# taz.de -- Ort der Ankunft und der Abfahrt | |
> Das Berliner Institut für Auslandsbeziehungen zeigt „Iskele. Türkische | |
> Kunst heute“ ■ Von Brigitte Werneburg | |
Nach der Übernahme der New Yorker Guggenheim-Ausstellung von Rebecca Horn | |
stehen in der Neuen Nationalgalerie derzeit, brumm brumm, die Ferraris des | |
Museum of Modern Art. Gegenüber soviel internationaler Einfalt erscheint | |
eine aktuelle Ausstellung des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) mit | |
Beteiligung der gemeinnützigen Kunst-Werke Berlin natürlich maßlos pc. | |
Tatsächlich aber verdankt sich „Iskele. Türkische Kunst heute“ der | |
kompetenten und definitiv unprovinziellen Neugierde ihrer Kuratoren Sabine | |
Vogel und Beral Madra, die in überschaubarer Auswahl relevante | |
zeitgenössische türkische KünstlerInnen nach Berlin geholt haben. „Iskele�… | |
Landungsbrücke, ein Ort der Ankunft wie der Abfahrt, steht für diese Kunst; | |
ein unruhiger, ein großstädtischer, ein weltoffener oder nomadischer Raum, | |
wie ein beliebter Begriff im Kontext Kunst derzeit lautet. | |
Ayșe Erkmens beschriftete Hauswand wirkt selbst im Kreuzberger Umfeld, wo | |
türkische Namen, Reklamen und politische Parolen die Regel sind, exotisch. | |
Allein ästhetisch scheint sie zugänglich, als Bilderschrift und -rätsel. Es | |
ist das dritte Projekt der Istanbuler Künstlerin in Berlin nach „Das Haus“ | |
in der daad-Galerie und „Zum Haus“ in der Galerie von der Tann. Ihre | |
Schriftzeichen sind uns dennoch vertrauter, als wir auf den ersten Blick | |
annehmen. Immerhin verlaufen die Endsilben der türkischen Verbkonjugation | |
stockwerkweise in lateinischer Schrift „Am Haus“ in der Oranienstraße 18. | |
Mit Kemal Atatürks radikalem Modernisierungsprogramm wurde das osmanische | |
Imperium der türkischen Republik selbst unleserlich und exotisch. Aber | |
Nichthinterlassenschaft scheint damals auch anderswo modern gewesen zu | |
sein. Brechts Rat an die Städtebewohner, ihre Spuren zu verwischen, wird | |
heute kraß mißachtet. Wir scheinen in unseren modernen Städten heimisch | |
geworden zu sein, denn auf unsere Weise leisten wir unsere Unterschrift, | |
die Städte sind voll von tags. Auch derart verlieren „müșmüș“ und | |
„müșmüșüz“ an Exotik und behaupten selbstbewußt und unübersehbar: das | |
Fremde gehört zu uns, in der Form entspringt es der westlichen Kultur. Und | |
das ist die Situation der Türkei: zu sehr tabula rasa, als daß die | |
kulturhistorische Rückversicherung in triftigen Formen zugänglich wäre und | |
zu wenig tabula rasa, um künstlerische Gegenwartsversicherung ohne | |
westliche Auslandserfahrung vorstellbar zu machen. | |
Keine Metapher dieses leeren Tisches ist allerdings der Tisch der Armut, | |
den Selim Birsel in der ifa- Galerie aufgestellt hat. „Heute abend gibt es | |
kein Essen zu Hause“, ist die alltägliche Gegenwartserfahrung vieler | |
großstädtischer Jugendlicher, unter denen sich, wie in türkischen Zeitungen | |
zu lesen ist, aufgrund von Unterernährung Tuberkulose auszubreiten droht. | |
Selim Birsel, im französischen Kulturkreis aufgewachsen, lebt erst seit | |
kurzem in Ankara; er nahm diese Zeitungsberichte, klebte sie zusammen und | |
überzog sie mit Graphit: ein Tischtuch, das bleiern auf dem leergeräumten | |
Tisch lastet. | |
Mit Blei arbeitet auch Osman Dinç, neben Beton, Glas, Uran, Erde und Eisen. | |
Seine „Fünf unnützen Objekte für die Reise“ sind formvollendete | |
Stahlgebilde, die an arabische Krummschwerter erinnern. Sie sind jedoch | |
wirklich zu groß, zu hohl, zu schwer, zu stumpf und zu veraltet, um für | |
Kampfhandlungen nützlich zu sein. Die Reise ist auch heute ein gefahrvolles | |
Unternehmen, und sicher gibt es nützliche Objekte, sich zu rüsten. Aber | |
kümmert man sich darum? Angesichts des leeren Tischs, dem die unnützen | |
Objekte gegenüberhängen und mit dem sie trotz all ihrer formalen Eleganz | |
widerspruchslos harmonieren? Nach dem industriellen Stahl- und Graphitgrau | |
überrascht Handan Bürüteçene mit Orientalismus: türkisfarben pigmentiertem | |
und korrodiertem Kupferglanz. Zwei übereinander plazierten, gewellten | |
Kupferblechstreifen hängen über Eck drei Glaskästen und drei offene | |
Stahlboxen gegenüber. Die gläsernen Schaukästen sind mit blauem | |
Pigmentstaub, Muscheln und Meersalz gefüllt. In den Stahlboxen darunter | |
rollt sich korrodiertes Kupferblech wie Papier in der Küchenrolle. Ließe | |
sich das Blech abreißen, ist man versucht zu glauben, hielte man die Essenz | |
dieser mediterranen Meditation in Händen: „Bevor alle Meere Museumsobjekte | |
werden“. | |
Die von diesen Künstlern ziemlich zurückhaltend eingesetzten Materialien | |
und Formen markieren Distanz sowohl zur (alten) Idee kultureller | |
Synchronizität wie zur (neuen) Idee des Regionalismus. Zwischen den | |
Kulturen lebend, arbeiten sie eher eigenwillig mit dem Vokabular der | |
internationalen Kunst, auf dem sie aufbauen und dem sie ohne | |
märchenhaft-orientalisch inszenierte Rückgriffe genügend Verweise auf ihre | |
Wurzeln geben. | |
Modischer, aggressiver in der Verwendung banaler Alltagsgegenstände und | |
westlicher wie östlicher Kitschformen sind Adem Yil | |
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Fortsetzung | |
maz und Füsun Onur. Deren Installation aus schwarz verschleierten | |
Arbeitsstiefeln, realen und fotografierten, pailettengeschmückten | |
Puppenköpfen, einem Kinderhemdchen und -kleidchen, „Meine erste Erinnerung | |
an das Wort Germany als ein Kind“ ist allerdings von einer enormen | |
Hermetik, die heute das Stichwort „Cocooning“ auf den Plan ruft. Onurs | |
Arbeit ist Informationsarbeit, wobei die dinglichen Träger der Information | |
eher von ihrer sehr privaten Botschaft abzulenken scheinen. Plüschtiere, | |
die auf Cocktailkissen gesetzt, über eine Mädchenfotografie der | |
Jahrhundertwende sinnieren, sind – so darf man vermuten – nicht der | |
Erinnerung an eine anatolische Kindheit gedankt. Adem Yilmaz' „Rastplatz | |
III“ in einer eigens gebauten Koje, deren Stirnwand von einem | |
blauhinterstrahlten, unlesbaren Foto in einem Lichtkasten beherrscht wird, | |
ist ein behaglich wirkendes, pedantisch arrangiertes Ensemble der | |
Surrogate. Kupferne Wände sind dem Auge heimatliche Labsal oder fremder | |
Luxus ebenso wie die türkis- und kobaltblaue Farbe in einer Art Regenrinne. | |
Wohlbedacht, in einem eigenen Raum der Kunst- Werke, eine S-Bahn-Station | |
von der ifa-Galerie entfernt, lagert Hale Tengers „Dezente Totenwache: | |
Bosnien-Herzegowina“, in wassergefüllten Schraubgläsern archiviert, in | |
einfachen Industrieregalen. 864 Dokumente, Fotos, kopierte | |
Zeitungsmeldungen, Videoprints aus internationalen Nachrichtensendungen | |
stecken in ebenso vielen Gläsern, akustisch eingehüllt von einer | |
Stimmencollage aus einem bosnischen Flüchtlingslager in der Türkei, das | |
Tenger besuchte. | |
Der Krieg in Jugoslawien bewegte die Künstlerin nicht nur zur symbolischen | |
Aktion. Bei der ersten Installation in Istanbul verkaufte sie Zertifikate | |
und finanzierte aus dem Erlös Kinderkleidung, Spielzeug und Kaffee für die | |
Flüchtlinge. Der Katalog der ifa- Ausstellung zitiert Hale Tenger: „Nichts | |
hat sich in der Weltpolitik und -wirtschaft geändert seit Beuys. Von daher | |
kann man weiterhin soziale Plastiken schaffen.“ | |
Die Ausstellung „Iskele. Türkische Kunst heute“ ist in Berlin noch bis 3. | |
Juli in der ifa-Galerie, Friedrichstraße 103, Mitte, und vom 12. August bis | |
zum 9. Oktober in Stuttgart zu sehen. Vom 17. August bis zum 1. Oktober | |
zeigt die ifa-Galerie in Bonn die Installation „Der Weg“ von Ayșe Erkemen. | |
Katalog 25 DM. | |
8 Jun 1994 | |
## AUTOREN | |
brigitte werneburg | |
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