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# taz.de -- Die Cholera in Peru ist nicht aufzuhalten
> Die Epidemie hat inzwischen fast alle Landesteile erfaßt/
> Gesundheitsminister rechnet mit weiteren 500 Toten in den nächsten zwei
> Monaten/ 130.000 Menschen sind bisher an der Seuche erkrankt/ Die Cholera
> ist nur eine von vielen Armutskrankheiten  ■ Von Albert Recknagel
Peru hat zwei Arten von Cholera: Die große Mehrheit der Bevölkerung hat
schon seit Monaten „La Colera“ — die Wut — über die sie aushungernde
Wirtschaftspolitik der Regierung. Anfang dieses Jahres brach zusätzlich „El
Colera“, die Cholera- Epidemie aus. Nach letzten Meldungen sind bislang
131.500 Personen erkrankt, davon 50.000 in der Hauptstadt Lima. Die
Epidemie hat inzwischen selbst die entlegensten Landesteile erfaßt, die
Zahl der Toten stieg auf bislang 911. Fachleute rechnen nicht damit, daß es
der Regierung gelingen könnte, die Epidemie in den Griff zu bekommen.
Selbst der peruanische Gesundheitsminister, Victor Yamamoto, rechnet mit
bis zu 500 weiteren Toten in den kommenden zwei Monaten. Im gleichen
Zeitraum erwartet Yamamoto insgesamt 70.000 neue Cholera-Fälle. Angesichts
der schwierigen wirtschaftlichen Lage sei eine baldige Besserung der
sanitären Bedingungen nicht zu erwarten.
Denn daß sich die Cholera in Peru so rapide ausbreiten konnte, liegt vor
allem an dem verheerenden Zustand der sanitären Anlagen. Die Hälfte der
städtischen Wohnungen sind nicht an das Trinkwassernetz oder die
Kanalisation angeschlossen. Auf dem Land sieht es noch schlechter aus. Hier
haben sogar vier Fünftel der Unterkünfte kein fließendes Wasser.
In den Slums von Lima wird ein Drittel des Trinkwassers aufgrund
schadhafter Leitungen stark verschmutzt, in den Elendsvierteln am Rand der
Stadt steht es bei derzeit 25 bis 28 Grad tagelang in Wassertonnen herum.
Angesichts derartiger Voraussetzungen war der Ausbruch der Epidemie nur
eine Frage der Zeit. Die IWF-inspirierten Anpassungsprogramme gaben den
PeruanerInnen dann den Rest. Die täglich zur Verfügung stehende
Nahrungsmenge reicht einfach nicht mehr aus, um den Körper gegen
Krankheiten jeder Art zu schützen. Die Menschen werden anfällig. Natürlich
nicht überall. Aus den reichen Villenvierteln Limas wurde bislang kein
einziger Cholerafall gemeldet.
Aufgrund der rasch eintreffenden internationalen Hilfe durch die
Weltgesundheitsbehörde, aber auch der verschreckten Nachbarländer, kann die
Epidemie an der Küste einigermaßen unter Kontrolle gebracht werden. Allein
das Kinderhilfswerk UNICEF richtete in den Ballungszentren 8.000 Zentren
zur Behandlung der lebensgefährlichen Durchfallerkrankungen ein. Die
Behandlung im Frühstadium ist recht einfach, billig und effektiv: Das
Trinken von mehreren Litern Zucker-Salz- Lösung täglich reicht in der Regel
aus. Das Problem ist das saubere Wasser: Das erforderliche zehnminütige
Abkochen verbraucht viel Kerosin und das ist teuer geworden. Erst im
fortgeschrittenen Stadium der Krankheit müssen Antibiotika verabreicht
werden.
Schlimmer als an der Küste ist die Situation im peruanischen Hochland, wo
es nur wenige Krankenhäuser und Ärzte gibt, geschweige denn ausreichend
Medikamente. Die Regierung ist offensichtlich nicht in der Lage, den
zügigen Transport in die entlegeneren Regionen zu organisieren. Ein Arzt
aus dem sieben Autostunden von Lima entfernten Iluaraz berichtet, daß er
bei 1.243 gemeldeten Cholerafällen in der Region lediglich Antibiotika für
40 PatientInnen hat.
Die große und derzeit sehr wahrscheinliche Gefahr ist aber, daß die Cholera
wie in Südasien, nicht vollständig ausgerottet werden kann und endemisch
wird, das heißt örtlich begrenzt immer wieder auftritt. Endemisch, so wie
die meisten der in Peru grassierenden Armutskrankheiten es jetzt schon
sind: Im tropischen Regenwaldgebiet nimmt die Zahl der Gelbfieber- und
Malariatoten rapide zu. In Nordperu sterben an einem Tag zwölf Personen an
Tollwut — bei Hunderttausenden herumstreunenden Hunden und den hohen Kosten
der Tollwutimpfung eine faktisch nicht zu bekämpfende Seuche. Ganz
unerwähnt bleibt die Tatsache, daß die schon seit Jahren endemische
Tuberkulose (TBC) in den Armutsvierteln täglich mehrere Opfer fordert.
Noch vor drei Jahren wurde der Vergleich Limas mit dem indischen Kalkutta
empört zurückgewisen, heute läßt sich eine Situation millionenfacher
Verelendung nicht mehr leugnen.
Alle Armutskrankheiten wurzeln in der katastrophalen wirtschaftlichen Lage
Perus: Neunzig Prozent der arbeitsfähigen Stadtbevölkerung sind
unterbeschäftigt oder arbeitslos. Der Mindestlohn von umgerechnet 130 DM
reicht längst nicht mehr aus für den Kauf des sogenannten
Überlebenswarenkorbes, der für eine fünfköpfige Familie auf 450 DM
veranschlagt wird. Dennoch könnte von Seiten der Regierung Fujimori und der
internationalen Gläubiger etwas getan werden: Während die Cholera zuschlug,
überwies die Regierung dringend benötigte Devisen in Höhe von 220 Millionen
Dollar an internationale Banken. Für den „Internationalen Währungsfond“ u…
Wirtschaftsminister Carlos Bolona sind die sozialen Kosten, daß heißt der
Tod von Hunderten und Tausenden, ein zwangsläufiger Faktor bei der
Sanierung und Liberalisierung der Wirtschaft.
11 Apr 1991
## AUTOREN
albert recknagel
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