# taz.de -- Unheilvoller Nebel | |
> ■ Mit einer Filmreihe erinnert 3 sat an den britischen Regisseur Carol | |
> Reed | |
Die Ärmste. – Die ganze Treppe hinuntergefallen. Da knickt das Genick doch | |
weg wie ein Streichholz.“ Die Putzfrauen schütteln respektvoll den Kopf. | |
Dann feudeln sie die blutigen Bremsspuren der tödlich verunglückten | |
Haushälterin Mrs. Baines weg und echauffieren sich einträchtig über die | |
Marmorstruktur auf den Treppen – „ekelhaft“. Der Auftritt der Putzkolonne | |
in „Kleines Herz in Not“ (1948) erinnert an Shakespeares clowneske | |
Totengräber, für die das Sterben anderer vor allem Arbeit bedeutet. | |
In den Filmen des britischen Regisseurs Carol Reed (1906–1976) ist nichts | |
so unspektakulär wie der Tod. In „Ausgestoßen“ (1947) oder „Der dritte | |
Mann“ (1949) liegen die Leichen wie zivlisatorisches Strandgut im | |
Brackwasser der Donau oder in den Pfützen vor den Londoner Docks. Die | |
kriegsgeschüttelte Welt der vierziger Jahre kostet der Anblick Sterbender | |
bei Reed nur ein müdes Achselzucken. | |
Als Dokumentarfilmer für die britische Armee während des Zweiten Weltkriegs | |
fand er keine passende Einstellung zum Töten und Tötenlassen und umhüllte | |
seine Infanteristen ersatzweise mit unheilvollem Nebel. Auch in den | |
folgenden Spielfilmen bleibt sein Kamerablick, trotz morbiden Arrangements, | |
pietätvoll und verläßt die Leblosen mit schnellem Schnitt oder diskreter | |
Abblende. | |
Ab heute erinnert 3 sat mit einer fünfteiligen Spielfilmreihe an den | |
Briten, der Spannung mit ästhetischem Kalkül verknüpfte. Sein Vorbild | |
Hitchcock stand dabei ebenso Pate wie die schrägen Bildkompositionen der | |
deutschen Expressionisten. Neben dem monströsen Hollywood-Streifen „Inferno | |
und Ekstase“ (1964), einer verklärten Michelangelo-Biographie, werden auch | |
seine wichtigsten Nachkriegsfilme gezeigt. In ihnen läßt Carol Reed seine | |
Protagonisten durch ein zerbombtes Europa hetzen, zwischen dessen | |
Trümmerhaufen sich der besiegt geglaubte Chauvinismus in kleinen Komplotten | |
wieder regt. Bei „Der dritte Mann“ regiert der Survival- | |
of-the-Fittest-Gedanke bei den Männern mit den Schiebermützen und den | |
kalten Zigarettenstummeln zwischen verkniffenen Lippen. Nicht nur der | |
Handel mit Togal-Päckchen und Nylonstrümpfen blüht, sondern auch | |
organisierter und vor allem gewinnträchtiger Massenmord mit toxisch | |
verdünntem Penicillin. | |
Reeds Helden, vorzugsweise „Outcasts“, hasten durch düstere Kulissen, als | |
wollten sie nicht nur ihre Verfolger, sondern auch die Enge der | |
Einstellungen abschütteln, denen trotz ihrer Tiefenwirkung immer etwas | |
Klaustrophobisches anhaftet. Mit grotesker Komik verweist Reed darauf, daß | |
die Ordnung, aus der seine Figuren gefallen sind, wie der unter | |
Mordverdacht stehende Schriftsteller Holly Martins („Der dritte Mann“) oder | |
der von der Polizei gehetzte irische Rebell Johnny („Ausgestoßen“), nicht | |
die glückliche Alternative zu ihrer Alptraumsituation ist, sondern | |
ebenfalls nur Bestandteil eines alltäglichen Horrors. Martins, ein | |
Groschen-Romancier, verliert in den Wiener Abwässerkanälen nicht nur seine | |
Unschuld (er erschießt seinen Freund, den Schieber Harry Limen), sondern | |
auch seinen einzigen Fan, einen Polizisten: „Bei Ihren Büchern strengt das | |
Lesen nicht so an.“ | |
Und wenn der schwerverwundete Johnny im Luftschutzbunker Schutz vor den | |
Häschern sucht, muß er sich anhören, wie ein Liebespaar von zukünftiger | |
Familienidylle schwärmt. Ohne diese bitterbösen Szenen liefe ein Film wie | |
„Ausgestoßen“ Gefahr, mit seiner oft überambitionierten Metaphorik, die | |
drohendes Unheil bedeutungsschwer im voraus annonciert, zum hysterischen | |
Melodrama zu mutieren. Da sieht der Halbtote in einer Bierlache noch einmal | |
Passionsstationen seiner Flucht. Im Todesfieber posiert er gar als Prophet, | |
dem jenseitige Stimmen Weisheiten über die menschliche Liebe auf die Zunge | |
zu legen scheinen. | |
Neben den Gehetzten mit ihren kathartischen Leidenswegen agieren die wahren | |
Schurken, deren Raffgier und Grausamkeit einer ungenauen, trotzigen Anklage | |
gegen den Rest der Welt gleichkommt, die sie irgendwie nicht mitspielen | |
läßt. Eine ungewöhnliche Vertreterin dieses perfiden Fatalismus ist die | |
Haushälterin Mrs. Baines in dem nur selten gezeigten Film „Kleines Herz in | |
Not“. Mit dieser systematisch vom Leben Betrogenen läßt Reed die | |
Hausfrauenexistenz schlechthin kollabieren. Ihre Härte und ihren | |
Ordnungsfetischismus, der sich längst zur Neurose gesteigert hat (für die | |
sich ihr Gatte immerhin mitschuldig erklärt), sind gezeichnet von der | |
Panik, die Übersicht und damit die einzige Bestimmung zu verlieren. | |
Ungeheuer zynisch wirkt daher ihr Ende als lapidarer Treppen- „Dreck“. Mit | |
Thriller-Effekten, bei denen die staubfreien Räume zu einer abstrakten | |
Architektur der Angst werden, kommentiert der Film Ehe und Familie als | |
sozial-klaustrophobische Szenerie. Ihre muffig-brutale Enge paralysiert | |
auch Philip, das einzige Kind im Haus, und treibt es auf die nächtlichen | |
Straßen. Dorthin, wo Johnny, Martins und Limen bereits durch die | |
Abwässerrinnsale wateten und wo auch das Putzwasser der Reinemacherinnen an | |
den Bordsteinen irgendwann entlangplätschern wird. Birgit Glombitza | |
Sendedaten: „Ausgestoßen“: heute, 23 Uhr; „Kleines Herz in Not“, 17.Ma… | |
14.15 Uhr; „Inferno und Ekstase“, 23. Mai; 11 Uhr; „Gefährlicher Urlaub�… | |
25. Mai; 23 Uhr; „Der dritte Mann“, 29. Mai; 11.05 Uhr | |
11 May 1994 | |
## AUTOREN | |
birgit glombitza | |
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