# taz.de -- Sonnenschein, bunte Fahnen, Riesenpicknick: Volksfest in Bonn. Die … | |
Sonnenschein, bunte Fahnen, Riesenpicknick: Volksfest | |
in Bonn. Die Protestveranstaltung der Gewerkschaften | |
gegen den „Sozialklau“ war ein Erfolg: 350.000 Menschen demonstrierten am | |
Samstag gute Laune, gemischt mit einer gehörigen Portion Wut auf „die da | |
oben“. Meistgehaßt waren neben Kohl, Waigel und Blüm die Industriebosse. | |
## „Die Götter sind auf unserer Seite“ | |
Menschen sind merkwürdige Wesen. Der IC von Bonn nach Frankfurt am Samstag | |
nachmittag hat Verspätung. Der Herr im Nachbarabteil wird seinen Anschluß | |
verpassen. Und drischt deshalb schon seit einer geschlagenen halben Stunde | |
auf den entnervten Schaffner ein: „Alles nehmen sie uns weg, | |
Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Rentenversicherung!“ Und dann hat auch noch | |
der Zug Verspätung. Und das ihm, nach „30 Jahren bei der Post“. Auch dafür | |
kann der Schaffner nichts. Und dann verwandelt sich der schwierige Kunde | |
unversehens in den Demonstranten auf Heimreise und fordert | |
„Generalstreik!“: „Alle Züge müssen stillstehen. Und nicht nur nachts um | |
elf für eine Stunde!“ Ob das hilft gegen Verspätungen? | |
Manche der Heimreisenden, die mit den 5.400 Bussen und 74 Sonderzügen des | |
Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) nach Bonn gefahren waren, haben nur | |
eine Ehrenrunde gedreht: Bahnhof, Hofgarten, eine Stunde Aufenthalt und | |
wieder Bahnhof. Oder wie das Paar aus Lübeck mit den frischen Radieschen | |
und Möhren im Rucksack sechs Stunden auf der Autobahn: „Wir haben von | |
Horizont zu Horizont immer nur Busse gesehen.“ | |
Der Himmel über der Hofgartenwiese macht auch gestandene Gewerkschafter an | |
diesem Morgen ganz fromm. „Die Götter sind schon mal auf unserer Seite“, | |
begeistert sich der Hamburger Moderator Hinrich Feddersen. Ihn trägt es bis | |
zum Mittag immer wieder kämpferisch davon, während er den schier endlosen | |
Menschenstrom der Ankommenden zusammenzählt. „Der Himmel ist mit uns“, | |
hatte Franz-Josef Möllenberg von der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, | |
Gaststätten (NGG) seine Rede auf dem Marktplatz begonnen. Er kündigte | |
Widerstand in den Betrieben an. | |
Die Renner der Demonstration stehen allerbestens gelaunt und ständig | |
umschwärmt am Rande des Hofgartens. Ralf Knospe und Wolfgang Ligotzky sind | |
Stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Knospe | |
strahlt und verteilt unermüdlich Flugblätter gegen das Bonner Sparprogramm. | |
Ein Blick auf die untere Hälfte der Beamten erklärt die Attraktion: haarig | |
stramme Waden über braunen Socken und Schnürschuhen. Die abgeschnittene | |
Uniformhose endet ausgefranst in Bermudalänge knapp über den Knien. | |
Respektspersonen sind sie heute nur für einen kleinen dicken Jungen, der | |
nörgelig am Ärmel des obenrum ganz korrekt gekleideten Knopse zupft: „Ich | |
hab meine Eltern verloren.“ | |
Im Hofgarten spielen inzwischen „Die Prinzen“ auf. Da hält keine Absperrung | |
mehr. Über und durch die Gitter quetschen sich die Fans bis dicht vor die | |
Bühne. In das Gedränge hinein kommt der „Prominentenzug“ nach solidarisch… | |
Fußmarsch: Der Oskar, die Heide, die Heidi, Ingrid, Regine, der Joschka | |
sind auch ganz locker. Sie bleiben direkt vor einer der Riesenboxen stecken | |
und harren aus, in Menge und Politikerschweiß gebadet. Aus dem Lautsprecher | |
tost: „Du mußt ein Schwein sein in dieser Welt, du mußt gemein sein in | |
dieser Welt.“ | |
Joschka Fischer grinst durchaus vergnügt, blickt in den Himmel voller | |
bunter Luftballons und sieht „den Beginn einer großen Mobilisierung“. In | |
seinem Rücken sorgen drei uniformierte Hüterinnen der Ordnung nicht etwa | |
für dieselbe, sondern rocken tüchtig ab. Regine ist auf einen Tisch | |
geklettert, und Ingrid hat die Schuhe ausgezogen, Heidi frischt ihr | |
derangiertes Make-up auf. Oskar schwitzt im dunkelblauen Seidenhemd und | |
lächelt süßsauer. Nein, heute darf er keine Rede halten. | |
Die DemonstrantInnen strömen weiter in die Stadt, vorbei an der Bannmeile | |
des Regierungsviertels. Gegen 13 Uhr hat die Polizei aufgehört, sie zu | |
zählen: „Da kommt man nicht mehr nach“, sagt ein Streifenbeamter. Die | |
Organisation läuft wie am Schnürchen: Videowände, Musik, Reden auf sieben | |
Bühnen im Morgenprogramm, auf vier Plätzen in der Innenstadt, ab zehn Uhr. | |
Das Hauptbekleidungsstück ist die rote Baseballmütze. | |
Fahnen, Transparente, Volksfest, Riesenpicknick – und ein gerüttelt Maß | |
gute Laune, gemischt mit einer ordentlichen Portion Wut auf „die da oben“. | |
Die „politische Klasse“, sagt der versammelte Mittelbau der Gesellschaft | |
unisono vom Bankangestellten bis zum Müllwerker auf Transparenten immer | |
wieder, „muß weg.“ Meistgehaßt sind außer dem Bundeskanzler, Finanz-, | |
Wirtschafts- und Arbeitsminister die Industriebosse. Das vorerst verbale | |
Massencredo: „Generalstreik!“ Die Forderung kommt nicht nur vom linken | |
Flügel der Jungsozialisten, sondern ist tausendfach immer wieder auf den | |
selbstgemalten Schildern zu lesen. | |
„Wir können auch anders!“ droht es von einem Riesentransparent der IG | |
Medien. „Generalstreik!“ verlangen die Metaller der VW-Zulieferbetriebe. | |
„Generalstreik“ fordern Postler auf dem Münsterplatz und kommentieren die | |
Rede ihres Vorsitzenden Kurt van Haaren recht giftig. Der wirft Politiker | |
und Industriellen vor, „in Saus und Braus“ zu leben. „Sie predigen Wasser | |
und trinken selbst den besten Wein.“ „Hört, hört!“ kichert „das Volk�… | |
macht doch selber mit!“ Und kultiviert kämpferische Vorfreude auf „einen | |
heißen Sommer“. | |
Die Basis ist nicht nur sauer auf Politik und Bosse, sondern auch auf ihre | |
eigene Führung. Da mag die noch so kämpferische Töne anschlagen. Das | |
bekommt auch DGB-Chef Dieter Schulte zu spüren. Der Beifall ist verhalten. | |
„Buh“ tönt es gar, als er „den Frieden im Innern“ beschwört. Lauten B… | |
gibt es erst auf Seite 4 seines Redemanuskripts, als es gegen die | |
Unternehmer geht. „Wenn sie ihn wollen, den Konflikt, dann können sie ihn | |
haben. Wenn Vernunft nicht mehr hilft, dann hilft nur noch Kampf!“ | |
Rund um den Münsterplatz haben die kleinen Grüppchen Autonomer | |
Sonderbewachung durch die Polizei. Die sechs bunthaarigen jungen Leute aus | |
dem Sauerland sind mit sich selbst unzufrieden. Sie finden es falsch, daß | |
da ein paar Steine geflogen sind, „und dann auch noch gegen Privatleute“. | |
Nicht mal ein Geschäft sei dabei gewesen, trotz des Aufrufs „Her mit dem | |
besseren Leben“. „Das ist hier“, sagt einer ganz geknickt, „wie auf ein… | |
großen Kindergeburtstag. Wie können die nur so glücklich sein?“ Heide | |
Platen, Bonn | |
17 Jun 1996 | |
## AUTOREN | |
Heide Platen | |
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