# taz.de -- Alles Quatsch mit dem Künstlerdrama | |
> ■ Hindemiths „Cardillac“ an der Komischen Oper neu inszeniert | |
Es scheint, als ob Hanns Eisler mit seinem Urteil über Cardillac doch noch | |
recht bekommt. 1928 schrieb er nämlich in der 'Roten Fahne‘, Cardillac sei | |
nichts anderes als ein „dämonischer Raffke“. alles Quatsch mit diesem | |
Künstlerdrama, diesem Goldschmied aus dem mittelalterlichen Paris, der sich | |
von seinen Preziosen nicht trennen will und deshalb die Käufer hinterrücks | |
mordet, damit alle seine Kunstwerke zu ihm zurückkommen. Besitzgier werde | |
hier in „typisch kleinbürgerlicher Weise (...) mittels eines | |
genial-dämonischen Mäntelchens verherrlicht“. An der Komischen Oper reichte | |
es leider nur zu einem solchen raffgierigen Besitzbürger im | |
genial-dämonischen Mäntelchen. Von Künstlerproblematik war in Christine | |
Melitz‘ Inszenierung nicht einmal ansatzweise etwas geblieben. Ihr | |
Aktualisierungsversuch stimmt uns eher auf eine Mischung aus DDR 1990 und | |
ein wenig Zwanziger-Jahre-Nostalgie ein. Das Sammelsurium aus | |
Regieeinfällen hinterläßt einen ebenso desolaten Eindruck, wie die | |
Gesellschaft deformiert ist, die sie auf der Bühne präsentiert. Als | |
Hintergrund projiziert der Bühnenbildner Reinhart Zimmermann | |
Industrieromantik mit rauchenden Schloten - vielleicht von den Leuna-Werken | |
abgeschaut. In dieser dumpfigen Kulisse proben Arbeiter den Aufstand, wo | |
sie vorher wie Vieh in Gitterwagen ein paarmal auf die Bühne geschoben | |
wurden. Von den Kapitalisten, die mit Hut und Aktenköfferchen ausgestattet | |
sind und über der Szene thronen, werden sie in Schach gehalten. Weder neue | |
Lohnforderungen noch der Ruf „Wir sind das Volk“ gibt hier den Grund für | |
den Aufstand, denn allein die Angst vor einem mysteriösen Mörder heizt die | |
Massenhysterie an. Nicht etwa Soldaten oder Polizei sorgen danach für | |
Ordnung, sondern eine Bande von Rockern, die sich als Schlägertrupp | |
bewährt. Ausgerechnet eine putzige Commedia-dell'arte-Gruppe haben sie sich | |
als Opfer auserkoren. Sind wir inzwischen beim Kölner Karneval gelandet? | |
Ach nein, diese hübsch ausstaffierten Kerlchen hatte ja eine feine Dame als | |
Begleitung in ihrer weißen Luxuslimousine dabei. | |
Cardillac, den Theo Adam recht baßgewaltig verkörpert, erinnert an Alberich | |
in seinem Nibelungenreich, der im Goldrausch der Liebe abschwor und doch | |
nicht glücklich wurde. Verworrener, auch dilettantischer wird man | |
Hindemiths Oper wohl nicht auf die Bühne bringen können. Dabei ist gegen | |
Aktualisierungen nichts einzuwenden, wenn sie Opernstoffe „vitalisieren“ | |
und man wenigstens eine Chance hat, die Geschichte zu begreifen. Zu allem | |
Überdruß scheint die Regisseurin auch an einem primitiven Naturalismus | |
Gefallen zu finden, wenn sie die Sänger sexuelle Nahkampfübungen | |
absolvieren läßt. | |
Was einmal Harry Graf Kessler bewogen hat, Hindemiths Oper neben Bergs | |
Wozzeck als die „stärkste moderne deutsche Oper“ zu bezeichnen, bleibt nach | |
diesem fragwüridgen Wiederbelebungsversuch im Haus an der Behrenstraße | |
rätselhaft. | |
Innerhalb eines Monats haben nun die drei Berliner Opernhäuser vorgeführt, | |
zu welchen inszenatorischen Schandtaten sie fähig sind. Nach einer | |
hölzernen Zauberflöte an der Staatsoper, dem bieder -konventionellen | |
Lohengrin an der Deutschen Oper folgt nun noch ein dilettantisch verdrehter | |
Cardillac. Das nennt man wohl das Gesetz der Serie. | |
Nora Eckert | |
Heute, 19 Uhr letzte Vorstellung vor der Sommerpause. | |
2 Jul 1990 | |
## AUTOREN | |
nora eckert | |
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