# taz.de -- Die Filmhelden sind müde | |
> ■ Neu im Kino: „Light Sleeper“, ein düsteres Krimitagebuch von Paul | |
> Schrader | |
John Le Tour gehört der Gattung Nachtmensch an. Nachts fährt er mit dem | |
Taxi durch die Großstadt, beliefert seine Kunden mit Drogen, später liegt | |
er wach und schreibt Tagebuch. Ziemlich am Anfang des Films erinnert sich | |
Willem Dafoe, der hier Schraders Held ganz ohne das Image des Berufsbösen | |
gibt, sondern seine innere Zerrissenheit fast außschließlich auf dem | |
Gesicht zu spiegeln weiß: „Ein Drogendealer hat mir mal gesagt, wenn ein | |
Dealer beginnt Tagebuch zu schreiben, ist es Zeit für ihn, aufzuhören. Ich | |
habe danach angefangen, Tagebuch zu schreiben...“ Wir ahnen schon, gleich | |
wird Schreckliches passieren. Dann verflüchtigt sich das Gefühl der | |
Bedrohung wieder. | |
Eine Zeitlang wirkt Johns Alltag harmlos und familiär. Wenn John Le Tour | |
seine Kunden beliefert winkt kaum eine Gefahr, in den Appartements der High | |
Society, der er Nachschub für die nächtlichen Drogenparties frei Haus | |
liefert, droht ihm kein Messer im Rücken. Auch seine Arbeitgeberin | |
behandelt ihn vorbildlich. | |
Susan Sarandon, in Thelma & Louise noch leidgeprüftes Opfer, ist in „Light | |
Sleeper“ auf der Gewinnerseite. Und der Erfolg steht ihr gut. Immer | |
aufregender und erotischer entwickelt sie sich von Szene zu Szene, bald | |
scheint sie sämtliche Innenräume des Films mit dem Hennarot ihrer Haare | |
auszuleuchten. Man höre und sehe: Besetzungswechsel in der Männerdomäne | |
Unterwelt, der Drogenboss ist eine starke und schöne Frau. Neben der | |
ausgesprochen witzigen Abwicklung ihrer Geschäftsinteressen in Sachen | |
Drogen findet sie auch noch Zeit, ihren Angestellten John in das schickste | |
französische Restaurant der Stadt einzuladen. | |
Eigentlich scheint dieser John fast beneidenswert, nur schlafen kann er | |
immer noch nicht. Weiter füllt er Kladde um Kladde. Beginnt ein Heft, | |
schreibt es voll, wirft es weg und beginnt ein neues. Langsam wird dieser | |
Schreibwahn beängstigend, deutet auf eine leidbeladene Innenwelt, von der | |
immer noch nicht mehr zu sehen ist als das zusehends verspannte Gesicht | |
Willem Dafoes. | |
Es ist auffällig, wie Paul Schrader nach der explosiven Gewalt von „Taxi | |
Driver“ aus den 70ern, zu dem er Scorsese schon das Drehbuch schrieb, der | |
kalifornischen Yuppie-Eleganz des „American Gigolo“ aus den 80ern, jetzt | |
einem neuen Zeitgefühl Platz einräumt. Alle Männerherrlichkeit ist | |
verblaßt. Die Mythen, von denen sich die amerikanischen Filmhelden nähren, | |
bilden hier nur noch die abgelagerte Geschichte, ein Sediment der | |
Erinnerungen, die ihren Platz in Tagebüchern haben. Kein Wunder, daß auch | |
das New York, in dem die Handlung spielt, sämtlichen Glamours beraubt ist, | |
stattdessen streikt die Müllabfuhr. Immer mehr schwarze Müllsäcke türmen | |
sich auf den Gehsteigen, werden zu stummen Statisten einer Endzeitstimmung. | |
Das wird so selbstverständlich, daß man erst aufschreckt, als die | |
Müllabfuhr wieder arbeitet. Dann geht alles ganz schnell: Seine Chefin Ann | |
hat nun endgültig keine Lust mehr, ihr Geld weiter im Drogengeschäft zu | |
verdienen, jetzt, wie es ganz ernsthaft heißt, „wo man keinen sauberen | |
Stoff mehr an saubere Leute liefern kann“. Deshalb will sie nun, wo Crack | |
den Markt versaut, endlich umsteigen. Diesmal auf Natur pur: Eine ganz | |
natürliche Kosmetikserie soll ihr die Zukunft sichern. Und John muß sich | |
fragen, wie er sein Geld verdienen will. | |
Eine Antwort fällt ihm immer noch nicht ein, eher entwickeln sich die Dinge | |
um ihn herum, fällen eine Entscheidung für ihn. Ein letztes Signal ist der | |
plötzliche Selbstmord seiner alten Liebe Marianne. Jetzt gibt es keinen Weg | |
mehr zurück. | |
Wie zur Erlösung drückt Schrader seinem Helden Willem Dafoe dann doch noch | |
eine Waffe in die Hand, die dieser komischerweise erst gar nicht zu | |
bedienen weiß. Aber als er mit Ann dann dem Schweizer Geldhai und | |
Oberfiesling gegenübersteht, der Marianne auf dem Gewissen hat, und von | |
diversen Schießeisen im Raume bedroht wird, da findet sein Finger doch noch | |
den Abzug: ein Kugelhagel stellt die Gerechtigkeit der westlichen Welt | |
wieder her. Susanne Raubold | |
Cinema, tägl. 21 Uhr | |
14 Jul 1994 | |
## AUTOREN | |
Susanne Raubold | |
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