# taz.de -- Zivilcourage und beschränkte Haftung | |
> ■ Ihr Verlag hat noch keine Adresse, aber erscheinen werden Rushdies | |
> „Satanische Verse“ / Von A.Widmann | |
Als im Februar die taz die inkriminierten „Stellen“ aus Salman Rushdies | |
„Satanischen Versen“ abdruckte und anbot, die deutsche Ausgabe selbst in | |
die Hand zu nehmen, falls sich Copyright-Inhaber Kiepenheuer&Witsch solches | |
nicht zutrauen sollte, beeilte sich deren Chef Neven Du Mont, statt dessen | |
eine Gemeinschaftsaktion mit anderen Buchverlagen anzukündigen. Bis heute | |
wird allerdings die Liste der Herausgeber geheimgehalten. Immerhin gibt es | |
schon den eigens gegründeten Verlag - der schon einen Namen, aber bisher | |
keine Adresse hat. Zur Buchmesse soll das Buch hinzukommen. | |
Das 'Börsenblatt des Deutschen Buchhandels‘ meldete am 28. Juli | |
triumphierend: „Verlag 'Artikel 19‘ steht jetzt vor der Gründung.“ | |
Inzwischen sollen sich über sechzig deutsche Verlage zur Gründung dieser | |
Gesellschaft zusammengeschlossen haben, um Salman Rushdies Satanische Verse | |
bei geteiltem Risiko und geteiltem Profit herauszubringen. Das Buch soll | |
demnächst herauskommen. „Jeder Termin, den ich Ihnen nenne, muß, weil ich | |
ihn genannt habe, verschoben werden“, meint Klaus Wagenbach, einer der | |
Initiatoren der Gemeinschaftsaktion. | |
Seit März verhandelten deutsche Verleger darüber, wie sie einen der | |
profitträchtigsten Titel der letzten Jahre auf den deutschsprachigen | |
Buchmarkt bringen können, ohne Todeskommandos der iranischen Ayatollahs auf | |
sich zu ziehen. Kiepenheuer & Witsch, der die Rechte für den deutschen | |
Sprachraum erworben hatte, stoppte Anfang März, so das 'Börsenblatt‘, | |
„unter dem Eindruck handfester Drohungen militanter moslemischer Gruppen“ | |
die Produktion des Buches. Es dauerte eine Weile, bis sich eine gemeinsame | |
Aktion verschiedener Verlage als geschickteste Lösung erwies. Freilich sind | |
eine Reihe von Häusern inzwischen abgesprungen. Dafür sind neue | |
dazugekommen. Eine Liste wird nicht herausgegeben. | |
Einige prominente Namen sind freilich schon bekannt: S. Fischer, Hoffmann | |
und Campe, Kiepenheuer & Witsch, Klett -Cotta, Piper, Rowohlt und last not | |
least der Wagenbach -Verlag. Einer der größten Medienkonzerne der Welt, die | |
Bertelsmann-Gruppe, ist auch mit dabei. Die Satanischen Verse sollen sogar | |
vom Bertelsmann-Buchklub übernommen werden. Der andere Gigant des | |
Weltbuchmarktes, die Murdoch -Gruppe, hat für Schlagzeilen gesorgt, als sie | |
auf die Veröffentlichung eines vehement für Rushdie eintretenden Buches | |
verzichtete (siehe Artikel unten). | |
Man darf gespannt sein, welche Verlage als Herausgeber der deutschen | |
Ausgabe erscheinen werden und welche nicht. Zur Zeit hält man sich bedeckt. | |
Desto üppiger blühen die Gerüchte. Inzwischen soll die dritte Generation | |
von Übersetzern an dem Buch arbeiten. Zweimal seien welche abgesprungen, | |
weil sie bedroht wurden. Niemand weiß, ob da was dran ist. Die taz hatte | |
kleine Auszüge, freilich die entscheidenden Passagen, abgedruckt. Sie wurde | |
von niemandem bedroht. Nicht schriftlich, nicht mündlich, nicht | |
telefonisch. | |
In Italien und Frankreich wird das Buch frei verkauft. Es ist nichts | |
bekannt geworden über Anschläge auf Verlage oder Buchhandlungen. Die | |
bundesrepublikanischen Herausgeber wollen kein Risiko eingehen. Sie üben | |
sich in Zurückhaltung, spielen ein wenig Räuber und Gendarm. Noch weiß kein | |
Buchhändler, wo er das Buch bestellen kann. Der inzwischen gegründete | |
Verlag 'Artikel 19‘ hat keine Adresse. Kein Vertreter hat Bestellungen | |
entgegengenommen. Rowohlt-Chef Michael Naumann erklärt dazu, das | |
Rushdie-Vorhaben habe nicht mehr Aufmerksamkeit verdient als die Edition | |
einer Werkausgabe eines bedeutenden Autors. Irgendwann wird man hoffentlich | |
einmal in Rowohlts Literaturmagazin einen klugen Essay über die Einfüh rung | |
des Rushdiespeak lesen können. | |
Klaus Wagenbach ist guter Dinge: Man habe mehr Leute zusammenbekommen, als | |
man gedacht hatte, und es seien die unterschiedlichsten politischen | |
Temperamente dabei. Er habe den Eindruck, wenn man sich die Liste anschaue | |
(die uns gewöhnlichen Sterblichen derzeit nicht zugänglich ist), daß sich | |
ganz deutlich die Verleger für Solidarität mit Rushdie ausgesprochen | |
hätten. Bei GmbH-Verlagen dagegen sei meist die Zivilcourage in der | |
beschränkten Haftung untergegangen. | |
17 Aug 1989 | |
## AUTOREN | |
arno widmann | |
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