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# taz.de -- Die Sandinisten spalten sich
> Der nicaraguanische Schriftsteller und Politiker Sergio Ramirez kehrt der
> ehemaligen Befreiungsfront den Rücken / Streit zwischen den „Reformern“
> und der Ortega-Fraktion  ■ Aus Managua Ralf Leonhard
Mit dem Parteiaustritt von Sergio Ramirez ist der schon lange anstehende
Bruch in der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) endgültig vollzogen.
Der Schriftsteller und ehemalige Vizepräsident Nicaraguas gab am Dienstag
in Managua seinen Rücktritt offiziell bekannt. Ramirez, der den sogenannten
Reformerflügel innerhalb der einstigen Revolutionsfront anführte, erklärte,
seine Entscheidung hätte rein private Gründe. Seine Tochter, die
Parlamentsabgeordnete Maria Ramirez, war schon am Montag ausgetreten, und
die Fraktionschefin Dora Maria Tellez hatte gleichzeitig ihren Sitz im
fünfzehnköpfigen Nationaldirektorium der FSLN niedergelegt. Für die
nächsten Tage wird mit weiteren Austritten von Mitgliedern der
Reformerfraktion gerechnet. Die Gründung einer zweiten sandinistischen
Partei wird schon seit Monaten vorbereitet.
Unmittelbarer Anlaß für die Serie von Austritten aus der Partei, die im
Jahr 1979 einen Volksaufstand gegen den damaligen Diktator Anastasio Somoza
angeführt und dann zehn Jahre lang ein sozialrevolutionäres Experiment im
Hinterhof der USA versucht hatte, waren persönliche Anwürfe seitens der
gegnerischen Fraktion. Carlos Guadamuz, der Direktor des Senders „Radio YA“
und damit offiziöser Sprecher der von Expräsident Daniel Ortega angeführten
Demokratischen Linken, hatte in einer Sendung der Ramirez- Tochter und der
Fraktionschefin Tellez ein lesbisches Verhältnis nachgesagt.
Zwar distanzierte sich Tomas Borge, der den wegen eines Herzleidens in
Havanna weilenden Daniel Ortega als Parteichef vertritt, von den Anwürfen,
doch legt der Verbleib von Guadamuz auf seinem Posten die stillschweigende
Billigung der Sudelkampagne durch die Parteioberen nahe, zumal der
Rundfunkdirektor nicht zum ersten Mal infame Beleidigungen durch den Äther
geschleudert hat. „Sie dulden und akzeptieren dieses infame Vorgehen nicht
nur, sondern diktieren ihm, was er sagen soll“, erklärte Sergio Ramirez bei
seinem Auftritt in Managua, „ich kann nicht länger in einer Partei bleiben,
wo Delinquenten mit Parteibuch ungestraft bleiben.“
Daß Ramirez schon lange einen Anlaß suchte, mit den ehemaligen Weggefährten
zu brechen, ist in Nicaragua kein Geheimnis. Seit er vor mehr als einem
Jahr Ambitionen auf die Präsidentschaftskandidatur der Partei angemeldet
hat, ist er einer Rufmordkampagne seitens der Ortega-Fraktion ausgesetzt.
Der innerparteiliche Konflikt zwischen der Demoratischen Linken Ortegas und
den Reformisten um Ramirez wird aber von beiden Seiten wenig zimperlich
ausgetragen. Erstere brachten im Oktober die ehemalige Parteizeitung
Barricada durch eine große Säuberung unter ihre Kontrolle und verhinderten
durch Manipulationen die Wahl der Gegenfraktion in die regionalen
Parteigremien. Für die Reformisten schlug die Stunde der Rache am letzten
Montag, als sie durch einen Pakt mit den Christdemokraten und einer
Fraktion der ehemaligen UNO-Allianz das neue Präsidium des Parlaments
wählen konnten. Die Kandidaten der anderen Seite wurden durch einfache
Mehrheit konsequent niedergestimmt.
Die wenigen auf Ortega hörenden sandinistischen Abgeordneten, die sich in
einer seltsamen Allianz mit den Konservativen und den ultrarechten
Liberalen verbündet haben, wollen die Wahl anfechten. Das neue Präsidium
unter dem wiedergewählten Christdemokraten Luis Humberto Guzman garantiert
die Absegnung eines Pakets von Verfassungsreformen, das die Legislative
gegenüber der Exekutive stärkt, die Wiederwahl des Staatspräsidenten
verbietet und dessen nächste Angehörige von einer Kandidatur ausschließt.
Die Strategie Daniel Ortegas für eine Rückkehr an die Macht basiert aber
auf einer Allianz mit dem Präsidialminister Antonio Lacayo, der als
Schwiegersohn von Präsidentin Violeta Chamorro zu den Wahlen 1996 nicht
antreten dürfte, wenn die Reformvorhaben Gesetz werden.
Um politische Differenzen geht es bei dem Konflikt in den Reihen der
Sandinisten nur vordergründig. Die Demokratische Linke setzt auf
Mobilisierung der Gewerkschaften und der anderen noch verbliebenen
Massenorganisationen gegen die brutale wirtschaftliche Öffnung, während die
Reformisten durch Kompromisse im Parlament zumindest die Kernelemente der
sozialen Errungenschaften der Revolution retten wollen. Außerdem fordern
sie eine Demokratisierung der Parteistrukturen, während die Ortega-Fraktion
an einem autoritären Modell festhält. Letztere zielt mit ihrem Diskurs auf
die verarmten Massen, die Reformisten überzeugen eher die kleine
Mittelschicht, die Intellektuellen und linke Sozialdemokraten. Aber die
Anführer beider Fraktionen sind sich darüber im Klaren, daß sie als
Sandinisten aus eigener Kraft bei den nächstes Jahr anstehenden Wahlen
nicht mehrheitsfähig sind.
12 Jan 1995
## AUTOREN
Ralf Leonhard
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