# taz.de -- Unter der Grasnarbe endet das Eigentum | |
> Gegen den Abbau von Mineralien auf ihren Feldern können Ost-Landbesitzer | |
> sich nicht wehren ■ Von Annette Jensen | |
Die Straße endet in Neu- Käterhagen. Nur in vier Häusern wohnen noch | |
Menschen, der Rest verfällt. Viele Felder liegen auch im Sommer brach. Nur | |
hier und da wird in ein paar Monaten wieder Raps blühen und junger Mais | |
sprießen. An den in Jahrhunderten aufgeschichteten Steinwällen krallen sich | |
Sanddorn und Hagebutten fest. Kraniche, Kamm-Molche und verschiedene | |
Froscharten sind dem einzigen Kind im Dorf vertrauter als Automarken. | |
„Wenn erst die Bagger kommen, haben wir hier bald eine Mondlanschaft“, sagt | |
Ernst Lau. Hunderte Laster werden Tag für Tag vorbeidonnern, die Luft wird | |
staubig sein. In wenigen Jahrzehnten erstreckt sich dann ein steriles, 40 | |
Hektar großes Wasserloch, wo jetzt sanfte Hügel die Landschaft bestimmen. | |
Hinter Neu-Käterhagen im Kreis Güstrow liegt ein mächtiges Kiesfeld – wie | |
vielerorts in Mecklenburg-Vorpommern, wo die letzte Eiszeit Endmoränen | |
zurückgelassen hat. | |
„Die Kapitalisten hier haben sich so aufgeführt, wie man es sich vorstellt. | |
Die Schuld aber trifft die Politiker“, urteilt Ernst Lau, der die | |
Bürgerinitiative gegen die Vernichtung von Natur und Kulturlandschaft durch | |
Kiesabbau mitgegründet hat. Kurz nach der Einheitsfeier seien Vertreter von | |
Baufirmen mit ihren Anwälten angereist und hätten erzählt, daß das | |
Bergrecht den Äckern keine Zukunftschance lasse. „Für 30 bis 50 Pfennig pro | |
Quadratmeter haben die Leute verkauft“, berichtet der Betreiber einer | |
Radierwerkstatt. Die Treuhand verlangte zwar etwas mehr. Aber selbst eine | |
Mark ist ein lächerlicher Preis für ein bis zu 19 Meter mächtiges Kiesfeld | |
– für 40 Mark wird heute ein Kubikmeter Gestein verkauft. | |
Tatsächlich verhöhnt das Bergrecht in den neuen Bundesländern jede | |
bürgerliche Eigentumsvorstellung. Während in Westdeutschland der Besitzer | |
eines Grundstücks das Verfügungsrecht über darunterliegende Mineralien hat, | |
gelten diese Stoffe in Ostdeutschland nicht als „grundeigen“, sondern sind | |
– so wie Kohle und Kali in der alten Bundesrepublik – „bergfrei“. Diese | |
Bodenschätze gehören dem Staat, der die Abbaurechte weiterverkaufen kann. | |
Der Landbesitzer behält zwar weiter den Grund und Boden. Er darf aber nicht | |
bestimmen, was darauf geschieht, und bekommt lediglich eine Entschädigung. | |
Von den Verkaufserlösen für die Rohstoffe sieht er nicht eine Mark – im | |
Gegensatz zu den Brüdern und Schwestern im Westen. | |
Die Bergämter müssen die betroffenen Kommunen und Bürger bei einer | |
Genehmigung nicht fragen. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung ist nur | |
vorgeschrieben, wenn mehr als zehn Hektar aufgerissen werden sollen. | |
Deshalb stapeln sich in den Amtsstuben die Abbauanträge für Gebiete, die | |
einige Quadratmeter kleiner sind. „Später kommt dann das nächste Teilstück | |
dran“, prognostiziert Manfred Dietel von der Schutzgemeinschaft „Rettet den | |
Südharz“. | |
Allein in Thüringen sind schon 213 Abbaustätten für Kies, Grauwacke, Sand, | |
Ton, Dolomit und Gips in Betrieb. Für 1.800 weitere Gewinnungsflächen | |
liegen Anträge vor. Wenn hier tatsächlich überall gegraben würde, wären | |
fast drei Prozent der Landesfläche aufgerissen. Und das, obwohl die | |
Produktion schon heute bei weitem den Landesbedarf übersteigt: 50 Millionen | |
Tonnen Baustoffe wurden 1994 in Thüringen gefördert, jedoch nur 39 | |
Millionen Tonnen verbraucht. | |
Dabei hatten die Autoren des deutschen Einheitsvertrags die Übernahme der | |
in den 80er Jahren von der DDR-Regierung ausgewiesenen überdimensionierten | |
Bergbauschutzgebiete damit begründet, der Bauboom Ost sei anders nicht zu | |
bewerkstelligen. Umweltschützer in Nordhausen beobachten jedoch seit | |
längerem, daß die Rohstoffe massenweise Richtung Westen transportiert | |
werden – im nahen Hessen und Niedersachsen ist es nämlich für die Industrie | |
schwierig, neue Tagebaufelder aufzumachen. Inzwischen werden in Thüringen | |
etwa 19 Tonnen natürlicher Baustoffe pro Kopf und Jahr gefördert – im | |
Bundesdurchschnitt nur 10 Tonnen. | |
Vor allem mittelständische Bauunternehmen sind im ostdeutschen Kies- und | |
Gipsabbau aktiv. Von den 751 Bergwerkseigentümern im Stein- und Erden- | |
Bereich hat die Treuhand 72 Prozent an Mittelständler verpachtet oder | |
verkauft. Die Heidelberger Zement buddelt ebenso im Osten wie Knauf aus dem | |
bayrischen Iphofen. | |
Auch ihre Lobbyisten haben in letzter Zeit eifrig gegraben – in Bonn. Sie | |
versuchten, Abgeordnete und Ministeriale davon zu überzeugen, das | |
westdeutsche Bergrecht an die ostdeutschen Zustände anzupassen. Doch so | |
weit mag keine Fraktion gehen. Denn schließlich hat das | |
Bundesverwaltungsgericht schon im Sommer 1993 angemahnt, daß das | |
Wirtschaftsministerium mineralische Rohstoffe nicht unbegrenzt zu | |
bergfreien Bodenschätzen erklären darf. Doch die Vorschläge der Parteien | |
zur Umsetzung des Urteils gehen weit auseinander. | |
Die Bündnisgrünen fordern eine Änderung des Einigungsvertrages. Der Abbau | |
von Kies, Sand und Gips soll künftig nicht mehr vom Bergrecht geregelt | |
werden. Zusätzlich will die Fraktion aber auch das ganze verstaubte Gesetz | |
novellieren. Denn bei der Kohleförderung beispielsweise gibt es auch in | |
Westdeutschland keine Umweltverträglichkeitsprüfung, wenn der Betreiber | |
weniger als zehn Hektar Abbaufläche auf einmal beantragt. Auch Gefahren | |
fürs Grundwasser spielen keine Rolle. | |
Die Regierungsparteien wollen die mineralischen Bodenschätze | |
Ostdeutschlands hingegen weiter im Bergrecht halten und sie lediglich für | |
„grundeigen“ erklären, so daß sie künftig den Landbesitzern gehören. Das | |
alles aber soll sowieso nur für Abbaupläne gelten, die seit März 1995 | |
angemeldet worden sind. Die 1.800 Anträge, die in Thüringen gestellt und | |
noch nicht genehmigt sind, würden davon unberührt bleiben. „Planwirtschaft�… | |
wirft der Geschäftsführer des Gemeinde- und Städtebundes Thüringen, Jürgen | |
Gnauck, der CDU/CSU und FDP vor. | |
„Was auch immer in Bonn rauskommt – es kommt zu spät“, meint Ernst Lau a… | |
Neu-Käterhagen resigniert. „Der Kuchen ist verteilt, die Abbauunternehmer | |
besitzen das Land.“ Vielleicht ziehen bald noch ein paar Menschen fort aus | |
dem Neun-Seelen-Dorf. | |
20 Dec 1995 | |
## AUTOREN | |
Annette Jensen | |
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