Leute, daß sie nicht einmal mehr bei der | |
Hallenweltmeisterschaft am Wochenende vertreten waren. Sogar im letzten | |
Refugium des RKB, dem Radball und dem Kunstradfahren, waren es nur | |
BDRlerInnen, die auf dem Parkett in die Pedale traten. Der Trend ist klar: | |
Langfristig werden nur noch interne RKB-Meisterschaften abgehalten, und der | |
Verband wird sich auf die rein breitensportliche Arbeit beschränken. Kein | |
schlechter Trend tröstlicherweise angesichts der gesundheitsschädigenden | |
Auswüchse im Spitzensport. | |
Roswitha Kupfer, die um Strauß trauerte, ist übrigens die Tochter von | |
Alfons Hubauer. Und der selbst hat auch seinen Abschied von den radikalen | |
Tagen genommen; heute ist er in der SPD. Es ist nicht viel übrig vom | |
Arbeitersport. | |
1 Nov 1988 | |
## AUTOREN | |
christian bleher | |
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