# taz.de -- Die Antikriegsbewegung in Bonn:: „Leid ist Leid — Stoppt den Kr… | |
> ■ 200.000 Menschen oder mehr haben am Samstag in Bonn gegen den Golfkrieg | |
> demonstriert. Nach den Auseinandersetzungen der letzten Tage um | |
> Pazifismus und den Schutz Israels achteten die RednerInnen darauf, das | |
> Leid zu betonen, das der Krieg für alle Menschen bringt, in Israel wie im | |
> Irak und in Kuwait. | |
Kaum einen Meter voneinander entfernt hängen die zwei Fahnen: die mit | |
blauem Judenstern auf weißem Grund und die schwarz-weiß-grün-rote des | |
palästinensischen Volkes. Fast jedes Mal, wenn Felicia Langer einen Satz zu | |
Ende gebracht hat, werden sie beide heftig geschwenkt — von dem jungen | |
Israeli die eine, von dem jungen Araber die andere. „Ich bin mit meinem | |
ganzen Herzen bei allen Bewohnern von Tel Aviv, Haifa, Jerusalem... Und | |
gleichzeitig verspüre ich auch das Leid der kuwaitischen Kinder, Mütter und | |
Väter, das Leid der Palästinenser“, ruft sie auf der Bühne in das | |
Mikrophon. Und: „Saddam Hussein ist ein agressiver Diktator, er muß sich | |
aus Kuwait zurückziehen. Aber ein Krieg ist eine hunderttausendfache | |
Verletzung von Menschenrechten.“ Und: „Leid ist Leid, Blut ist Blut — und | |
beides ist universal. Wir müssen den Krieg stoppen.“ | |
Felicia Langer, vor den Nazis nach Israel geflohene Jüdin, die als | |
Rechtsanwältin lange palästinensischen Angeklagten beigestanden hat, bringt | |
die Zweihunderttausend am Samstag auf dem Bonner Hofgarten zum Schweigen | |
und zum Jubeln. Daß sie spricht und was was sie spricht — fast alle, die | |
sich hier versammelt haben, um für Frieden am Golf zu demonstrieren, trifft | |
es wohl tief in dem Gefühl, daß kein Krieg, und schon gar nicht dieser, | |
gerecht oder sinnvoll oder entschuldbar ist. Spürbar trifft es diese | |
Menschen aber auch in dem Empfinden, daß sie zu Unrecht beschuldigt werden, | |
Bedürfnisse des israelischen Volkes zu mißachten. | |
Gewiß habe der irakische Präsident Kuwait nicht besetzt, um das | |
Palästinenserproblem zu lösen, ruft Felicia Langer, „aber wer hat diese | |
Karte in Saddams Hände gegeben, wer hat ihm dieses Manövrieren ermöglicht? | |
Es ist unsere hartnäckige israelische Politik der Ablehnung jeder | |
Möglichkeit einer friedlichen Lösung der palästinensischen Frage durch die | |
Anerkennung des Rechts der Palästinenser auf Selbstbestimmung und einen | |
palästinensischen Staat neben Israel, nicht anstelle von Israel — und durch | |
ihre Anerkennung unserer Rechte!“ | |
Fast ebenso begeistert wie sie Felicia Langer aufgenommen haben, klatschen | |
und jubeln Zweihunderttausend ein paar US-Amerikanern zu: „Just say no“, | |
singt die „Criminals Rap-Band“ aus amerikanischen GIs und | |
Vietnam-Veteranen. Daß sie hier auftreten und US-Präsident Bush ebenso wie | |
Iraks Präsident Hussein anklagen, bestätigt die im Hofgarten Versammelten | |
auch darin: Der Vorwurf, sie seien antiamerikanisch im Sinne von gegen die | |
Amerikaner gerichtet, ist unberechtigt. | |
Eine Israelin kritisiert die israelische Regierung. US-Amerikaner | |
kritisieren die US-Regierung. Ein Kurde, Ahmet Kale, kritisiert die | |
türkische Regierung, und ein Deutscher, der Sänger Herbert Grönemeyer, die | |
deutsche. Das eint diejenigen auf der Bühne — und diejenigen davor bringt | |
es noch näher zueinander. „Ich bin gegen kein Volk und gegen kein Land. Ich | |
bin gegen alle, die den Krieg führen und ihn nicht beenden wollen“, sagt | |
Juliane. Die 24jährige Hebamme aus Freiburg ist mit dem Sonderzug nach Bonn | |
gekommen. Sie, die „nie besonders politisch“ war und „schon gar nicht | |
irgendwo organisiert“ ist hat „es richtig hierher getrieben“. Was „es�… | |
„Vor allem die Angst“, sagt Juliane. Davor, daß dort Hunderttausende | |
unschuldiger Menschen sterben. Aber auch davor, daß der Krieg sich | |
ausweitet: vielleicht bis zu uns, was den Kampf selbst betrifft, sicher bis | |
zu uns, was die ökologischen Folgen angeht. „Es“ ist aber auch die Wut: | |
„Darüber, daß die Regierenden meinen, wir lassen uns alles gefallen und | |
glauben ihre Ausreden.“ Von wegen Kuweit, von wegen Palästina. Nur um Macht | |
gehe es. „Es“ ist schließlich das Wissen um die deutsche Schuld, | |
„schließlich hat uns der Waffenexport dort hinunter reich gemacht.“ | |
Wie Juliane denken sichtbar viele am Samstag im Hofgarten. | |
„Antiamerikanismus ist, wenn amerikanische Soldaten in deutschem Giftgas | |
sterben“, „Right to live for jews and moslems“, „Ich schäme mich, weil… | |
weiß, daß deutsches Giftgas Israel bedroht“: Nicht wenige Transparente | |
setzen sich etwa so mit dem Vorwurf auseinander, die Friedensbewegung sei | |
aus Prinzip gegen die USA und gleichgültig gegenüber Israel. Und von vielen | |
Plakaten ist abzulesen, daß man bei aller Verschiedenheit in Alter und | |
politischer Herkunft klar und geschlossen gegen eines ist: gegen diesen | |
Krieg als Mittel der Politik. „Kein Blut für Öl“, „Give Peace a Chance�… | |
„Du sollst nicht töten“. Und auch am Beifall läßt sich heraushören, was… | |
über 200.000 hier vor allem verbindet. | |
Besonders heftigen Beifall bekommt etwa Gottfried Forck, Bischof von | |
Berlin-Brandenburg für diese Sätze: „Diese Kundgebung will dazu aufrufen, | |
zu politischen Lösungen zurückzukehren.“ — „Um Gottes Willen — stoppt… | |
Krieg!“ — „Nicht Amerika ist unser Gegner, sondern die Fahrlässigkeit der | |
amerikanischen Politik und unter ihrem Einfluß die UNO, die ein Unrecht mit | |
noch größeren Unrecht beantwortet hat.“ — „Gerade weil wir als Deutsche… | |
Auschwitz am Tode von Millionen jüdischer Menschen schuldig geworden sind, | |
möchten wir alles tun, daß das Giftgas in den Händen Saddam Husseins nie | |
gegen Israel zur Anwendung kommt.“ | |
Starken Beifall bekommt BUND- Vorsitzender Hubert Weinzierl, vor allem, als | |
er das Ende des „Krieges gegen die Schöpfung“ beschwört und daran erinner… | |
„Dieser Krieg hat nicht erst am 17.Januar 1991 und nicht am 2.August 1990 | |
begonnen. Dies ist ein Verteilungskampf um die schwindenden Rohstoffe auf | |
unserer Erde.“ Gegen DGB-Chef Hans- Werner Meyer ertönen zunächst | |
Pfeifchöre, die dann aber fast verstummen, als er eine Friedenkonferenz für | |
den Nahen Osten fordert und mit scharfen Worten den deutschen Waffenexport | |
geißelt. | |
Es gibt allerdings auch andere Stimmen. Etwa ein paar hundert Menschen, die | |
schon bei der Hofgartenwiese sind, bevor die Kundgebung beginnt: „Wir | |
danken Bush und Amerika — sie kämpfen für den Frieden“, steht etwa auf | |
ihren Spruchbändern, die sie neben den blauweißen israelischen Flaggen mit | |
dem Davidstern hochhalten. Als die Demonstrationszüge aus den verschiedenen | |
Bonner Stadtvierteln an ihnen vorüberziehen, scheren immer wieder — vor | |
allem ganz junge — Menschen aus und laufen zu ihnen hin: „Wir sind doch | |
solidarisch mit Israel. Aber gerade der Golfkrieg gefährdet es doch enorm“, | |
sagt ein junger Mann beschwörend zu einer älteren Frau, die US-Fähnchen | |
verteilt. „Du hast nicht erlebt, was ich erlebt habe“, erwidert sie. „Ja, | |
stimmt natürlich“, antwortet er, „aber ich will ja auch jetzt zum Beispiel | |
mit verhindern, daß Saddam Hussein Giftgas gegen Israel einsetzt. Und das | |
verhindert man nur, wenn man den Krieg verhindert!“ Ferdos Forudastan, Bonn | |
28 Jan 1991 | |
## AUTOREN | |
ferdos forudastan | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |