# taz.de -- Tanz auf dem Grabstein | |
> ■ Azade Köker in der Bildhauergalerie Messer-Ladwig und im | |
> Georg-Kolbe-Museum | |
Selbst der Grabstein, gedacht als ewiges Monument, das den zu Staub | |
zerfallenden Körper des Toten überdauert, ist letztendlich ein Gegenstand | |
der ökonomischen Spekulation. Wenige alte Grabsteine, von den neu zu | |
belegenden Gräbern auf den enger werdenden Friedhöfen abgeräumt, werden das | |
Glück haben, im Atelier der Bildhauerin Azade Köker zu Skulpturen-Sockeln | |
recycelt zu werden. Und trotzdem: eine Ausstellungsrezension von Katrin | |
Bettina Müller. | |
Azade Köker studierte zuerst Keramik in Istanbul und Berlin, bevor sie sich | |
ab 1976 dem Studium der Bildhauerei an der HdK zuwandte. Ihr eigentliches | |
Material ist die Erde, gebrannt zu Ton. In der Bildhauerkunst oft für | |
Modelle, selten aber für große Skulpturen verwendet, verändert sich dieser | |
Stoff beim Brennen, trocknet, schrumpft, reißt, platzt. Diese nicht genau | |
kalkulierbaren Spuren der elementaren Gewalten, die die dauerhafte | |
Verhärtung und die partielle Zerstörung der Plastiken bedingen, bezieht die | |
Bildhauerin ein, betont noch die Brüchigkeit der Terrakotta- Figuren durch | |
sichtbare Eisenklammern, läßt durch Löcher die Hohlheit der Erdhäute sehen. | |
In ihren früheren Frauenplastiken zitierte Azade Köker oft in konkreten, | |
durchgestylten Details — hohe Stöckelschuhe, enge Taille, helmartige | |
Frisur, hochgeschnürte Büste — die modische und kulturelle Überformung des | |
Frauenkörpers; mit Einsprengseln fremder, rauher Elemente — Pflastersteine, | |
Glas, Metall — brach sie die Schönheitslinie und ließ sie als Resultat | |
eines Eingriffes, einer künstlichen Gestaltung sichtbar werden. Kenntlich | |
wurde das Gemachte auch in der Schichtung der Figuren aus Tonbausteinen; | |
zugleich aber zeigten sich die Figuren stark genug, diese Zerrissenheit | |
auszuhalten und aus der Spannung ihre Energie zu beziehen. Gerade ihren | |
Frauen-Skulpturen diese Uneinheitlichkeit mitzugeben, schien auch | |
notwendiges Bedürfnis einer Künstlerin, die aus einem Kulturkreis kam, der | |
nicht allein dem Bildnis des Menschen anders gegenüberstand, sondern in dem | |
vor allem das öffentliche Bild der Frau einen anrüchigen Charakter hat. Die | |
Brüchigkeit der Figuren war Resultat des Zusammenpralls einer alten | |
Tradition, die die Frauen in unsichtbare Bereiche aus dem öffentlichen | |
Alltag verbannte, und einer Kultur, in der die allgegenwärtige Vermarktung | |
des Frauenbildes ihre reale Existenz überblendete. | |
Mit der Verarbeitung dieses Kulturschocks hat sich Azade Köker jetzt zu | |
einer stärkeren Betonung des Elementaren hin entwickelt. Weiter von der | |
realistischen Durchformung einzelner Details abgerückt, gewinnt die grobe | |
Stofflichkeit der Skulpturen an Bedeutung. Auf einen Grabstein mit dem | |
ausgekratzten Namen des Toten gesetzt, der seine kunstgewerbliche Intimität | |
verloren hat, beschwört ein tanzender Dämon eine lebendige, widerständige | |
Kraft. Da schwenken, mit Säulenbeinen auf dem schmalen Rücken eines anderen | |
Grabsteins balancierend, drei Can- Can-Tänzerinnen ihre rechtwinklig | |
abgeknickten Elefantenschenkel. Köpfe und senkrecht hochgereckte Arme, | |
gebildet aus einer Reihe von Röhren, erinnern an die gedrängte | |
Schornsteinlandschaft auf alten Dächern. Klobige Finger, Nasen und Augen | |
sind den Tänzerinnen angesetzt, als hätte sich die Bildhauerin an den | |
Kohlestückchen und Möhren im Gesicht eines schon langsam tauenden | |
Schneemanns orientiert. Spitz wie mit Gemüse gefüllte Dreieckstüten stechen | |
die Brüste waagerecht in den Raum. | |
Anmutig, leicht, grazil, harmonisch wirken diese Tänzerinnen wahrhaftig | |
nicht. Sie trotzen ihre Beweglichkeit der Trägheit der eigenen Körpermasse | |
ab; lebendig werden sie im Verstoß gegen jegliche Schönheitsnorm. Kökers | |
Skulpturen, in einer Doppelausstellung in der Bildhauergalerie | |
Messer-Ladwig und dem Georg-Kolbe-Museum zu sehen, geraten vor allem im | |
Kolbe-Museum in ein eigenartiges Spannungsfeld. Dort nämlich lauern im | |
Garten und in einem gläsernen Anbau der Ausstellungshalle die idealisierten | |
Menschenkörper Kolbes, ein überlebensgroßes Geschlecht heroischer, zum | |
Licht emporstrebender Gestalten. In Kolbes Menschenbild ist ein Dilemma der | |
figürlichen Bildhauerkunst vorgeprägt: schon in ihrer Nacktheit in einen | |
immerwährenden Urzustand zurückversetzt, geraten die menschlichen Figuren | |
in Stein und Metall in die Nähe ahistorischer, dem Zugriff der Geschichte | |
entzogener Ideale, so als würden sich die elementaren Werkstoffe, die | |
selbst Teil einer immerwährenden Materie sind, der Formulierung von | |
Gegenwart verweigern. | |
Azade Kökers Skulpturen dagegen folgen einer primitiven Achsialität, sind | |
nicht nach den klassischen Regeln der Harmonie geformt. Banale Gesten | |
ersetzen das Repertoire erhabener Posen. Standbein und Spielbein | |
funktionieren nicht mehr als Ausdruck äußerer Balance und inneren | |
Gleichgewichts. Vielmehr pflanzt Köker einem stacheligen, von | |
unregelmäßigen Auswüchsen und verkümmerten Gliedern übersäten »Paar«, d… | |
sich auf einem Grabsockel mit der Zärtlichkeit der Igel umarmt, zwei | |
Beinstützen in Zementgrau an, um sie bei ihrer Liebesartistik nicht | |
abstürzen zu lassen. Technische Hilfskonstruktionen werden nicht kaschiert, | |
sondern bleiben als Prothesen sichtbar. | |
Azade Köker, Plastiken Erde und Stein im Georg-Kolbe-Museum bis zum 10. | |
Januar 1991; in der Bildhauergalerie Messer-Ladwig bis zum 26. Januar 1991. | |
6 Dec 1990 | |
## AUTOREN | |
katrin bettina müller | |
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