# taz.de -- Monotonie prägte das Duell der Asse | |
> ■ ATP-Finale: Fast nur Aufschläge beim Match zwischen Becker und Sampras | |
Frankfurt/Main (taz) – Als Vorgruppe ist der Weltranglistenzweite Stefan | |
Edberg eigentlich zu hochkarätig, und doch: sein Eröffnungsmatch gegen den | |
sich heftig wehrenden Tschechen Petr Korda (6:3, 7:6) war für die Zuschauer | |
des ATP-Finales in Frankfurt kaum mehr als ein Warmlaufen für Augen, Hände, | |
Stimmbänder. „Stefan“, hallte es von der Ballustrade, „Petrrr“, antwor… | |
die Gegengerade. Bis endlich einer sagte, worum es wirklich ging: | |
„Boris!!!“ | |
Natürlich, alle warteten auf den deutschen Tennis-Großmeister, der ab 20.00 | |
Uhr sein Debüt gegen den Vorjahres-Weltmeister Pete Sampras zu bestehen | |
hatte. „Der Druck liegt ganz auf ihm“, sagte Becker zuvor. Doch als die | |
beiden frenetisch bejubelt in die Halle einzogen, klang das anders. Boris, | |
zeig's ihm!! Boris, gib's ihm!! Boris, gewinnen!!! | |
Boris Becker, der vielfache Dollarmillionär, ist ein armer Hund. Einfach, | |
weil er anders ist als die anderen. Er rührt die Menschen an. Und kaum sind | |
sie gerührt, rühren sie sich in seine Richtung, duzen ihn, klopfen ihm auf | |
die Schulter, fordern, belehren – kurz – sie benehmen sich, als gehörte er | |
zur Familie. Unser Boris. | |
Der Ärmste, er enthemmt die Menschen. So gestand mir die Kulturredakteurin | |
einer kleinen, überregionalen Tageszeitung, bereits dreimal den miserablen | |
Becker- Film „Advantage Emotion“ angeschaut zu haben – die Höchststrafe … | |
Becker-immune Menschen. Ein Freund trug mir in salbungsvollem Ton auf, „dem | |
Boris“ von ihm auf die Schulter zu klopfen, wegen Paris-Bercy. Zwei | |
Sportreporter der Aachener Zeitung drückten in Frankfurt dem gutmütigen | |
Millionär ihr Blatt in die Hand, schoben ihn auf einen Stuhl und drapierten | |
sich mit leuchtenden Kinderaugen dahinter – fertig war das Foto für die | |
Lokalpostille. Stolz waren die Redakteure ob ihres tolldreisten Coups. Von | |
Scham keine Spur. Der einzige, der sich schämte, war ein Ordner, etwa in | |
Beckers Alter: „Das darf doch nicht wahr sein.“ | |
Ist es aber. Beckers einzige Chance, den Abgründen der allzu menschlichen | |
Seelen zu entgehen, ist Tarnung oder Verstecken. „Der Bart ist wie eine | |
Maske, hinter der ich mich verbergen kann“, erklärte er kürzlich das | |
Gestrüpp in seinem Gesicht. Um den Liebesbezeugungen der Deutschen | |
auszuweichen, bezog er in Frankfurt ein anderes Hotel als seine acht | |
Kollegen. Mühsam ist es für einen wie ihn, als Gast im eigenen Land Ruhe zu | |
finden. | |
Seine guten Seiten hat die Becker-Manie einzig auf dem Court. „Das Publikum | |
treibt mich“, sagt Becker. Diesmal waren 16.000 Zuschauer bereitwillig zur | |
Enthemmung angetreten. Kurz nur winkte Becker ins tobende Publikum, und wie | |
immer fühlte sich jeder Einzelne ganz persönlich gemeint. Alle, bis auf | |
Roberto Blanco. Der machte einzig den Kameramännern schöne Augen, damit sie | |
endlich auf ihn schwenken mögen. Immerhin, der Puppenspieler von Mexiko war | |
beschäftigt. Und wurde bald schon beneidet. Denn der Rest langweilte sich. | |
„Es ist ja nicht soviel passiert heute“, räumte selbst Boris Becker hernach | |
ein. Tatsächlich gab es außer Aufschlägen nicht viel zu beklatschen. Dem As | |
folgte das Halb-As, selten gelang ein Return, der dann meist so schwach | |
war, daß der Gewinnschlag auf dem Fuße folgte. Die einzige Aufregung boten | |
die fehlbaren Linienrichter, die von ihrem auf einer Art Katzenkratzbaum | |
kauernden Oberst zu selten korrigiert wurden. | |
Beim Stande von 5:5 im ersten Satz wurde das fast entschlafene Publikum | |
erstmals geweckt, als der Ball unter allgemeinem Freudengeheul sechsmal die | |
Seite wechselte. Es sollte der längste und aufregendste Ballwechsel des | |
Matches bleiben. Einzig Beckers beliebte „Rücken zur Wand“- Nummer im | |
Tie-Break des ersten Satzes brachte nochmal Leben in die Bude: Beim Stande | |
von 6:2 für den Vorjahres-Weltmeister Sampras wehrte Becker drei Satzbälle | |
ab. Doch Sampras gewann den Satz mit einem As. | |
Das „Only-serve-and-sometimes-volley“-Spiel setzte sich auch im zweiten | |
Satz fort. Auf den Tribünen hätte man ein Vermögen verdienen können mit dem | |
Verkauf von Skatkarten. Keiner gab den Aufschlag ab. Becker zeigte einen | |
Hecht, fischte aber leider daneben. Im Tie-Break startete Becker mit einem | |
Doppelfehler, Sampras machte Punkt Nummer zwei mit einem wahrhaft skurrilen | |
Netzroller. „Sowas habe ich noch nie zuvor gesehen“, war Becker baff. Bis | |
er sich gefaßt hatte, war der Tie-Break 3:7 und das Match 6:7, 6:7 | |
verloren. | |
„Es waren nur ein paar Bälle, die das Spiel entschieden“, verkündeten bei… | |
unisono. Zu dumm nur, daß Sampras die wichtigen Punkte gemacht hatte. Nun | |
mußte Becker schon gegen Korda und Edberg gewinnen, um seine | |
Halbfinalchancen zu wahren. Wie sagt er doch: „Optimal ist das nicht, ne?“ | |
Michaela Schießl | |
Rod-Laver-Gruppe: Goran Ivanisevic (Kroatien) - Michael Chang (USA) 7:6 | |
(7:4), 6:2; Jim Courier und Richard Krajicek spielfrei | |
19 Nov 1992 | |
## AUTOREN | |
michaela schießl | |
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