# taz.de -- Immenhof und FDJ-Blau | |
> ■ Achtteilige Hörspielreihe über die Kindheit in Ost und West beim | |
> DS-Kultur | |
Lieblich und verstimmt schnarrt eine Spieluhr. Oh ja, das kennen wir alle. | |
Es surrt die Zeitmaschine: Kindheit! Dann aber ein jähes Erkennen. Diese | |
Melodie?! Der selige West-Träumer erwacht und spitzt die Stasi-gereizten | |
Ohren: „Avanti Popolo, bandiera rossa...“ Rote Kindersöckchen? Es herrscht | |
Pionierromantik. Wer jedoch hofft (oder bang vermutet), hier würde in acht | |
kindlichen Ost-West-Bildern Wasser auf Propagandamühlen gekippt, der irrt. | |
Aufgeweckte Stimmen singen, raunen und gackern statt dessen in allen | |
Tonlagen von dem, was Kinder in den fifties und sixties eben sahen, | |
machten, erlebten. Damals, bevor sie ganz feste in systembestimmte Kästchen | |
verstaut wurden. Ob in Cowboyboots, Indianerfummel oder Partisanenkluft: | |
gespielt wurde immer! | |
Elisabeth Panknin, die „Anstifterin“ der Reihe, glaubt sowieso nicht an | |
flächendeckende und ferngesteuerte „Aufarbeitung“. Statt dessen hofft sie | |
auf simple, individuelle Kommunikation zwischen den neugewachsenen | |
nationalen Lagern. Da gegenseitige Anwürfe (West) und gekränkte Rückzüge | |
(Ost) zu nichts führen, ist es wohl an der Zeit, den Ton der deutschen | |
Erinnerungsmusik zu ändern. Wie entspannend und witzig nach all dem | |
Feuilletonkrieg ist diese Reise in die Zeit der Beatles und Bikinis, der | |
Partisanenträume und erster Liebe in FDJ-Blau. | |
Schon der Auftakt, „Lacrimosa“, zeigt in entwaffnender Deutlichkeit das | |
Ziel der Ost- West-Reihe: Sympathie durch Kennenlernen zu entfachen. In | |
einer (Fassbinder würdigen) Realsatire entrollt dieser Hörfilm die Sorgen | |
zweier kleiner Schwestern, die– vom Kriegsheimkehrer-Papa mit | |
Überlebensneurosen behelligt und von der sozialistischen Mama durch | |
Abwesenheit geplagt – bei der reichen West-Oma unterkriechen. Daß das Leben | |
in den Nachkriegsjahren auch im Westen kein reines Zuckerschlecken war, | |
bestätigt der vielstimmige Anfang von „Licht aus – und Küssen“. Wie die | |
Wessis als Kinder an den Lippen der Stars von Anno dazumal hingen... Erste | |
Liebe: die Mädels vom Immenhof. | |
Lothar Walsdorfs abgedrehtes „Kaspar Hausertum“, pendelnd zwischen | |
Verwahrlosung, Hölderlin und eigener Lyrik, ist ein gutes Geschütz gegen | |
das Vorurteil vom Prinzip der absoluten Gleichmacherei im Osten. Ganz | |
unsentimental erzählt dieser dichtende „Geheimtip“ die unglaubliche | |
Geschichte seiner Entdeckung: „Zwei Linien in meiner Hand“. | |
So vielfacettig wie die Stories ist auch deren Umsetzung: skurril | |
inszenierte Erzählung, dramatischer Monolog, oder dokumentarische | |
Erinnerung in verteilten Rollen. Das alles hält nicht nur total auf Trab. | |
Zusammen mit dem Nebel der eigenen Erfahrung entsteht im Idealfall so etwas | |
wie oral history, erzählte Geschichte. Gaby Hartel | |
Termine: | |
„Lacrimosa“ (7.3., 13.33 Uhr); „Faltenrock mit Hosenträgern“ (8.3., 15… | |
Uhr); „Ameisenlöwe“ (10.3., 15.35 Uhr); „Der Messdiener“ (14.3., 13.33 | |
Uhr); „Licht aus– und Küssen“ (15.3., 15.35 Uhr); „Zwei Linien in mein… | |
Hand“ (16.3., 15.35); „Auf immer und ewig“ (17.3., 15.35 Uhr); | |
„Unvollendete Heimkehr“ (24.3., 15.35 Uhr) | |
6 Mar 1993 | |
## AUTOREN | |
gaby hartel | |
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