Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Tag ohne Menschen
> ■ Trau keinem unter drei Millionen: Computer, Habitrail und
> Schuppenshampoo - Douglas Couplands "Microsklaven"
Daniel ist noch nicht ganz dreißig, arbeitet als Bug- Tester bei Microsoft
und lebt in einer Microsoftler-WG. Daniels Vater, als ehemaliger
IBM-Mitarbeiter ein „Techie“ der ersten Generation, ist seit kurzem
arbeitslos (zu alt) und auf Prozac. Weil es an Geld fehlt, verrottet das
Haus von Daniels Eltern. Klingt nicht so gut.
Um keine falschen Erwartungen zu wecken: „Microsklaven“, das vierte Buch
von Douglas Coupland, ist etwas für Leute, die sich genervt geben und doch
nichts lieber tun, als zu codieren oder decodieren, Speicher-Käferchen
einzubauen oder neue Spiele zu laden – denen der Computer Haustier und
Ehehälfte ersetzt. Mit ihren Microsoft-Aktien und Win-Quotes sind Daniel,
Karla, Bug und Dusty die Angestellten einer einstigen Vision.
„Detailfixiert und ohne Programm für das große Ganze“, haben sie doch
panische Angst vor der Entwicklung, die sie befördern. Doch im Unterschied
zu allen anderen vor und neben ihnen, die am eigenen Überflüssigwerden
arbeiten, proben Daniel, Karla, Bug und Dusty die Identifikation mit dem
Aggressor.
Douglas Couplands Roman liest sich wie eine Variation auf den
„Zauberlehrling“ am Ausgang des zwanzigsten Jahrhunderts. Technik und
Moral, Regeln, Kontrolle, Koordination – irgendwie funktioniert es nie so
recht. So schiebt Coupland seinem Daniel die eigene süß-schaurige Vision
einer Welt ohne Arbeit unter. Diesen Goliath zähmen oder gar besiegen zu
wollen kommt erst gar keinem in den Sinn. Zwischen Tastatur und Cyberspace
bleibt das Leben für Daniel, Bug und Karla banal wie eh und je – ein
tröstlicher Gedanke. Kommt meine Freundin mit meiner Mutter aus? Bekommen
wir genug Vitamine? Wann bin ich ICH? Und da kein Zeitalter ohne Überväter
auskommt, gibt es, wie auf Erden, so auch in dieser Schrift, einen „Bill“
(Gates). Das Kind in Douglas Coupland meint zu sehen, daß der Kaiser keine
Kleider anhat und spricht aus, was „Bill“ im Grunde genommen sein soll: Der
Leiter einer Fabrik für Büroartikel, in der jeder solange befördert – oder
zurückgestuft – wird, bis er unwirksam ist. Eine zugegebenermaßen etwas
schlichte Phantasie.
Zudem ist „Microsklaven“ mit einigen Identitätsdramen beschwert, dem
Lieblingsthema jener Dreißiger, die für immer jung sein wollen und wissen,
daß sie es nicht bleiben werden. Man sollte sich dennoch nicht abschrecken
lassen, denn Gefasel begleitet nun einmal Altern und Verfall und ummantelt
griffige Sätze: „Alles in allem wird interactive Multimedia weniger der
Literatur ähneln als dem Sport.“ Schon wirkt die Zukunftsform – das Buch
wurde 1993 geschrieben – anachronistisch und doch: Der Bemerkung ist nichts
hinzuzufügen. Douglas Couplands „Microsklaven“ ist nicht nur eine sanfte,
fast müde Beschreibung alternder Kinder, sondern auch ein komischer und
manchmal banaler Versuch, das Computerzeitalter in den Gang der Geschichte
einzuordnen. Ob Coupland dabei seine eigene Hilflosigkeit oder die
historischer Begrifflichkeiten ausspielt – wer will das wissen?
Popistisch oder einfach nur popelig? „Microsklaven“ baut natürlich auf den
Subtext des Zufalls, daß sich „T. V.“ und „philosophy“ reimen. Kaum je…
wird dem Autor Optimismus bescheinigen wollen, aber wehleidig ist
„Microsklaven“ auch nicht. Warum also „möchte man den Autor nicht mehr so
recht lesen“ (ein Kollege)? Nicht daß Couplands Bemühungen, die – wer wei…
– höchste Stufe des faulenden, parasitären Kapitalismus poetisch in den
Griff zu kriegen, kraftloser wirken als zu Zeiten seines Debütromans
„Generation X“. Der Autor, 35, sieht sich vielmehr evolutionärer Logik
unterworfen: Je eingeführter das Modell, desto entschiedener verschleißt
es. Couplands Erzählmodell ist von milde blubbernden Depressionen
verschattet. Auch in „Microsklaven“ entwirft der Autor wieder eine Variante
der Wüste von Palm Springs aus „Generation X“, ein miefiges, piefiges
Global Village, bevölkert von hochqualifizierten, harmlosen Neurotikern,
die er „geeks“ oder „nerds“ nennt. „Geeks“ hassen das Wort „Infor…
Superhighway“, haben rote Bildschirm-Augen, klopfen sich gegenseitig die
Schuppen von den Anzügen und diskutieren über die besten Antidepressiva.
Man erkennt, was man schon weiß. Dennoch: So eine Verkleinerung eines
Hype-Objekts auf sein tatsächliches Maß kann nie ganz schlecht oder
langweilig sein. Am Ende klappt man das Buch zu und ist – irgendwie
dankbar. Ein komisches Gefühl, das sich immer dann einstellt, wenn Hipness,
eine gewisse Ergebenheit in die Verhältnisse, Zeitgeist und klassische
Aufklärung so vollkommen miteinander verschmelzen. „Und als Karla und ich
da so lagen, uns mit ihrer brillanten Präzisionstechnologie bis in den
Himmel verlängerten, bis zum Ende des Universums, sah ich Karla an und
sagte laut ,WIRKLICH‘.“ Uff, Ende. Tatsächlich, es gibt wieder ein
Jenseits. Man steht auf, um eine CD von Peggy Lee einzulegen. 1953 sang sie
etwas mit dem Titel „When the world was young“; jetzt wird sie von
ausgewiesenen Vorkämpferinnen des Bewußt-Seins, von Björk und Polly Jean
Harvey, gecovert. Douglas Coupland, du bist nicht allein. Anke Westphal
Douglas Coupland, „Microsklaven“. Aus dem Amerikanischen von Tina Hohl.
Hoffmann & Campe Verlag, 461 S., 48 DM
2 Oct 1996
## AUTOREN
Anke Westphal
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.