# taz.de -- Ein Leben im Alptraum | |
> Ken Saro-Wiwa war nicht nur ein Vorkämpfer des Ogoni-Volkes. Er stritt | |
> für ein Nigeria, das seine Kulturvielfalt anerkennt und Diktatoren nicht | |
> toleriert ■ Von Frank Hayder | |
Wenn wir die Lebensschicksale zweier weltbekannter Vertreter nigerianischer | |
Minderheiten vergleichen, erkennen wir, wie sich ihre Geister zwischen | |
Anpassung und Beharrung scheiden. Oberstleutnant – später General – Yakubu | |
Gowon, ein „officer and gentleman“ bis in die Fingerspitzen, kommt vom | |
kleinen nordnigerianischen Bergstamm der Angas, spricht aber seine | |
Muttersprache nicht mehr. Gowon nahm Kultur und Sprache des großen | |
nordnigerianischen Haussa-Volkes an und stieg 1966 zum Staatsoberhaupt auf, | |
das er neun Jahre blieb. | |
Dagegen kämpfte Ken Saro- Wiwa, der Unangepaßte, ein Leben lang um die | |
Erhaltung seiner Muttersprache, seiner Identität und seines Stammes. Er sei | |
Khana, bekannte er schon in seinem ersten Semester an der Universität | |
Ibadan als einziger unter nahezu 2.000 Studenten – er gehörte einem | |
Unterstamm der Ogoni im Nigerdelta an, zu denen man außerdem noch die | |
Gokona, Tai und Eleme zählt. Statt „Stamm“ pflegte er allerdings „ethnis… | |
Nationalität“ zu sagen. | |
## Nicht Ogoni, sondern „einer vom Wasservolk“ | |
Bei seinem Studium, das er 1962 begann, wurde ihm bewußt, daß auch die | |
besten Freunde, die er dort gewann, aus welchem Landesteil auch immer, ihn | |
niemals als Ogoni, geschweige denn als Khana akzeptierten. Sie ordneten ihn | |
aus ihrer jeweiligen Sicht heraus ein, wogegen er die Wesensart einer jeden | |
Volksgruppe gewahrt wissen wollte. „Für meinen Frund Mamman Makele war ich | |
ein ,Südstaatler‘“, sagte er, „für Goke Adenaji, einen anderen Freund, … | |
ich ein ,Ibo‘; für meinen später im Sezessionskrieg gefallenen Freund | |
Emenjo Okwuosah war ich ein ,Mbammiri‘ [einer vom Wasservolk]. Mein | |
Alptraum wollte kein Ende nehmen.“ | |
Sein Alptraum ging erst zu Ende, als man ihn hängte. Natürlich wäre Ken | |
Saro-Wiwas „Ich bin ein Khana“ ohne ernsthafte Folgen für ihn selbst und | |
andere geblieben, wäre er nicht ein großer Meister des Wortes gewesen. | |
Hätte er sich wie General Gowon angepaßt, wäre er nicht mit seinen | |
nigerianischen Landsleuten, denen er vorwarf, das Fremde über das Eigene | |
gestellt zu haben, scharf ins Gericht gegangen: | |
„In anderen Ländern schießt man äußre Feinde tot, | |
bei uns schafft es die Army grad, | |
die eignen Brüder abzuknallen... | |
Bei euch piept's wohl? | |
Nicht einmal eig'ne Namen habt ihr! | |
Ihr nennt euch Peter, Paul | |
Nicodemus Isaac John Joshua Saul | |
Nincompoop Appolos Fred George Victoria | |
Sabina Pepper Excreta Letitia | |
Maria | |
Abdullahi Hussein Muhamadu. | |
Verdammt noch mal! Müßt ihr denn alles borgen? | |
Was ist bloß mit dir los, Nigeria? | |
Stell dich gefälligst auf die eig'nen Beine!“ | |
„Dis Nigeria Sef“, | |
in Pidgin-Englisch, 1985 | |
Dieses Gedicht ist im Grunde eine robuste, ruppige Liebeserklärung an | |
Nigeria, das er zur Selbstbestimmung und Läuterung aufrief. Völlig | |
unkompliziert war allerdings nur seine Liebe zum kleinen Ogoni-Land, für | |
dessen Autonomiestatus innerhalb der nigerianischen Föderation er in Wort | |
und Schrift kämpfte, besonders nachdem er die Agitation zur Schaffung eines | |
Bundesstaates „Port Harcourt State“, einer interethnischen Allianz zwischen | |
Ogoni und Ikwerre unter Führung seines Freundes und einstigen | |
Kabinettskollegen in der Provinzregierung von Rivers State, Nwanodike | |
Nwandi, hatte aufgeben müssen. Das Ogoni-Land hat er geliebt, wie er seine | |
alte Mutter liebte, die bei seiner Hinrichtung vor dem Gefängnistor | |
mißhandelt wurde, wie er seinen Vater liebte, einen ehemaligen | |
Forstaufseher, der den kleinen Ken in die Geheimnisse der Natur einweihte | |
und der jetzt, im Alter von 91 Jahren, den Toten beweinen muß. | |
„Für die Ogoni sind Flüsse und Bäche heilig“, schrieb Ken Saro- Wiwa 1992 | |
in seinem Buch „Genocide in Nigeria: The Ogoni tragedy“. In seinem ersten | |
Buch, das in Ogoni-Land handelt, „Tambari in Dukana“ (1973), sind selbst | |
die Namen verzaubert. Tambari heißt „Gottes Werk“, und wir lauschen mit dem | |
Knaben Tambari der Geschichte von der Meernixe, die den Fischern und Bauern | |
der Ogoni Liebeslust und -leid bringt – der geheimnisvollen, in ganz | |
Westafrika verehrten „mami-water“. | |
Heute ist die „mami-water“ in Ogoni-Land vor dem von Westen eingefallenen | |
Moloch Shell ins offene Meer entfleucht oder im Ölschlick elendig verreckt. | |
Aber draußen im Meer schießen neue Fördertürme wie giftige Pilze aus dem | |
Wasser, es werden fieberhaft neue Konzessionen erteilt, und vor allem die | |
wahnwitzige Gasabfackelei kann weitergehen, ein gigantisches Umwelt- und | |
Wirtschaftsverbrechen, durch das seit über 25 Jahren jährlich | |
Milliardenwerte vernichtet werden. | |
Nun, da der Störenfried, der sich für so chimärische Ziele wie Umwelt- und | |
Minderheitenschutz einsetzte, aus dem Wege geräumt und damit auch die | |
potentiell gefährliche Sensationslust der Medien befriedigt ist, können die | |
Aktien wieder steigen. Steigen werden auch die Auslandskonten der | |
Diktatoren in der Schweiz und auf den Bahamas. Angesichts dieser | |
Milliardenrücklagen muß man die Bemühungen der Weltbank und des | |
Internationalen Währungsfonds um Strukturprogramme, die in Wirklichkeit zur | |
restlosen Verelendung der Massen führen, als das sehen, was sie aus der | |
Nähe betrachtet sind: eine Mischung von Kasperletheater und Totentanz. So | |
hatte es Ken Saro-Wiwa schon in seinem satirisch-allegorischen Zeitroman | |
„Pita Dumbrok's Prison“ (1991) apokalyptisch geschildert. | |
In diesem Roman fällt die fremde Göttin Imf (International Monetary Fund) | |
wie eine Riesenheuschrecke über Nigeria her und läßt Horden höllischer | |
Kobolde auf das Land los. Sie heißen „saps“ – die Abkürzung für | |
Strukturanpassungsprogramme. Die Sap-Kobolde sind in Kampfeinheiten | |
eingeteilt, die strategisch in den einzelnen Landesteilen staioniert werden | |
und je einen Sonderauftrag durchführen müssen. Ihre einzelnen Spezialitäten | |
sind Hunger, Krankheit, Intelligenzabwerbung, Raubüberfall, Aufruhr und | |
Chaos. | |
Der Journalist Pita Dumbrok, der dies aufdeckt, fällt am Ende einer | |
Paketbombe zum Opfer, die ihm der nigerianische Geheimdienst zustellt. In | |
Pitas Gestalt erkennt man unschwer die des nigerianischen Starjournalisten | |
Dele Giwa, der 1986 untersucht hatte, wie Nigeria zur Drehscheibe des | |
internationalen Rauschgifthandels zwischen Europa, den USA, dem Goldenen | |
Dreieck in Asien und Südamerika hatte werden können. Dabei war Giwa auf die | |
zwielichtige Rolle der damaligen Präsidentengattin Miriam Babangida | |
gestoßen, deren Mann sich 1984 an die Macht geputscht hatte, um der | |
Verhaftung wegen Korruption zuvorzukommen. Miriams moralisches Ansehen war | |
nicht gerade überdurchschnittlich. Vom Volk erhielt sie den Beinamen „the | |
smuggler“, und als sie ein Kind gebar, stieß man in Klubs und | |
Vorstadtkneipen augenzwinkernd auf „the little smuggler“ an. | |
Die Bestrafung des vorwitzigen Journalisten folgte auf dem Fuße, und zwar | |
in Form einer Paketbombe, die ein behelmter, vermummter Motorradkurier an | |
Dele Giwas Haustür in Lagos übergab. Giwa wurde in Stücke zerrissen, Frau | |
und Kind kamen wundersamerweise mit dem Leben davon. Der als Auftraggeber | |
des Attentats verdächtigte Leiter des Staatssicherheitsdienstes SSS, Oberst | |
Akilu, der in Ken Saro-Wiwas Roman als Alhaji Biga auftritt, wußte | |
natürlich von nichts. | |
## Für jeden Dissidenten eine andere Hinrichtungsart | |
Diese Paketbombenexplosion, die ganz Nigeria erschütterte, erschien als | |
Titelbild des Künstlers Peregrino Brimah auf dem Einbanddeckel von Ken | |
Saro-Wiwas Roman – eine ungeheure Provokation. | |
Natürlich verbot sich eine plumpe Wiederholung dieser Attentatsvariante an | |
dem Dissidenten, der es wagte, den Herrschenden eine lange Nase zu drehen. | |
Es standen gewiß andere Eliminierungsvarianten zur Verfügung, die sich wie | |
im Falle Giwas in dezenter Anonymität hätten vollziehen können. Aber | |
Saro-Wiwa war nicht Giwa, und so beschloß man, am verhaßten | |
Intellektuellen, den man schon im Mai 1994 in Hand- und Fußketten gelegt | |
hatte und der trotz seiner drei Herzinfarkte nicht aufgab, ein Exempel zu | |
statuieren, zumal der andere ebenso verhaßte und hochqualifizierte Anwärter | |
auf einen Schauprozeß, der Nobelpreisträger Wole Soyinka, sich seiner | |
Verhaftung durch die Flucht ins Ausland entzogen hatte. In der perversen, | |
düsteren Gedankenwelt des Diktators, dem das Wasser bis zum Halse steht, | |
war Ken Saro-Wiwas Hinrichtung ein zwanghafter kategorischer Imperativ. | |
Der Wahrheit zuliebe müssen wir noch eine der anonymen | |
Liquidierungsvarianten ins Bewußtsein rücken, die die Handschrift des | |
nigerianischen Geheimdienstes tragen. Die Zeitschrift Time vom 23. Oktober | |
1995 berichtete darüber – in der Spalte für Todesanzeigen: „Ermordet: | |
Alfred Rewane, 78, nigerianischer Geschäftsmagnat und ausgesprochener | |
Kritiker von Sani Abachas Militärregime, von fünf Bewaffneten, die in sein | |
Haus eindrangen, während er beim Frühstück saß, ihn in ein Laken | |
einwickelten und ihm aus nächster Nähe die Brust durchschossen. Chief | |
Rewane, Besitzer mehrerer Weizengroßbetriebe in Lagos und einer der | |
Hauptgeldgeber der oppositionellen National-Demokratischen Koalition, war | |
vor kurzem dazu übergegangen, in großformatigen Zeitungsanzeigen Abacha, | |
der bekanntgegeben hatte, er werde bis 1998 im Amt bleiben, dringend zur | |
Übergabe der Amtsgeschäfte an eine Zivilregierung aufzufordern. | |
Oppositionelle Gruppen hegen den Verdacht, es handele sich um eine von der | |
Regierung angeordnete Ermordung und bestehen auf einem unabhängigen | |
Untersuchungsausschuß.“ | |
Ken Saro-Wiwa wird in die Geschichte eingehen, und wo immer in der Welt | |
Minderheiten um Freiheit und Menschenwürde und um den Erhalt ihrer Heimat | |
ringen, wird sein Name ein Fanal des Mutes und der Hoffnung sein. Oliver | |
Stone will sein Leben verfilmen, während die Propagandaorgane des | |
diskreditierten Terrorregimes ihn auch nach seinem Tode noch als | |
Terroristen diffamieren und Lady Shell, die Lady Macbeth des zwanzigsten | |
Jahrhunderts, im Rahmen einer weltweiten Schadensbegrenzungskampagne am | |
liebsten noch seinen Namen auslöschen würde. Doch nie wird sich Shell vom | |
Verdacht der Komplizenschaft am Tode Saro-Wiwas und seiner Leidensgenossen | |
reinwaschen können. | |
## Mörderische Schießbudenfiguren | |
Auch den Diktator werden die traurigen Überreste seines Gewissens quälen. | |
Schaudernd wird er an den tollkühnen Putschversuch der christlichen | |
Minderheiten in der Armee aus Nord und Süd unter Major Gideon Orkan vom 22. | |
April 1990 zurückdenken, die das Hauptquartier des damaligen Staatschefs | |
Babangida im Handstreich einnahmen, ohne seiner indes habhaft werden zu | |
können – ein einzigartiger Vorgang in der an Militärputschen so reichen | |
Geschichte Nigerias. | |
Nicht ohne Grund hatte Saro- Wiwa die gesamte Generalität als einen Haufen | |
Schießbudenfiguren verspottet. Aber Morden geht ihnen leicht von der Hand. | |
Die Ermordung Saro-Wiwas und seiner Mitstreiter erinnert fatal an die | |
Erschießung des glücklosen Major Orkar und seiner Mannschaften, die ihren | |
Henkern – ehemaligen Kameraden in gleicher Uniform – trotzig zuriefen: | |
„Wartet nur! Andere von uns werden kommen und euch wegputzen!“ | |
Der Autor ist Journalist und bereist seit Jahrzehnten Nigeria und andere | |
afrikanische Länder. | |
19 Apr 1996 | |
## AUTOREN | |
Frank Hayder | |
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