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# taz.de -- „Die Märtyrer sind unsterblich“
> Tausende KurdInnen trauerten am Samstag in Hannover um den durch eine
> Polizeikugel getöteten Halim Dener / Friedlicher Demonstrationsverlauf /
> Polizei will gegen PKK-Fahnenträger ermitteln  ■ Aus Hannover Jürgen
> Voges
Rot, Gelb und Grün – die kurdischen Nationalfarben bestimmen am Samstag
mittag den hannoverschen Steintorplatz. Rote und gelbe Nelken und ihre
grünen Stengel bilden am Boden den Umriß eines Körpers nach – hier, neben
dem Eingang der U-Bahn-Station, hat vor zehn Tagen der Zivilpolizist Klaus
T. den tödlichen Schuß auf Halim Dener abgefeuert. Bedeckt mit der
kurdischen Fahne ist auf der anderen Straßenseite nun der Sarg des jungen
Opfers aufgebahrt. Bis dorthin hatte sich der junge Kurde nach dem
Todesschuß noch schleppen können. Vier junge Frauen und zwei Männer halten
die Totenwache. Einer von ihnen trägt den braunen Kampfanzug der
Guerilleros, die übrigen tragen die kurdische Tracht.
Seit Tagen hängen überall am Steintor Plakate: das Foto des Ermordeten auf
rotem Grund, über seinem Kopf wie ein Heiligenschein das Symbol Kurdistans,
der rote Stern auf gelbem Grund in einem grünen Kreis. Das „Delikt“
Plakatieren, das der 28jährige Polizeiobermeister Klaus T. vor zehn Tagen
glaubte mit der Waffe ahnden zu müssen, ist in den letzten Tagen in
Hannover Hunderte Male begangen worden – unter den Augen der Polizei.
„Kanther Terrorist, Türkei Terrorist, es lebe PKK“ – die Parolen, die die
Kurden beiderseits der Straße den Schaulustigen zurufen, werden lauter, als
die Spitze des mehrere Kilometer langen Demonstrationszuges sich dem
aufgebahrten Sarg nähert.
Vorneweg, noch vor den drei Fotos von Halim Dener, wird ein Portrait von
Abdullah Öcalan, genannt „Apo“, dem unbestrittenen PKK-Führer, getragen,
dahinter wehen wohl über hundert kurdische Fahnen. „Es lebe der große Apo“
rufen die Umstehenden auf kurdisch, und auch sonst entbehren die Parolen
nicht des Pathos: „Die Märtyrer sind unsterblich“, wird da etwa auf
kurdisch skandiert.
Fast versteckt flattern zwischen den kurdischen Nationalfahnen auch einige
Banner mit Hammer und Sichel der „Partya Karkeren Kürdistan“. „Das
Tolerieren wir heute“, sagt später ein Polizist, der etwas abseits an
seinem Streifenwagen steht – schließlich verlaufe alles ruhig. An anderer
Stelle hat die Polizei jedoch versucht, die Gesichter aller Fahnenträger zu
filmen oder zu fotografieren. Entsprechende Ermittlungsverfahren wegen des
Verstoßes gegen das PKK-Verbot sollen eingeleitet werden.
Dichtgedrängt stehen die um Halim Dener Trauernden am Nachmittag auf dem
hannoverschen Klagesmarkt, nur wenige Deutsche finden sich unter den aus
allen Teilen der Bundesrepublik angereisten Kurden. Von 16.000
Demonstranten spricht später die Polizei, für die Einsatzleiter vor Ort
sind es schon mal 20.000, der Veranstalter nennt eine Zahl von „über 70.000
Trauernden“.
Auf dem Klagesmarkt weht die PKK-Fahne über der Rednertribüne. Alle
RednerInnen, darunter Rolf Köhn (PDS) für das Demo- Vorbereitungskomitee
und Angelika Beer für den Bundesvorstand der Grünen, machen letztlich für
den Todesschuß die Politik der Bundesregierung verantwortlich, kritisieren
die innerstaatliche Feindeserklärung, die das Verbot der PKK begleitete.
Immer wider werden die Reden von rhythmischen Parolen gegen
Bundesinnenminister Kanther unterbrochen.
Plötzlich kehrt Ruhe ein, und Tausende von Fingern werden zum
Victory-Zeichen gespreizt. Der „große Apo“ selbst wendet sich aus den
Lautsprechertürmen an die Trauernden. „Als ob die militärische
Unterstützung der Türkei durch die Bundesrepublik nicht ausreichen würde,
haben sie auch noch unsere Partei verboten“, heißt es in der per Telefon
übermittelten Botschaft des PKK- Führers. Die Demonstration zu Ehren des
„gefallenen Halim Dener“ zeige, daß Widerstand gegen diese Politik der
Bundesregierung geleistet werde. „Apo“ ruft dazu auf, den Kampf gegen das
PKK- Verbot zu verstärken. „Der Tod von Halim Dener wird uns den richtigen
Weg weisen“, sagt der Guerilla-Führer, bevor wieder die Hochrufe ertönen.
Direkt nach dem Kurdenführer spricht Hannovers Oberbürgermeister Herbert
Schmalstieg zu den Trauernden. Direkt unter der PKK-Fahne stehend, bedauert
der SPD-Politiker den „tragischen Tod“ des 16jährigen, auch im Namen
Gerhard Schröders und der niedersächsischen Justizministerin Heidi Alm-
Merk. Seine Ansprache beendet er auf kurdisch mit einem „Lang lebe
Kurdistan“. Ob nun auch gegen den Oberbürgermeister wegen der Rede inmitten
verbotener Fahnen ermittelt werden muß? Das sei noch nicht entschieden,
meinte der Sprecher der hannoverschen Polizei gestern lapidar.
11 Jul 1994
## AUTOREN
jürgen voges
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