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# taz.de -- Metamorphosen des Seesterns
> ■ 14 Künstlerinnen aus Berlin stellen im Bethanien aus: »heute«
Die Metamorphosen eines Seesterns, auf kleine Kärtchen von Eva Bernhardt
gezeichnet, durchziehen die Ausstellung heute von 14 Künstlerinnen aus
Berlin wie ein Leitmotiv. Neben dem sich wandelnden Tentakelwesen stehen in
Schulschrift kurze Behauptungen: »Ich entrolle. Ich entstamme. Ich
entschwinde. Ich entsende. Ich entrinne.« Diese sprachlichen Analogien zu
den verschiedenen Seinszuständen des Seesterns lassen sich als Behauptungen
der Kunst lesen, die ihr Woher und Wohin offen läßt, die sich in ständiger
Veränderung jeder Definition entzieht und trotzdem in der Wahrnehmung
ausbreitet. Die Streuung der Wortkärtchen durch die Ausstellung entspricht
dem Nebeneinander der divergierenden Behauptungen von Kunst. An die
Leerstelle des Satzobjektes ist der jeweilige Kontext zu setzen, auf den
sich die Arbeiten der Künstlerinnen beziehen.
Vorsichtige Standortfindungen der Künstlerinnen zwischen Atelier und
gesellschaftlicher Wirklichkeit waren Teil der
Goldrausch-Künstlerinnenfortbildung Ohne Kompromiss, die »Strategien
professioneller Selbstbehauptung« zum Lernziel hatte. Das sechsmonatige
Seminar, das in die gemeinsame Konzeption der Ausstellung heute mündete,
war praktischen Problemen des Kunstbetriebs gewidmet. Die von einem Gremium
ausgewählten Teilnehmerinnen wurden über Copyright- und Steuerprobleme,
über Ausstellungsinstitutionen und die Berliner Galerie-Szene informiert,
sie konnten sich mit Kunstfotografen und -kritikern auseinandersetzen, sie
lernten die profanen Niederungen der Künstlersozialkasse, von
Förderungsmodellen des Senats und »Kunst am Bau« und die Funktion der
Künstlerverbände kennen; kurz, sie wurden vorbereitet auf das
Künstlerinnendasein als selbständige Unternehmerin, der keine sorgende
Ehefrau das Management ihrer Werke abnimmt.
Bei einer Reihe von Atelierbesuchen und bei der konkreten Konzeption der
gemeinsamen Ausstellung fand darüberhinaus eine Auseinandersetzung über
künstlerische Positionen statt. Dient die Group-Show einerseits der
Propagierung des Goldrausch-Seminars, so ist sie andererseits für die
Künstlerinnen ein wichtiger Schritt an die Öffentlichkeit. Die
Teilnehmerinnen des letztjährigen Kurses konnten sich zudem je einen
eigenen Katalog gestalten, der ihnen über Berlin hinaus als Einstieg in den
Kunstbetrieb diente; noch jetzt erreichen Goldrausch Anfragen nach diesem
originellen Katalogpaket. Diese Aussicht schärfte auch die Bewerberinnen
für das zweite Seminar; doch die Senatsverwaltung für Frauen und Arbeit
kürzte dem Träger Goldrausch kurzfristig die Mittel, so daß die
Katalogpläne ins Wasser fielen und nur eine Postkarten-Edition als
Trostpreis angekündigt ist.
Nahe dem Eingang lauert die Foto-Installation Das Sigmund Freud Museum im
Künstlerhaus Bethanien von Bettina Allamoda auf den Besucher und stürzt ihn
gleich in Verwirrung. Ist dies nun ein Freud- Museum oder ein Bild aus
einem Museum? Ist dieser mit Figuren und Fotografien überladene
Schreibtisch, den das zerteilte und verfremdete Großfoto zeigt, der
authentische Arbeitsplatz Freuds oder Teil einer künstlerischen
Interpretation seiner Arbeit? Schemenhaft sind Frauenfiguren erkennbar;
doch in der wievielten Generation reproduziert, analysiert, kommentiert? Je
mehr man sich auf Allamodas Arbeit einläßt, desto mehr entzieht sich der
Kern der Geschichte.
Mit der Übersetzung von Formen in fremde Materialien beschäftigt sich
Roswitha Jacobi. Ihre Grauen Schalen, gewonnen aus der filzigen Umhüllung
eines Brettes, sind zu langen, weichen Filznachen geworden, die einerseits
Wärme und Geborgenheit versprechen, andererseits durch ihre Instabilität
empfindlich erscheinen. Transformation und die Verwandlung von Materie ist
Thema in Ute Mahlings Arbeit C+H2O: In einem Lagerregal wechseln Bretter
mit verkohlten Brotlaiben mit scharzen Blechen ab, in denen Wasser steht.
Angesprochen werden in dieser apokalyptischen Kulisse elementare Energien
wie Feuer und Wasser und ihre Indienstnahme durch den Menschen; doch ihre
scheinbare Beherrschung wird zugleich in Frage gestellt.
Weniger pathetisch nimmt Andrea Sunder-Plassmann in ihrem Raum Ground
Control das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt zum Anlaß einer
spielerischen Vision. In einem hellgrün-samtigen Kabinett sind Wasserkugeln
mit konservierten Blumen in die Wände eingelassen; ein wenig fühlt man sich
wie im U-Boot von Kapitän Nemo oder in einer vergrößerten Schneekugel.
Zwischen den konzeptionellen Ansätzen behaupten sich die Malerinnen Maria
Schicker und Ina Lindemann. Sie beharren auf der unendlichen Reise durch
die Räume, die erst aus der Farbe entstehen. Behelfsmäßig lassen sich
Lindemanns große Tableaus als Landschaften lesen; doch die in ihr
geöffneten Räume sind weiter, formbarer, ungreifbarer, die Bilder nur
Momentaufnahmen einer andauernden Entwicklung.
Mehr einem Exkurs über die Liebe zur Malerei und die Furcht vor den Fallen
der Tradition schildert Margarete Hahner in ihrem Raum mit dem Titel Ab
heute bist Du für mich ein überstandener Schiffbruch. Auf grüngemalten
Wänden hängen grünblaue Wellen- und Küstenbilder. Das Motiv, das
schließlich allein schon durch die Farbe assoziiert wird, hält die Farbe
mit Bedeutung besetzt und zwingt der Malenden Wiederholungen auf.
Einen anderen Weg das Bild von der Malerei zu lösen, nahm Annette Begerow,
die mit Siebdruckpunkten unmittelbar auf der Wand der Ausstellungsräume
druckte; sie realisiert ihre Bilder erst im Kontext des konkreten
Ausstellungszusammenhanges.
»Ich entschlummere. Ich entschwinde.« skandieren die Kärtchen Eva
Bernhardts weiter die Auflösung dessen, was die Kunst denn nun ausmacht.
Der Inhalt, der Rahmen, Ort und Zeit ihrer Manifestation und Sichtbarkeit,
die Reproduktion, die sprachliche Benennung? Alles steht zur Disposition.
Katrin Bettina Müller
heute, Ausstellung der Goldrausch-Künstlerinnenfortbildung bis 10.10. im
Künstlerhaus Bethanien, tgl. außer mo, 10-18 Uhr.
23 Sep 1991
## AUTOREN
katrin bettina müller
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