# taz.de -- Über Kleiderberge, über Leichen | |
> Vom österreichischen Rechtspopulismus ins Exil getrieben: Elfriede | |
> Jelineks szenischer Wutausbruch „Stecken, Stab und Stangl“ wurde in Wien | |
> abgesetzt und jetzt am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg uraufgeführt | |
> ■ Von Kai Voigtländer | |
Österreich und seine Dichterinnen und Dichter – eine beneidenswert klare | |
Beziehung. Reiner Haß schärft die Blicke, die man wechselseitig aufeinander | |
wirft. Thomas Bernhard ließ verbittert alle Aufführungen seiner Stücke in | |
Österreich verbieten. Jörg Haider, der alerte Rechtspopulist, macht | |
Stimmung mit einer Plakatkampagne gegen die, wie er sie nennt, | |
„sozialistischen Staatskünstler“ Peymann, Turrini, Jelinek. | |
Und besagte Elfriede Jelinek will nun auch nicht mehr in Österreich | |
aufgeführt werden. Sie könne das Gegeifere der österreichischen Presse | |
nicht mehr ertragen, und die Öffentlichkeit sei aufgrund der Verkommenheit | |
der heimischen Medien so demoralisiert und verwahrlost, daß sie keine Lust | |
mehr habe, sich mit ihr auseinanderzusetzen, hat sie in einem Interview | |
erklärt. | |
Vom Beziehungsaspekt her ist es darum verlorene Liebesmüh', Elfriede | |
Jelineks neues Stück „Stecken, Stab und Stangl“ in Hamburg uraufzuführen. | |
Denn die Adressaten dieses mühsam in Buchstaben gebändigten Wutanfalls | |
sitzen rund tausend Kilometer südöstlich, und nur ein fernes Echo von der | |
Elbe wird die Schar der piefigen Burgtheaterabonnenten, der | |
Kronen-Zeitungs-Kolumnisten und ihrer Leserschar erreichen, für die das | |
Stück eigentlich geschrieben wurde. | |
Vor gut einem Jahr starben im Burgenland vier Roma: Karl Horvath (22), | |
Erwin Horvath (18), Peter Sarkozi (27) und Josef Simon (40). Sie hatten den | |
Fehler begangen, ein Schild abbauen zu wollen, das rechte Österreicher vor | |
ihrer Siedlung aufgestellt hatten. Die Inschrift auf dem Schild lautete: | |
„Roma zurück nach Indien“. Beim Abbau detonierte eine am Schild angebrachte | |
Bombe. Die Reaktionen der österreichischen Öffentlichkeit auf dieses | |
Attentat – und ihre eigene Wut, ihr hilfloser Zorn noch im Staatsakt zur | |
Beerdigung – bilden den Faden, aus dem Elfriede Jelinek „Stecken, Stab und | |
Stangl“ gestrickt hat. | |
Nicht von ungefähr drängt sich die textile Metapher auf, den die zentrale | |
Regieanweisung im Text verpflichtet, die sieben Schauspielerinnen und | |
Schauspieler während der ganzen Aufführung zu häkeln. Daran hat sich Thirza | |
Bruncken, die Regisseurin der Hamburger Uraufführung, auch gehalten: | |
Angestrengt häkelt und strickt das Ensemble, vier Frauen und drei Männer, | |
an bunten Deckchen, rosa Mützchen, Schals und anderen Insignien | |
kleinbürgerlicher Gemütlickeit. Eine Handarbeit – wie die sorgsam | |
gebastelten Briefbomben. Vom Rest der Jelinekschen Regieanweisungen ist | |
nicht viel übriggeblieben, und das ist gut so. Im weisen Verzicht auf | |
allerlei vorgeschlagene Häkelmätzchen inszeniert Thirza Bruncken den Text | |
als Requiem für vier Roma – und erweist so die Spielbarkeit der Vorlage. | |
Unter der Intendanz von Frank Baumbauer und seiner Ausstattungsleiterin | |
Anna Viebrock hat sich am Schauspielhaus ein Stil herausgebildet, der der | |
Musikalität von Texten den gleichen Stellenwert einräumt wie ihrem | |
Wortsinn. Und ein Inszenierungsstil, der einen Zugang zum Stück eröffnet | |
über den Raum, in dem es spielt. Beides ist auch in „Stecken, Stab und | |
Stangl“ zu sehen und zu hören. | |
Unaufhörlich quillt der Strom der Worte aus den ganz in Schwarz gekleideten | |
Figuren: „Werte Tote, ja, reden wir heute einmal vom Tod, das ist heute | |
unser Thema. Ab sofort können Sie wieder bei uns im Studio anrufen ... | |
Knochen gehören nicht in die Biotonne!“ Betroffenheitsgefasel, Gebrabbel | |
aus einer Gameshow, routinierte Trauerreden, Heidegger-Sentenzen, | |
Reportagen vom alpinen Skilauf, Fragmente aus Célan-Gedichten, die Frage | |
nach dem Sinn des Daseins – und Satzfetzen, die das ewige | |
Glaubensbekenntnis alter und neuer Nazis wiederkäuen, es könnten gar nicht, | |
rein technisch, so viele Juden vergast worden sein. Dazu Zigeunerkitsch im | |
Stil von „Sehnsucht heißt ein altes Lied der Taiga“ – die geschichteten … | |
verwobenen Stimmen der Jelinekschen Sprachmontage erklingen als polyphon | |
geführte Fuge. Das Bühnenbild, das Jens Kilian für diesen Alptraum | |
austrofaschistischer Gemütlichkeit gebaut hat, besticht durch einen | |
wunderbaren Grundeinfall: Die Spielfläche, wie die Wände mit senfbraunem | |
Stoff überzogen, bietet den Figuren nur am Rand Halt. In der Mitte ist sie | |
weich und nachgiebig, die Spieler sinken ein, federn, bekommen einen | |
unsicheren Gang, als liefen sie über sumpfiges Gelände, über Kleiderberge, | |
über Leichen ... | |
Mit allen Mitteln ihrer hochartifiziellen Schreibtechnik watscht Elfriede | |
Jelinek die lieben Landsleute ab. Die Inszenierung macht das sichtbar, ohne | |
die Todessehnsucht des Stücks an flaches Gutmenschentum zu verraten. Haß | |
auf die Herrschaft des „ländlichen Pöbels“ sei ihre Triebfeder gewesen, h… | |
die Jelinik bekannt. Das ist zwar weder vornehm noch ausgewogen, aber dafür | |
ist sie eben Schriftstellerin. Wäre sie Sozialarbeiterin geworden, müßten | |
die armen Österreicher auf einen schreibenden Racheengel verzichten. | |
„Stecken, Stab und Stangl“. Regie: Thirza Bruncken. Mit Monica Bleibtreu, | |
Peter Brombacher, Marlen Diekhoff, Barbara Nüsse, Anne Weber, Michael | |
Wittenborn. Deutsches Schauspielhaus, Hamburg. Nächste Aufführungen am 17. | |
und 29. April | |
16 Apr 1996 | |
## AUTOREN | |
Kai Voigtländer | |
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