# taz.de -- Das Umgekehrte ist richtig | |
> Es fehlt jeder Code, sie zu lesen: Berliner Modefotografien im | |
> Martin-Gropius-Bau ■ Von Katharina Rutschky | |
Wer Fan ist, läßt sich ja nicht so leicht abschrecken. Verschmäht man den | |
Fahrstuhl, weil er einem den Reiz vorenthält, den das pompöse Interieur des | |
wilhelminischen Baus beim Durchqueren bietet, erreicht man das Ziel seiner | |
Wünsche diesmal nur auf der Hintertreppe. Ist man endlich oben, wird einem | |
sofort klar, daß die Flurwanderung hintenrum einen gut vorbereitet auf die | |
miese Ausstellung oben. Ja, mies; denn was nützen die schönsten | |
Sammlerstücke, was hilft es, daß Uli Richter und F.C. Gundlach ihre Archive | |
geöffnet haben, wenn bloß drei Räume da sind, von denen zwei allenfalls | |
hinreichen, um Aktenhunde hindurchzujagen, aber nicht, um Fotos zu zeigen? | |
Manche hängen auf Bauchhöhe. | |
Außerdem: Auch wer Didaktik verabscheut, wird dieses Mal ein kleines | |
Hilfsangebot an Analyse und Interpretation vermissen; denn daß Kataloge nur | |
noch so heißen und schon wegen ihres Gewichts vor Ort nicht mehr benutzt | |
werden können, ist ja eh klar. So auch hier. Was sehen wir also? Fotografen | |
studieren die Aufnahmetechnik, Schneider die Schnitte und der Fan, der | |
weder das eine noch das andere ist, bleibt wieder einmal unaufgeklärt mit | |
seinem Enthusiasmus allein. | |
Das Sonntagspublikum ist trotzdem animiert und ziemlich jung. Wo sind wir? | |
In einer Ausstellung von Modefotos aus hundert Jahren Berliner Haute | |
Couture. Beides, Ausstellung und Katalog, sind das Arbeitsergebnis eines | |
Forschungsprojekts an der Berliner Hochschule der Künste. Enno Kaufhold hat | |
die Modefotografie, Gretel Wagner die Berliner Modegeschichte im engeren | |
Sinn und Katja Aschke die Wechselbeziehung von Film, Mode und Starkult | |
recherchiert. Von Berlin wandert die Ausstellung, weiß Gott und leider | |
immer noch nicht der Meilenstein, der längst schon fällig wäre, noch nach | |
München und Hamburg. | |
Ist die Fotografie inzwischen doch halbwegs ehrbar, hat öfter den Anschluß | |
an die bildende Kunst gefunden, so ist der gleichaltrigen Mode die | |
Anerkennung als typische Kunstpraxis der Moderne nicht gelungen. Was auch | |
immer seit Baudelaire über Proust bis hin zu Baudrillard über sie | |
geschrieben und philosophiert worden ist, es hat wenig genutzt. Im | |
Feuilleton, wo letztlich über Kulturwerte entschieden wird, ist sie noch | |
lange nicht arriviert. Nichts ist für diesen Zustand bezeichnender, als daß | |
immer wieder die Frage nach Leben und Tod gestellt und mehr oder weniger | |
geistreich beantwortet wird: Was ist eigentlich Mode? „Mode ist die | |
sympathischste Unruhestifterin aller Zeiten“, beruft sich Uli Richter, der | |
letzte aus der Reihe der traditionellen Berliner Couturiers, auf Marietta | |
Riederer, etwas älteren Fans als Modejournalistin bestens bekannt. Hat er | |
das nötig? Als Besitzerin einer ererbten Uli-Richter-Kreation | |
(Cocktailkleid, zweiteilig, grüne Spitze auf Seidentaft) aus den Sechzigern | |
entbinde ich ihren Urheber von jeder Beweispflicht. Merkwürdig bleibt | |
trotzdem, warum auch Spitzenvertreter der Branche so unsicher sind und ihr | |
Legitimationsdefizit in fortgeschrittenem Alter gern mit einem | |
Paradigmenwechsel kompensieren: statt Mode machen sie Kunst, malen sie | |
Bilder und werden Mäzene für legitime Genres der Kultur. Hat es mit dem | |
schlechten sozialen Gewissen zu tun, der Anbindung der Haute Couture an den | |
Luxuskonsum der oberen Zehntausend? Streng genommen hat das Argument nie | |
gegolten, weil die Haute Couture irgendwie immer subventioniert wurde, wenn | |
auch nicht immer wie heute von uns, den Massen. In den modischen | |
Großereignissen in Paris und Rom wird eher das Prinzip der Mode inszeniert | |
und befestigt, das nicht unbedingt Schönheit und Eleganz, immer aber die | |
Person, im Sinne von Paglia als persona, Rolle und Maske zum Inhalt hat. | |
Das Legitimationsdefizit der Mode erschwert natürlich auch die Einschätzung | |
der Modefotografie. Ob sie trotz oder gerade wegen ihres Sujets interessant | |
ist, ob wir jetzt schon imstande sind, schlichten Kommerz von | |
künstlerischer Ambition zu scheiden, wie Enno Kaufhold meint, ist mir | |
zweifelhaft. Was sehen wir denn, wenn wir ein beliebiges Modefoto sehen – | |
nach dem Abschalten des Techniker- oder Schneiderblicks? Es fehlt uns | |
jedweder Dechiffriercode, behaupte ich, gerade auch nachdem ich den Katalog | |
von A bis Z studiert habe und den Fleiß der Autoren nur preisen kann. | |
Auf einem Blatt des Haffmanschen Literaturkalenders wurde kürzlich, sicher | |
in medienkritischer Absicht, ein Gymnasiast mit der These zitiert: „Lesen | |
muß der Mensch erst lernen. Fernsehen ist eine angeborene Fähigkeit. Also | |
ist Fernsehen viel natürlicher als das umständliche Lesen.“ Das Umgekehrte | |
ist richtig: auf tausend Leute, die einen Text lesen können, kommt | |
vielleicht einer, der ein Bild, geschweige denn ein bewegtes, wirklich | |
sehen kann. Über den Analphabetismus des Auges täuscht man sich dann gern | |
mit literarischen, politischen und – bei Mode natürlich besonders gern – | |
mit ideologiekritischen Assoziationen hinweg, die ein Bild einordnen, aber | |
nicht entschlüsseln. | |
Sind Frauen sonst unter-, so in der Mode und der Modefotografie bis in die | |
Gegenwart entschieden überrepräsentiert. Grund genug, über das Frauenbild | |
zu sprechen und das der Nazizeit besonders zu monieren. Weil es so viele | |
weibliche Modefotografen gegeben hat, wird der männliche Blick den Männern | |
im Bild angedichtet, obwohl sie in den Beispielen deutlich erkennbar als | |
ironische Staffage der Hauptfigur dienen. Ein Motiv, das der überschätzte | |
Helmut Newton oft herausgebrochen und als sadistischen Kitsch verbraucht | |
hat. Es ist irrig zu glauben, die Vorführdamen, Konfektioneusen, Mannequins | |
oder Models im Bild oder auf dem Laufsteg terrorisierten mit ihrer | |
überirdischen Perfektion uns, die Normalfrauen. Vertiefen wir uns doch | |
einmal vorurteilslos in die exzentrischen Posen, wie sie Regi Relang, Hubs | |
Flöter und F.C. Gundlach auf den Seiten der längst legendären Zeitschrift | |
Film und Frau in meinen Mädchenjahren erfunden haben. Was meint der | |
„Berliner Vorfallschritt“, mit dem die ohnehin scharfe Kontur eines | |
Mannequins noch einmal zugespitzt wird? Keinesfalls wird so auf einem | |
Schwarzweißfoto die Illusion der Bewegung erzeugt; gesteigert wird mit | |
diesem Mittel die kristalline Aggressivität der apollinisch aufgefaßten | |
Person – wie man wiederum bei Camille Paglia lernen kann. Was sie über die | |
Porträtbüste der Nofretete herausgefunden hat, hilft auch, die alterslose | |
Vollkommenheit, die völlige Zeitlosigkeit des geschminkten Gesichts zu | |
verstehen. Gerade die Schwarzweißfotografie fixiert hier einen Triumph über | |
das Chaos der Natur, wie es ein Farbfoto nie zuwege bringt. Dieses Ziel | |
rechtfertigt auch die hemmungslosen Retuschen, mit denen lange Zeit | |
Schwächen des Körpers und der Apparate ausgeglichen wurden. | |
„Die Liebesaffäre der Schwarz- Weiß-Fotografie mit der Mode ist die | |
Sensibilität der Moderne schlechthin“, schreibt Elizabeth Wilson. Ein | |
weites Feld und eine Herausforderung – vielleicht endlich auch einmal für | |
frohgemute Frauenforscherinnen? | |
Ausstellung im Martin-Gropius- Bau Berlin, 15.1.-21.2.; Münchner | |
Stadtmuseum 8.3.-4.4.; Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg 10.9.-23.10.; | |
Katalog (hrsg. von F.C. Gundlach und Uli Richter) 22,– DM | |
F.C. Gundlach und Uli Richter (Hrsg.): Berlin en vogue. Berliner Mode in | |
der Fotografie, Ernst Wasmuth-Verlag, Tübingen/Berlin 1993 | |
Literatur: Elizabeth Wilson: In Träume gehüllt – Mode und Modernität, | |
Kabel-Verlag, Hamburg 1989 | |
6 Feb 1993 | |
## AUTOREN | |
katharina rutschky | |
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