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# taz.de -- „Baby, du warst einfach Spitze!“
> ■ Die Hamburger Künstlerin Hilka Nordhausen starb in Berlin
Es war, als hätte es für ein paar Jahre die Lower East Side nach Hamburg
verschlagen: Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre blühte zwischen
Karolinenstraße, Schlachthof und Fernsehturm eine kulturelle Subkultur
aller Genres. Musik, Film, Literatur, Malerei, Kunst und Leben - alles, was
Avantgarde war (oder sich dafür hielt) traf sich nachts in der
„Marktstube“, und tagsüber gegenüber bei Hilka Nordhausen in der
Marktstraße 12, einem der Kristallisationspunkte dieser Szene.
Hilka Nordhausen hatte von 1970 bis 1975 an der HfBK Hamburg studiert,
unter anderem bei Gerhard Rühm und Franz Erhard Walther. Das Studienklima
war (noch) revolutionär, die Studenten organisierten sich selbst (unter
anderem in der „Zeltschule“), der „Warencharakter“ von Kunst war
problematisiert und wurde versucht zu unterlaufen, aktuelle Stilrichtungen
waren konkrete Poesie und Konzeptkunst. Diese Zeit prägte auch Hilka
Nordhausens Idee einer Buch Handlung Welt, die sie 1976 im Karolinenviertel
eröffnete: weniger eine Buchhandlung im klassischen Sinne, sondern ihr ganz
persönliches Gesamtkunstwerk. Bücher waren nur ein Teil des Konzepts: zum
literarischen Surrealismus, zur Konzeptkunst, die in Deutschland sicherlich
größte Auswahl an deutschen und amerikanischen Literaturzeitschriften und
Büchern aus kleinen Verlagen, Künstlerbücher, Autorendrucke, Buchobjekte.
Der andere Teil war Handlung: Lesungen, manchmal zwei pro Woche, Filme,
Performances. Hier „trainierte“ die international besetzte Hamburger
Künstlergruppe HENRY/NANZY, und dann war da die Stirnwand des Ladens: 3,80
Meter hoch, 5,20 Meter breit. im Vier-Wochen-Rhythmus wurden Malerinnen und
Maler eingeladen, ein Bild direkt auf die Wand zu malen. Nach Ablauf der
vier Wochen wurde sie weiß überstrichen, das nächste Bild konnte entstehen.
Über 60 Gemälde überlagerten sich so im Laufe der Jahre, und jede/r, den
Hilka Nordhausen für würdig hielt, bekam eine Chance: damals und heute
Namenlose ebenso wie Dieter Rot, Vlado Kristl, Albert Oehlen und Werner
Büttner - und diese Bilder waren nicht zu kaufen, nicht in den Handel zu
bringen, sperrten sich, wie es radikaler nicht geht, gegen eine Verwertung.
Bei den Lesungen waren Herausgeber und Autoren kleinster
Literaturzeitschriften ebenso zu Gast wie Autoren der amerikanischen
Beat-Generation: Allen Ginsberg, Ted Joans und Ed Sanders kamen so nach
Hamburg. Im Karolinenviertel war die Welt zu Gast und die Buch Handlung
Welt (wie auch Klaus Maecks Plattenladen Rip-Off) im Zentrum der
Avantgarde. Leider teilte sie auch deren so häufig erlebtes Schicksal: Sie
war in Berlin, Amsterdam und New York bekannter als in der Freien und
Hansestadt und mußte, als die ökonomische Situation immer schwieriger
wurde, zum Jahresende 1983 schließen.
Auch zu Buch Handlung Welt-Zeiten hatte Hilka Nordhausen nicht aufgehört zu
malen und zu schreiben. Nach 3 Jahren in Köln ließ sie sich 1987 in Berlin
nieder. Die Ausstellungen ihrer Bilder, unter anderem in Mexico City,
Stuttgart (“Szenen der Volkskunst“), Düsseldorf (“Von hier aus“), Berl…
(Künstlerhaus Weidenallee) blieben immer konzeptuellen Zusammenhängen
verbunden. Aus den Texten und Bildern ihres Buches „Melonen für Bagdad“
(Verlag Peter Engstler, 1990) entwickelte sie eine Leseperformance mit bis
zu fünf parallel laufenden Diaprojektoren und trat damit in Berlin, Köln,
Frankfurt und Hamburg (im „Marinehof“ und „Westwerk“) auf. Im Herbst 19…
erschien ihr Buch „Glücklichsein für Doofe“ (Kellner Verlag); am
vergangenen Mittwoch starb Hilka Nordhausen in Berlin an Krebs.
Michael Kellner
17 Dec 1993
## AUTOREN
Michael Kellner
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