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# taz.de -- Wenn überhaupt
> Anläßlich der imponierenden „Running Arcs“ in der Kunstsammlung
> Nordrhein-Westfalen: Richard Serras „Anti-Environment“, jene inneren und
> äußeren Grenzen  ■ Von Thomas Fechner-Smarsly
Im März 1989 ließ die amerikanische Regierung eine Skulptur des Amerikaners
Richard Serra auf der Federal Plaza mitten in New York abreißen: aufgrund
ihres angeblich fehlenden ästhetischen Reizes. Ironischerweise hatte
dieselbe Regierung diese Arbeit zuvor für eine Stadt in Auftrag gegeben,
die ohne ihre Stahlgerüstbauten undenkbar wäre. Ein Akt staatlicher Zensur,
meinte Serra und prozessierte, wenngleich vergeblich. Das Gericht schloß
sich in allen Punkten der Ansicht der Regierungsvertreter an, wonach das
Werk des Künstlers, „als er die volle Bezahlung für seine Arbeit erhielt,
Staatseigentum wurde“. Damit, so Serra in einem Zeitungsartikel, sei das
Recht am Eigentum „allen anderen Rechten übergeordnet: dem Recht auf freie
Meinungsäußerung, dem Recht auf Ausdruckfreiheit, dem Recht auf Schutz
kreativen Schaffens“. Der Abriß war Teil einer radikal-konservativen
Kampagne in den USA, die sich vordergründig gegen die finanzielle Förderung
mißliebiger Kunst richtete. Einer ihrer ideologischen Initiatoren, Hilton
Kramer, schrieb im Juli 1989 in der New York Times, die Absicht von „Tilted
Arc“ bestehe darin, „die öffentliche Anlage, für die die Skulptur
vorgesehen war, zu destruieren und unbewohnbar zu machen“.
Aber auch in Deutschland, wo Serra ungleich größeres Renommee genießt als
in den Vereinigten Staaten, sind derartige Reaktionen keine Seltenheit.
Sobald Pläne zu Ankauf oder Aufstellung seiner Skulpturen ruchbar werden,
bildet sich binnen kurzer Zeit eine Koalition aus konservativen
Stadtverordneten, professionellen Leserbriefschreibern und besorgten
Steuerzahlern.
Serras Arbeiten provozieren statt Kunstverständnis Unverständnis. Letzteres
hat Methode: Die meisten halten sie immer noch für nicht abgeräumte
Verschalungen eines Hoch- und Tiefbau-Unternehmens. Spätestens bei ihrem
Preis ringt der Bürger nach Luft. Kunst im Freien ist schön anzusehen und
preiswert zu haben, alles andere gehört in die geschlossene Abteilung des
Museums. Wenn überhaupt.
In dessen herkömmlichen Hallen lassen sich Richard Serras Werke praktisch
kaum ausstellen. Und das aus zwei Gründen: Durch ihr Ausmaß und ihr enormes
Gewicht sprengen sie die räumlichen Möglichkeiten gewöhnlicher Museen. Als
geeigneter Ort empfähle sich eher ein Flugzeughangar oder die Werkhallen
von Krupp oder Thyssen. (Und warum eigentlich nicht? Zumindest befänden
sich Objekte in ihrer ureigensten Umgebung.)
Nur – und damit zum zweiten Grund – schließt die Konzeption von Serras
Werken eine derartige Präsentation aus. Sie sind weder dafür gedacht noch
gemacht. Vielmehr für eine ganze bestimmte Umgebung, meist für einen
öffentlichen Platz, ein städtisches Umfeld und eng auf dieses bezogen.
Für seine neueste Arbeit, die zur Zeit in der Kunstsammlung
Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf gezeigt wird, gilt dies nur zum Teil. Sie
steht zwar in einem Museum, wurde allerdings speziell auf diesen Raum hin
entworfen. Drei identische Kreissegmente von je vier Metern Höhe und 17
Metern in der Länge wurden mit ihren konkaven Seiten so hintereinander
gestaffelt, daß das mittlere nach außen zu kippen scheint, während die
beiden anderen sich nach innen neigen. Jeweils ein Endpunkt eines Elements
läuft auf den konvexen Scheitelpunkt des folgenden zu, ohne es jedoch zu
berühren. „Die schalenartigen Stahlplatten öffnen sich und schließen sich,
sie evozieren den Eindruck ungeheurer Kompression und Beschleunigung, so
als würden übermächtige zentrifugale und zentripetale Kräfte die trägen
Massen im nächsten Moment in Bewegung setzen“, schreibt Armin Zweite in
seinem umfangreichen Katalog-Essay. Sie verwandeln den hohen, hellen Raum,
der sonst eher einem Schuhkarton ähnelt, in einen gestürzten
Fahrstuhlschacht. Man muß diese Skulptur Serras umgehen, damit sie Wirkung
zeigt, eine Wirkung, die sich nicht nur visuell, sondern in der Tat auch
physisch einstellt.
Neu an dieser Arbeit gegenüber früheren ist ihre energetische Dynamik und
die Eigenständigkeit der seriellen Elemente, die sich nicht mehr
gegenseitig in der Balance halten. Sie scheinen sich im Gegenteil
voneinander zu lösen und ihre räumlichen Begrenzungen sprengen zu wollen.
Dem Titel „Running Arcs“ fügte Serra später noch eine Widmung hinzu: „F…
John Cage“, und eine gewisse „Musikalität“ liegt in der Wiederholung,
Rhythmisierung und Synkopierung der Elemente. Wenn es jedoch allgemeine
Berührungspunkte zwischen Serra und Cage gibt, so liegen sie in einer
exakten Einfachheit, die quer steht zu jeglicher eingängigen Harmonie.
Beide waren aber auch auf der Suche nach „Kommunikationsformen für das
Unkommunizierbare“.
Serras gesamtes Werk stellt insbesondere den Versuch dar, einen alten
Anspruch der Moderne einzulösen, nämlich das scheinbare Paradox der
Autonomie von Kunst und ihres kritischen Potentials, der Möglichkeit ihrer
politischen Wirkung. Darüber hinaus laufen in Serras Arbeiten die
Fluchtlinien von Moderne und Postmoderne zusammen.
Der Moderne gehören sie in einem nachgerade Benjaminschen Verständnis an:
sie haben ihre Wurzeln in den Ingenieurleistungen des vorigen Jahrhunderts,
in den Eisenkonstruktionen der Brücken, Bahnhöfe und städtischen Passagen.
Und sie verlangen den Flaneur. Er kann um die Skulpturen herumstreichen, er
entdeckt, wie sie sich öffnen und einen Durchblick freigeben und damit die
Zusammenhänge von Architektur und Raum „er-öffnen“.
Es ist schon erstaunlich, wie Serra mit scheinbar einfachen Mitteln eine
solche Wirkung erreicht. Seine Kunst ist formal streng, aber nicht
formalistisch, sie ist reduziert, aber nicht beschränkt, sie ist lakonisch,
aber nicht simpel. Sein Material – Cor-ten-Stahl – rostet schnell, und
während die Rostschicht nach innen einen Korrosionsschutz bildet, wirkt die
Oberfläche nach kurzer Zeit wie lange gealtert.
Serras Arbeit gesteht diese Faszination des Bauens und Konstruierens mit
Stahl unumwunden ein. In diesem Sinne artikuliert sie weniger eine
Auseinandersetzung mit der modernen Skulptur als vielmehr mit der
Architektur. Sie äußert sich als Kritik und „kann nur dann ihre Wirkung
entfalten, wenn auf die Maßstäbe, Methoden, Materialien und Techniken der
Architektur zurückgegriffen wird“ (Zweite). Damit erfüllt Serra zugleich
ein postmodernes Programm im besseren Sinne, jenseits von eklektischem
Zierat, nämlich das der Dekonstruktion. Vor Serras Stahlwänden verschwinden
zunächst einmal die vertrauten Zusammenhänge eines öffentlichen Raumes und
seiner Architektur. Er hebt deren Bedeutung hervor, indem er sie verdeckt;
er stört, ja zerstört die gewohnte Ordnung, und zwar im Rückgriff auf deren
Methoden und Arbeitsweisen. Zugleich entsteht etwas Neues an ihrer Stelle.
„Ich glaube nicht, daß Architektur eine Kunst sein kann“, gestand Serra
einmal in einem Interview. Seine Werke bezeichnet er als
„Anti-Environment“. Darin verwirklicht sich, bei aller Standortbezogenheit,
ein Programm der Verweigerung, eine Haltung der Autonomie gegenüber Konsum,
Nutzen und Zweck von gemachten Dingen.
Serras Kunst zielt auf die Wahrnehmung – darin liegt ihre politische
Absicht und ihr Skandal. Ihr vermeintlicher Schrottwert provoziert bis hin
zu Zerstörung und Zensur. Eine gelungene Dokumentation der
museumspädagogischen Abteilung veranschaulicht in Düsseldorf derartige
Versuche. Wer sich dagegen in die ständige Ausstellung der Kunstsammlung
Nordrhein-Westfalen verläuft, findet dort gleichsam einen Kommentar Serras
in Gestalt einer großformatigen Zeichnung. Zwei schwarze, annähernd
quadratische Formen, deren linke nur am oberen Rand einen schmalen weißen
Streifen zeigt, der in der Bildmitte abknickt und ein Stück weit in das
Bild hineinragt. Die Zeichnung entstand 1989, im Jahr der Kampagne und der
Zerstörung von „Tilted Arc“. Ihr Titel: „The New York Times Manufacturers
Censorship“.
Richard Serra: „Running Arcs“. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen,
Düsseldorf, bis zum 13. Dezember 92, Katalog: 30 Mark
Gruppengespräche und Seminare: Anmeldung unter Telefon 0211/83 81-204
13 Nov 1992
## AUTOREN
thomas fechner-smarsly
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