# taz.de -- Der sozialistische Werwolf | |
> In diesen Tagen gewinnt die DDR ihre allerletzte Olympia-Medaille – im | |
> Fernschach / Begegnung mit dem Auswahlkapitän Fritz Baumbach ■ Von Pe… | |
> Unfried | |
Eine schmale Straße, eine Sackgasse. Fast an ihrem Ende steht eine | |
schmucklose Baracke. Darin kann man ein paar Treppen hochgehen und kommt | |
schließlich in eine Art Zelle. In jenem kargen Raum sitzt an einem kargen | |
Tisch, erleuchtet von gleißendem Licht, ein Mann. | |
Seit 1971 bin ich hier, ich will nicht sagen, daß ich in diesem Raum schon | |
so lange bin, wir sind auch schon dreimal umgezogen, das letzte Mal vor | |
einem Jahr. Dieses Gelände hier mit den vielen Gebäuden, da hat man mal | |
hier gesessen, mal da. | |
Der Mann ist Patentassessor, „Schreibtischchemiker“, wie er sagt, sein | |
Schreibtisch steht in Berlin-Buch. Einst war er fest angestellt bei der | |
Akademie der Wissenschaften, nun hat er, 59jährig, einen befristeten | |
Vertrag. | |
Naja, ich mache die absolut gleiche Arbeit hier und habe die gleiche | |
Umgebung. Aber die Befindlichkeit ist doch etwas anders: Weil man mehr | |
gefordert ist als früher. Sollte hier mein Arbeitsanfall nach unten gehen, | |
wäre ich schnell draußen. Das ist ein Wissen, das doch ein bißchen drängt, | |
sag ich mal. Früher war die Arbeit auch ein Ort der Geselligkeit. | |
Das ist ein Mann, dessen Hose, Pullover, Brille von Modeeinflüssen | |
unbeeindruckt blieb. Ein freundlicher Mann, der freundlich lacht, | |
mittellaut lacht. Haben wir vergessen, zu erwähnen, daß er Fritz Baumbach | |
heißt? Dr. Fritz Baumbach? Und Schachspieler ist? Nicht irgendein | |
Schachspieler. Er ist der Kapitän der Fernschachauswahl, die die Deutsche | |
Demokratische Republik im November 1987 symbolisch in die Welt | |
hinausschickte, um den Arbeitern und Bauern bei der Fernschach-Olympiade | |
Ruhm und Ehre heimzubringen. Und? Nun ist Honecker tot, vergessen, und | |
Mielke geht es auch nicht gut, aber Fritz Baumbach und seine Kollegen, die | |
einfach immer weitergespielt haben, immer weitergespielt, mehren in diesen | |
Tagen die sportlichen Meriten der DDR mit einer allerletzten | |
Bronzemedaille. Ist das eine ironische Fußnote der Geschichte? Der Mann, | |
der noch immer für die DDR kämpft, der sozialistische Werwolf sozusagen? | |
Fernschachspieler Baumbach lacht: | |
Na ja, eine ironische Fußnote, muß ich sagen. Mich freut daran, daß noch | |
einmal sichtbar wird, daß auch in der DDR unter schlechteren Bedingungen | |
als in der Bundesrepublik durchaus passable Ergebnisse erzielt worden sind. | |
Das sage ich schon gern einem, der mich gewissermaßen fragt, und bin auch | |
stolz drauf, daß man das geschafft hat, als Mannschaft. Die Bundesrepublik, | |
die auch gespielt hat, ist ja, glaube ich, fünfte oder sechste geworden. | |
Im September 1995 wird Fritz Baumbach, inzwischen Präsident des | |
gesamtdeutschen Fernschachbundes, zum Treffen des Weltfernschachbundes ICCF | |
nach Norwegen reisen: | |
Es gibt dann Beifall, der Mannschaftsleiter kriegt Krug oder Medaille, dann | |
fahren die Mannschaftsleiter nach Hause, bringen ihrer Mannschaft die | |
Urkunden, man freut sich gemeinsam und denkt noch einmal an die lange Zeit, | |
die man gemeinsam am Brett gesessen hat, das heißt, eigentlich nicht | |
gemeinsam, aber als Mannschaft. (Und frühestens dann wird die DDR endgültig | |
ad acta zu legen sein!) | |
1991 war es, als er einen bundesdeutschen Gegner matt setzte. Die Partie | |
überdauerte den Sozialismus, den Fall der Mauer, die Vereinigung. Staaten | |
kommen und gehen – Schach bleibt. Darüber hat Fritz Baumbach einen Artikel | |
geschrieben. Und warum hat er, von allen Dingen dieser Welt, das Fernschach | |
sich erwählt? Simpel, dummer Westler: | |
Hatte man ein Hobby, blieb man dabei. Es war ganz schwierig da | |
reinzukommen, auch in Keramikzirkel. | |
Schach, das andere Schach, er nennt es abgrenzend Brettschach, brachte ihn | |
in ferne Länder, die Tschechoslowakei und so weiter. Doch trotz nationaler | |
Erfolge, dem Titel eines FIDE-Meisters und respektablen knapp 2.400 | |
ELO-Punkten – der große Erfolg kam erst, als er altersweise per Postbote | |
spielte: Einzelweltmeister 1988!. | |
Als ich Weltmeister wurde, da wußte ich es nur alleine. Da kam die Karte. | |
Mein Gegner hatte Remis angeboten, und den halben Punkt brauchte ich gerade | |
noch. Ich habe dann angenommen, natürlich, das hätte ich auch, wenn ich auf | |
Gewinn gestanden hätte, denn ob ich auf Gewinn spiele und ein Jahr später | |
Weltmeister werde ... Ich hab den Titel und kann mich dran freuen. Und das | |
hab ich erst mal alleine gemacht. Zwei, drei Tage hat es gar keiner | |
erfahren. Hab ich mich still gefreut und dann erst bekanntgegeben. | |
Großartig: Beim Fernschach kann man sich langsam an etwas gewöhnen! Hat das | |
nicht etwas Beruhigendes? Daß man langsam in eine Situation gerät und Zeit | |
hat, sich mit ihr auseinanderzusetzen? | |
Jaja. Das ist schon, wenn Sie so wollen, beruhigend. Allerdings kommen auch | |
Karten ins Haus, die alles andere als beruhigend sind. So daß man einen | |
ganz erheblichen Schreck bekommt. Da kommen die Karten, und manchmal sind | |
es Gegenzüge, die einen ganz verzweifeln lassen. Das ist aber eben nun mal | |
so. Das kann man nicht ausschließen. Daß man etwas übersieht. Wer ist schon | |
perfekt? | |
Da grübelt man dann bestimmt auch tagsüber? | |
Natürlich. Die Schachpartien sind immer präsent. Hat mir mal einer gesagt: | |
Für einen Fernschachspieler ist das ganze Leben eine ununterbrochene Partie | |
Schach. | |
Das stimmt? | |
Ja, das stimmt. Man schaltet kaum mal ab. Natürlich denkt man nicht immer | |
dran. Aber man denkt immer zwischendurch dran. Man macht auch mal den einen | |
oder anderen Zug im Kopf. Bei Arbeitsbesprechungen, im Theater, in der | |
S-Bahn sowieso. Irgendwo fällt einem irgendeine Partie ein. Da passiert es | |
auch, daß man, wenn eine Karte kommt, einen Schreck bekommt. Und denkt: | |
Oooh, gleich mal ansehen! | |
Dreißig Partien spielt er im Moment. Gleichzeitig. Dreißig Partien spielen | |
sich in seinem Kopf ab. Dreißig Stellungen! Beruhigende, befriedigende, | |
immerwährende geistige Bewegung? | |
Es ist ein Zustand der Unruhe. Es ist schon eine Anstrengung, und man muß | |
sich schon mal selber ans Brett prügeln, sage ich dazu. Wenn man keine Lust | |
hat, weil die Stellung gar nicht so schön ist. Und dann muß man da ran. Das | |
ist manchmal wie Sklavenarbeit, da noch was zu finden, daß man die Partie | |
nicht verliert. | |
Im Moment? | |
Ich hab gerade eine gegen einen Schweden, der eigentlich kein guter Spieler | |
ist. Der hat schon einige Partien verloren, und gegen mich steht er so gut | |
und preßt und preßt. Jetzt muß ich mich ungeheuer anstrengen, um sie noch | |
auf Remis zu bringen. Ich hab die Karte jetzt ungefähr zehn Tage da, gucke | |
jeden Tag drauf, irgendwann muß ich sie abschicken. | |
Baumbach ist inzwischen auch in der bundesdeutschen Auswahl, längst spielt | |
jene die nächste Olympiade: drei aus dem Westen, drei aus dem Osten, | |
Zufall, sagt er. | |
Der Schwede hatte fünf schon verloren, und der hat auch so scheinheilig ... | |
also (lacht), das ist der erste, der mich so richtig reingelegt hat. Mit | |
hübschen Bemerkungen. | |
Was für Bemerkungen? | |
Er fragte mich, so ungefähr beim achten Zug: Sind sie deeer Baumbach? Ich | |
bin am vierten Brett, das hat ihn wahrscheinlich gewundert. Dachte, daß sei | |
gar nicht der Ex- Weltmeister, sondern irgend so ein anderer. Ich habe | |
gesagt: Ja, ich bin's. Das hat aber nichts zu sagen. Der hat sich ... | |
irgendwie ... verstellt. Und ich bin auf ihn reingefallen. Wahrscheinlich | |
will er gegen mich unbedingt gewinnen. Nachdem er vorher nur verloren hat. | |
Und ich muß mich hinsetzen, um ein Remis zu retten. Andere gehen ins Kino – | |
und ich sitze am Brett. | |
Warum nur, warum? | |
Das ist eine Dauerbeschäftigung. | |
Warum macht man das? | |
Die Frage kann man stellen. Das ist aber eigentlich bei jedem Hobby so, daß | |
man einen Großteil seiner Freizeit reinsteckt. In der DDR wurde Sport ja | |
ziemlich gefördert. Fernschach hat man, sagen wir, geduldet. Aber es war | |
gar nicht so sehr gerne gesehen. 1983 war ich Vizeweltmeister: Da hat sich | |
niemand im Sportverband überhaupt gerührt. Als ich dann Weltmeister wurde, | |
da hat man gratuliert, ich habe einen Brief gekriegt. Und dann wurde ich | |
auch noch als verdienter Meister des Sports ausgezeichnet. Bin dann auch | |
mal eingeladen worden, habe den Titel bekommen, 'ne Medaille dazu und 1.500 | |
Mark, was für DDR-Verhältnisse sehr viel war. Weit über meinem Gehalt von | |
damals. Ich habe bei dieser Veranstaltung Spitzenkräfte des DDR-Sports | |
getroffen. Da war jemand vom ZK, für Sportfragen zuständig. Dem hatte ich | |
vorgetragen, daß mich der DDR- Sportverband nicht nach Dänemark fahren | |
lassen will, um meine Weltmeisterschaftsmedaille in Empfang nehmen zu | |
können. Dann hat er gesagt: Wieso sollen sie da nicht hinfahren? Ich sagte, | |
naja, das weiß ich auch nicht. Sagte er: Dann fahren sie auch hin. Ein | |
Glücksfall war das, ein Glücksfall, daß ich den da getroffen habe. Naja, | |
ich war in der Scheidung, hatte Schwierigkeiten und war insofern keine | |
sichere Person. | |
Die Scheidung war aktenkundig? | |
Nee, nee, die war nicht aktenkundig. Aber es hatte sich eben doch | |
herumgesprochen. Jemand vom Sportverband war auf einer Veranstaltung, auf | |
der ich nicht mit meiner Frau war, sondern mit meiner Freundin. Ich hatte | |
Westverwandtschaft, das konnte genügen. Aber ich habe auch nicht dran | |
gedacht, das zu machen. Man hat ja Familie, hat seine Kinder, hat seine | |
Arbeit, Arbeitskollegen, man hat seinen Schachclub, den man auch schon | |
dreißig Jahre kennt. Warum sollte man sich da woanders hinbegeben? Ich hab | |
mich ganz normal eingepaßt, eine mittlere Stellung gehabt und auch nicht | |
unbedingt den Ehrgeiz, hohe Stellen zu erklimmen. Dann wäre ja Partei | |
Pflicht gewesen. | |
Aber ich hatte immer mein Schach. Und Möglichkeiten, Schach zu spielen, | |
hatte man ja sehr gute. Eben auch durch die Freistellungen. Heute müßte ich | |
dafür Urlaub nehmen. Andererseits hat man jetzt auch mehr Urlaub, wiederum. | |
Ich wollte Sie nicht unterbrechen. | |
Ja,ja, das war eigentlich das, was ich hier zu diesem Punkt sagen wollte. | |
Man soll sich nicht zu sehr aufregen, über manche Sachen, wenn man | |
Schachspieler ist. Weil eigentlich: Schach ist stabil. Ich habe in drei | |
Staatsformen Schach gespielt und – vielleicht kommt noch eine vierte. | |
Was sollte das für eine sein? | |
Keine Ahnung. Wer hätte vor sechs Jahren gedacht, was passiert? | |
Das hat auf ihr Spiel keinen Einfluß? | |
Natürlich nicht. Das will ich damit auch zum Ausdruck bringen. | |
30 Dec 1994 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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