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# taz.de -- Mein Führer, es ist ein Wunder!
> In einer Woche, am 4. Januar 1997, wird der „Spiegel“ 50 Jahre alt.
> Nichts hat er in dieser Zeit so wenig aufgearbeitet wie seine eigene
> Vergangenheit. In den fünfziger Jahren wurden zwei seiner Ressorts von
> SS-Offizieren geleitet  ■ Von Lutz Hachmeister
Im April 1945 traf der junge Jurist Hans Abich in Salzburg unvermutet auf
zwei SS-Offiziere, die ihm noch als Dozenten der Berliner
„Auslandswissenschaftlichen Falkultät“ bekannt waren. SS-Brigadeführer
Professor Franz Alfred Six und sein Adjutant, SS- Hauptsturmführer Dr.
Horst Mahnke, beide damals in Diensten des Ribbentropschen Außenamtes,
bereiteten gerade ihren Abgang in den Untergrund vor.
Abich, später Filmproduzent und Programmchef von Radio Bremen, erinnert
sich an ein seltsames letztes Gespräch: „Ich war schon in der Tür, da macht
der Six den Mund auf... Sagen Sie, Herr Abich, wann wird unsereiner wieder
publizieren können? Ich war einfach nur erstaunt und fragte mich, woran
denkt der denn, der will doch sein Leben retten. Er fragte: Fünf Jahre? Ich
wollte in dieser Situation keine Kalkulationen machen, und da kam ihm
Mahnke, der etwas lockerer war, zu Hilfe und sagte: Wenn überhaupt, zwanzig
Jahre.“
Mahnkes Prognose war falsch. Schon 1952 wurde er selbst Ressortleiter
„Internationales/Panorama“ beim Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel,
und sein einstiger Chef Six, vorzeitig aus der Haft im Landsberger War
Criminal Prison entlassen, übernahm ein Jahr später als persönlich
haftender Gesellschafter die Geschäfte des ehrwürdigen Darmstädter C.W.
Leske-Verlages. Als Horst Mahnke 1954 zusammen mit seinem Spiegel-Kollegen
Georg Wolff (Ressortchef Ausland seit 1952), auch der ein SS-
Hauptsturmführer a.D., ein Buch mit dem Titel „Der Frieden hat eine Chance“
publizierte, kam es bei Leske heraus. Der Spiegel annoncierte: „Die Autoren
haben einen Typ globaler strategischer Buch-Reportage entwickelt, der von
der Kritik durchweg freundlich aufgenommen worden ist. Der nächste Krieg
findet nicht unbedingt in Europa statt, ist ihre Hauptthese.“ Mitunter kam
Franz Alfred Six in die Spiegel-Redaktion und besuchte seinen ehemaligen
Adjutanten. Man ging hinunter zur Journalistenpinte „Fiete Melzer“, trank
ein Pils und redete über die alten und die neuen Geschäfte.
## Der SD: Ideologiefabrik und Mordbüro
Six, Mahnke und Wolff kannten sich aus Königsberg. Mahnke und Wolff hatten
bei dem jungen Six (Jahrgang 1909) studiert, dem es als
NS-Studentenfunktionär im Jahr 1935 gelungen war, aus eigener Initiative an
der östlichen „Stoßtrupp-Universität“ ein Zeitungswissenschaftliches
Institut aufzubauen. Eng mit seiner zeitungskundlichen Arbeit verwoben,
leitete Six, manisch arbeitswütig und auf der Suche nach einem
„wissenschaftlichen Nationalsozialismus“, das Amt für Presse und Schrifttum
im SD, dem Sicherheitsdienst des Reichsführers SS. Der SD hatte sich aus
bescheidenen Anfängen zu einer einflußreichen Lenkungsinstitution des
NS-Staates entwickelt – eine Mischung aus Secret Service,
Meinungs-Observatorium, Ideologiefabrik und Mordbüro.
Dem SD-Chef Reinhard Heydrich fiel die Arbeitsleistung seines
Presse-Abteilungsleiters so nachhaltig auf, daß er ihm im Frühjahr 1937 die
gesamte „Gegnerforschung“ des SD unterstellte. Six war hier, im Rahmen der
SD-Verschwörungsanalysen, vor allem für die Gegnergruppen Freimaurer,
Judentum, politische Kirchen und deren untergründige „Kanalsysteme“
zuständig. Adolf Eichmann, der sich unter Six' Führung als SD-Judenexperte
profilierte, notierte in seinen Memoiren: „Six bearbeitete die
weltanschauliche Gegnerbekämpfung auf rein wissenschaftlicher Basis. Er
hatte seine Augen und Ohren überall und wußte genau, wer diese oder jene
Institution leitete, wer dieser oder jener war.“
Heydrich lag zunächst daran, den Status und die Funktionen des SD durch die
Akquise fachlich qualifizierter Akademiker zu erweitern. Franz Alfred Six
war einer der profiliertesten Manager der SD-Hochschulpolitik. 1939 wurde
er, noch keine dreißig Jahre alt, auf Heydrichs Weisung Staatskommissar für
den Aufbau der neuen „Auslandswissenschaftlichen Fakultät“ der Berliner
Universität, dann auch ihr Gründungsdekan. Es sollte eine „politische
Geländekunde“ für das Großdeutsche Reich erarbeitet werden. Begabte
Studenten wurden für die Mitarbeit im SD angeworben.
Spiegel-Ressortleiter Mahnke, vier Jahre jünger als Six, war bereits am 1.
Oktober 1936 in Königsberg hauptamtlicher Mitarbeiter des SD geworden. Er
lieferte Berichte und Dossiers über universitäre Vorgänge ab. Im Oktober
1939 promovierte er bei Six (Note: „sehr gut“) über die „Freimaurer-Pres…
in Deutschland“. Das Material für die Arbeit stammte aus den vom SD
erbeuteten Logen-Archiven. Mahnke siedelte nach Berlin über und fand eine
passende Wohnung in dem Gebäude Emser Straße 12, das der SD den Berliner
Tochterlogen der „Großen Loge von Hamburg“ abgenommen hatte. Six teilte
Mahnke dem gerade neu etablierten Reichssicherheitshauptamt (RSHA) als
Sachbearbeiter für Marxismus zu und nahm ihn als Chefassistenten mit an die
neue Fakultät. Dort bekam Mahnke einiges zu tun, weil sich der häufig
beurlaubte Dekan um Vorlesungen und Übungen kaum kümmern konnte; Six war in
die praktischen Kriegseinsätze des SD verwickelt.
Die „weltanschauliche Forschung“ hatte für Heydrich an Wert verloren, Six
und seine Mitarbeiter wurden nach Kriegsausbruch vor allem für die
Beschlagnahme von Archiven in den eroberten Gebieten, aber auch für die
Arbeit an den konkreten „Gegnerkarteien“ des Auslands eingesetzt. Im Herbst
1940 war Six dann als SD-Kommandeur für die geplante und von Hitler
verworfene Besetzung Großbritanniens vorgesehen (“Operation Seelöwe“), und
Mahnke fungierte als Stabsleiter der antibritischen Gegnerforschung – im
SD-Hauptamt wurde zusammengestellt, welche Freimaurer, Juden, Liberale und
Parlamentarier im Falle einer Invasion festzusetzen seien. (Es entbehrt
nicht einer gewissen Ironie, daß bei einem von den Briten inspirierten
Nachrichtenmagazin ausgerechnet der für internationale Politik
federführende Mann den potentiellen Terror in Großbritannien
mitorganisierte.)
Im Juni 1941 wurde Six, inzwischen SS-Standartenführer, mit der Führung des
„Vorkommandos Moskau“ beauftragt, das mit der Speerspitze der deutschen
Wehrmacht in der russischen Hauptstadt einmarschieren sollte, um auch dort
politische und geheimdienstliche Dokumente zu beschlagnahmen. Anfang Juli
stieß in Minsk auch Assistent Mahnke zu dieser Gruppe, die aus rund 25
„Ortskennern Moskaus“, Wissenschaftlern, Dolmetschern und Hilfskräften
bestand. Das Vorkommando blieb in Smolensk hängen. Womit es sich dort
mehrere Wochen lang beschäftigte, kam im Nürnberger Prozeß gegen Six und
andere Führer der Einsatzgruppen wohl zur Sprache, aber nicht zur
wirklichen Klärung. Die Ereignismeldung Nummer 73 der Einsatzgruppe B unter
SS-Brigadeführer und Reichskriminaldirektor Arthur Nebe (dem das
Vorkommando zugeteilt war) vom 4. 9. 1941 besagte jedenfalls, daß
einerseits Gruppenstab und Vorkommando Moskau in der Zeit vom 22. 6. bis
zum 20. 8. genau 144 Personen erschossen hätten, andererseits das
Six-Vorkommando allein 46 Personen liquidiert habe, darunter 38
intellektuelle Juden, die versucht hätten, „im neu errichteten Ghetto von
Smolensk Unzufriedenheit und Unruhe hervorzurufen“.
Six berief sich in Nürnberg darauf, Erschießungen durch das Vorkommando
seien, wenn überhaupt, erst vorgekommen, nachdem er dessen Führung am 20.
August niedergelegt habe und aus Smolensk abgereist war; Mahnke testierte
ihm dies als Zeuge mit eidesstattlichen Erklärungen. Mahnke war indes
länger in Smolensk geblieben, ein Schriftstück mit Datum 31. August,
Briefkopf „Vorkommando Moskau der Einsatzgruppe B – Sicherheitspolizei und
SD“, trägt die Unterschrift des Assistenten. Der neue Kommandeur des
Vorkommandos, der gelernte Opernsänger Woldemar Klingelhöfer, berichtete in
Nürnberg über die weiteren Geschehnisse: „Währenddem ich mit der Leitung
des Vorkommandos Moskau von Nebe beauftragt war, erhielt ich von demselben
den Auftrag, von Smolensk nach Tatarsk und Mistislawl zu gehen und dort
Pelze für die deutsche Truppe zu sammeln und einen Teil der Juden zu
liquidieren. Die Juden waren bereits laut Auftrag von Hauptsturmführer Egon
Noack verhaftet worden. Die Exekution als solche wurde von Noack unter
meiner Aufsicht durchgeführt. Die zu exekutierenden Juden wurden an den
Rand einer bereits vorbereiteten Grube geführt und dort stehend von hinten
erschossen. Bei diesen Exekutionen war kein Arzt anwesend. Durch die
stehende Stellung am Rande der Grube fielen die Leute, nachdem sie von
Kugeln getroffen waren, meistens in das Grab.“
Klingelhöfer und Noack waren, wie Mahnke, schon im Vorkommando, als es Six
zweifelsfrei befehligte. Den US-Militärrichtern in Nürnberg wollte nicht
recht einleuchten, daß sich die Wissenschaftler und Ortskenner erst nach
der Abreise von Six in Judenmörder verwandelt hätten. Weil das Gericht Six
die Beteiligung an den Liquidationen „nicht mit wissenschaftlicher
Bestimmtheit“ nachweisen konnte, wurde er lediglich zu zwanzig Jahren Haft
verurteilt. Mahnke war in Nürnberg nur Zeuge, seine Rolle wurde nicht näher
untersucht.
1942 kam Six durch Vermittlung des rabiaten Unterstaatssekretärs Martin
Luther zum Auswärtigen Amt; er sollte dort die Ausbildung des Diplomaten-
Nachwuchses straffer organisieren. Dies eröffne der SS nach Luthers Ansicht
eine „außerordentliche Einflußmöglichkeit“, wie der Chef des Persönlich…
Stabes Reichsführer SS, Obergruppenführer Wolff, zufrieden notierte. Der
Plan zerschlug sich, aber Six übernahm statt dessen im Frühjahr 1943 im
Rang eines Gesandten Erster Klasse die Leitung der Kulturpolitischen
Abteilung. Auch hier zog er den nun unentbehrlichen Mahnke als persönlichen
Referenten nach.
## Pläne für kulturelle Auslandspropaganda
Die beiden gelernten Zeitungskundler hatten jetzt Pläne für die kulturelle
Auslandspropaganda zu entwerfen, wobei sie des öfteren konkurrierenden
NS-Institutionen, wie Goebbels' Propagandaministerium oder Ribbentrops
persönlichem Propaganda-Beauftragten Karl Megerle, ins Gehege kamen. „Herr
Dr. Megerle hat betont“, hielt Six am 17. 6. 1943 für seine Referenten
fest, „daß der Herr RAM (Reichsaußenminister) in der Zukunft nicht nur die
ruhige, gleichmäßige Propaganda wolle, sondern er Wert drauf lege, ebenso
wie es das Promi (Propagandaministerium) mache, bestimmte Schlager zu
finden, die auch in der deutschen Presse zum Niederschlag kommen könnten.
Man müsse sehen, wie man zu solchen Schlagern käme, zum anderen müsse man
aber auch Material sammeln, um es bei entsprechender Fülle auch wieder als
einen geschlossenen Schlager herauszubringen. Ich bitte Herrn Richter,
Herrn Dr. Mahnke und Herrn Dr. Wirsing um geeignete Vorschläge hierzu.“
Überdies kümmerte sich Mahnke im Auftrag seines Chefs um die Verteilung der
vertraulichen „Informationsberichte zur Judenfrage“, die von Six' altem Amt
VII (“Weltanschauliche Forschung“) im RSHA zusammengestellt wurden.
Neuesten Aktenfunden zufolge sollte sich Mahnke im Auftrag von Six im Amt
VII des Reichssicherheitshauptamtes 1942 auch um eine aktuelle „Namensliste
jüdischer Wissenschaftler“ kümmern. Im Ausweichquartier des Auswärtigen
Amtes in Krummhübel/Riesengebirge hielt Six am 3. April 1944 bei einer
Tagung der Judenreferenten der Deutschen Missionen dann ein
Grundsatzreferat, in dem er gemäß Protokoll zum Ausdruck brachte, „die
physische Beseitigung des Ostjudentums entziehe dem Judentum die
biologischen Reserven“. Der Gesandte bestritt in Nürnberg die Echtheit des
Protokolls.
## Das Kuriernetz der Untergetauchten
In zerlumpter Kleidung und mit falschen Papieren versehen, hatten sich Six
und Mahnke, zunächst gemeinsam, dann getrennt, von Salzburg aus nach Hessen
und Niedersachsen durchgeschlagen. Six nannte sich „Georg Becker“ und
arbeitete als Müllergehilfe in Gilserberg bei Kassel, Mahnke benutzte eine
Zeitlang den Paß seines Onkels Georg Groke und suchte Unterschlupf bei
Verwandten in der Gegend von Hannover. Man hielt Kontakt durch ein
Kuriernetz, Mahnke besuchte des öfteren die Frau des untergetauchten
Gesandten, Ellen Six, in der hannoverschen Helmholtzstraße. Am 17. 1. 1946
wurde Six nach intensiver Recherche (federführend war der renommierte
Sozialwissenschaftler Bruce Lannes Smith) vom militärischen US-Geheimdienst
CIC verhaftet, elf Tage später stöberten CIC-Männer Mahnke und einen
weiteren Six- Vertrauten, den promovierten Zeitungswissenschaftler und
Liquidierungs-Experten SS-Obersturmbannführer Rolf Oebsger- Röder, in Ellen
Six' Wohnung auf. Wie es zur Arretierung gekommen war, konnten
Spiegel-Leser knapp drei Jahre später en detail erfahren.
„Merkt euch den Namen Hirschfeld“, empfahl das Nachrichtenmagazin in der
Artikelüberschrift. Den umgedrehten SS- Mann Walter Hirschfeld hatte der
CIC auf ehemalige leitende Mitglieder der Schutzstaffel angesetzt;
Hirschfeld suchte Verwandte und Freunde der Gesuchten auf, gab sich als
SS-Kurier aus und verriet den Amerikanern anschließend die Aufenthaltsorte
des NS-Untergrunds. So knüpfte er auch eine enge Beziehung zur
Six-Schwester Marianne, einer angehenden Kinderärztin. Ihren unfreiwilligen
Verrat empfand Marianne Six als Schande, die nicht mehr gutzumachen schien
– sie starb am 17. 2. 1946, nachdem man sie in Heidelberg mit schweren
Vergiftungserscheinungen aufgefunden hatte. Der Spiegel suggerierte, es
müsse sich nicht unbedingt um Selbstmord handeln, sondern um sinistre
Machenschaften des US-Geheimdienstes. Agent provocateur Hirschfeld
(“Blutwarze auf der Knollnase“) und Gattin Josephine (“weiland als
Verkäuferin in Heidelbergs Ami-Kaufhaus noch wasserstoff- blond, heute
brandrot“) müßten sich jetzt allerdings, nach den „goldenen Tagen
1945-1947“, mit einem „uralten 2-Liter-Adler AW 66-4443 zufriedengeben, der
gerade noch den Weg von Hirschfelds Feudalwohnung Hirschgasse 16 (3mal
läuten) bis zur Bergheimer Straße 111-115“ schaffe.
Auf solche präzisen Hinweise folgte im Spiegel auch ein passender
Leserbrief (gezeichnet: „Name uninteressant“): „Um den Hirschfeld machen
Sie sich man keine Sorgen, der steht sowieso schon auf der Liste und wird
wohl keines natürlichen Todes sterben.“ Der Artikel über die Verhaftung der
Six-Gruppe und den Tod der Schwester Marianne war ein Musterstück für viele
frühe Spiegel- Texte über den NS-Staat. Sie enthielten Insider-Kenntnisse,
die nur von unmittelbar Eingeweihten stammen konnten (und zwar über die
normale Recherche nach Zeitzeugen hinaus), sie waren zumeist als dunkel
raunende Crime-Stories konstruiert, sie zeigten deutliche Antipathien gegen
die „Besatzer“ und gaben Hinweise auf neue Wohnorte und Netzwerke der NS-
Elite. In diesem Sinne diente das Nachrichtenmagazin den SD-Leuten als
Relaisstation für neue Orientierungen im demokratischen Staat. Der Spiegel
entwickelte sich zu einer SD-Mailbox, in der kräftig für die eigene Sache
geworben werden konnte.
Am 6. Juli 1950 begann im Spiegel die Serie „Am Caffeehandel betheiligt“,
konzipiert von Horst Mahnke und Georg Wolff. Die beiden Königsberger
Kommilitonen waren mittlerweile als „Marktbeobachter“ beim
Kaffee-Einfuhrkontor im Hamburger Freihafen gelandet. Ihre Aufgabe bestand
vor allem darin, die Geschäfte des florierenden Kaffeeschmuggels zu stören.
Die wilden Geschichten im Spiegel über „die letzten Geheimnisse der
neuesten, frechsten und spekulativsten Methoden der Schieberringe“ dienten
der PR für den legalen Kaffeehandel: „Über diese konservativste Branche der
Welt, die noch heute ihre eigene Gerichtsbarkeit besitzt – was den Kaffee
betrifft – und deren Kontore aussehen, als hätte sie Holbein gemalt, ist
wie eine Geißel der Schmuggel gekommen. Mit einem Satz umschrieben: Der
Kaffeeschmuggel ist heute größer als der Kaffeehandel. Deutschlands
Schmuggler verdienen heute etwa 1.000.000.000 (eine Milliarde) DM per anno.
Soviel betragen die Steuern und Zölle, die sie an die Bundeskasse nicht
abführen, sondern sich als ihr Verdienst in die eigenen schmutzigen Taschen
stecken“, entrüstete sich das Nachrichtenmagazin.
Georg Wolff, Jahrgang 1914, Mahnkes Koautor und von 1952 an Ressortleiter
„Ausland“ des Spiegel, stammte aus Wittenberge bei Potsdam und war dort als
19jähriger der örtlichen SA beigetreten. Nach einer Ausbildung zum
Schriftleiter beim Nordischen Kurier in Itzehoe, zweieinhalb Jahren Dienst
bei der Wehrmacht und weiterer journalistischer Arbeit bei kleineren
Lokalzeitungen kam er im März 1938 hauptamtlich zum Königsberger
SD-Abschnitt und war dort parallel zu seinem Studium als Leiter der
Referate III A-C mit der Observation der kulturellen und ökonomischen
Lebensgebiete beschäftigt. Der SD-Personalbericht bescheinigte ihm
Willenskraft und persönliche Härte „in ausgeprägter Form“, Wolff sei „…
jeder Hinsicht Nationalsozialist“. Im April 1940 wurde Wolff dem
SD-Einsatzkommando für Norwegen zugeteilt, er blieb in Oslo, zuständig für
die SD-“Meldungen aus Norwegen“, bis zum Kriegsende. Im Spiegel-Heft 5/1951
findet sich eine Rezension über eine Schrift des norwegischen Psychiaters
Johan Scharffenberg zur Frage der deutschen Besatzung: „Um der Wahrheit
willen aber müssen“, so referiert der Spiegel die Psychiater-Thesen, „die
Norweger ,den Mythos von der engelreinen Unschuld der Alliierten und der
teuflischen Alleinschuld der Deutschen für Norwegens Schande und Unglück
aufgeben'.“ Scharffenberg komme zu dem Schluß, „daß die deutsche Okkupati…
vom 9. April nicht völkerrechtswidrig war... Die englische Angriffsabsicht
hält Scharffenberg für erwiesen.“
## Wolffs völkische Soziologie Afrikas
Wolff fand neben seiner Spiegel- Arbeit auch Zeit, Essays für die im
Leske-Verlag wieder edierte Zeitschrift für Geopolitik (Schriftleiter war
Six' einstiger Prodekan, der völkische Soziologe Karl- Heinz Pfeffer) zu
verfassen, wobei das kurze Studium bei dem Königsberger Moralphilosophen
Arnold Gehlen deutlich nachwirkte: „Zwischen den Glaubensfronten“, so
sinnierte Wolff über die Lage in Afrika, „irrt der Neger hin- und her – ein
Heimatloser. Das Denken ist ihm zur mörderischen Waffe geworden... Afrika
belehrt den weißen Kapitalisten, daß moderne technische Zivilisation nur an
einem Ort vollstreckbar ist, wo es Glauben oder zumindest seine Tradition
gibt. Der Neger ist intelligent, anstellig und lernbegierig, aber er ist
,faul'. Meint er, genug verdient zu haben, läuft er davon, ohne sich um die
Maschine und das Werk zu kümmern... Um eine autonome afrikanische
Zivilisation zu schaffen, braucht Afrika Moral.“
SS-Sturmbannführer Giselher Wirsing, Strategie-Berater des SD-Auslandschefs
Walter Schellenberg und in der Bundesrepublik Chefredakteur des
Wochenblattes Christ und Welt, kam in einer Spiegel-Rezension des Jahres
1952 (Heft 18) nicht gut weg, weil er sich in seinem Buch „Schritt aus dem
Nichts“ den grundsätzlichen Moralfragen verweigerte. Alle praktischen
Vorschläge, die Wirsing mache, blieben für das Magazin „irgendwie im
Technischen der menschlichen Beziehungen stecken. Amerikanische
Gesellschaftmagie wie Public Relations, Keep- smiling oder Carnegies
Rezepte, wie man Freunde gewinnt, bleibt ohne religiöse oder philosophische
Verbindlichkeit eine Technik des Lebenskampfes, um mit geringstem
Widerstand größtmögliche Erfolge zu erzielen. Das Abendland kann dadurch
nicht gerettet werden.“ Wirsing, der mit Mahnke im britischen
Internierungslager Bad Nenndorf eingesessen hatte (wo laut Spiegel „nachts
in den Zellen die Häftlinge unter den Riemenschlägen ihrer Bewacher
aufheulten und die angetrunkenen Bewacher sadistisch jaulten“), sei ohnehin
ein Opportunist gewesen, der im Dienst des amerikanischen Geheimdienstes im
Winter 1945/46 gemeinsam mit dem Gesandten Werner Otto von Hentig „die Idee
von Deutschland als einer US-Kolonie erbrochen“ habe.
Seinen ersten authentischen Reporter aus dem früheren
Reichssicherheitshauptamt hatte Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein im
Sommer 1949 in Bad Harzburg akquiriert. Dort arbeitete Kriminalrat und
SS-Hauptsturmführer a.D. Dr. Bernd Wehner als Kraftfahrer bei der
britischen Besatzungsbehörde. Wehner hatte unter Arthur Nebe im RSHA-Amt V,
Gruppe B, das Referat für Kapitalverbrechen betreut und war nach dem
„automatical arrest“ von den Briten dazu eingesetzt worden, gegen Bad
Harzburger Kriminalbeamte zu ermitteln, die im Verdacht der Beteiligung an
Schwarzmarktgeschäften standen. Dies erschwerte ihm später, eigenen Angaben
zufolge, die Wiedereinstellung in den deutschen Kripo-Dienst. Der damals
40jährige wurde Mitarbeiter des Spiegel, nachdem Augstein ein von Wehner
ausgearbeitetes Dossier über die Kriminalpolizei im Dritten Reich
vermittelt worden war. Augstein kabelte nach Bad Harzburg: „Nichts weiter
unternehmen, ich komme.“ Kriminalrat Wehner, von 1954 an wieder Chef der
Düsseldorfer Kripo und schreibfreudiger Redakteur des Fachblattes
Kriminalistik, hatte einen umfangreichen, aber für Augsteins Vorstellungen
zu nüchternen Report vorgelegt. Der Spiegel-Herausgeber trimmte den Text
auf jene wunderliche stilistische Linie, die beim frühen Spiegel irgendwo
zwischen Time und Landserheften situiert ist.
Wehner wollte mit seiner Aufsatzfolge „Das Spiel ist aus – Arthur Nebe“
darstellen, daß die Kripoleute im NS-Staat anständig und sauber, also im
Gegensatz zur Gestapo „unpolitisch“ agiert hätten, sofern sie nicht durch
verstorbene Monstren wie Heydrich zu Sondereinsätzen gezwungen wurden. Kein
engerer Mitarbeiter Arthur Nebes sei überzeugter Nationalsozialist gewesen,
annoncierte Wehner; er selbst war indes schon 1931 zu NSDAP und SA
gestoßen.
Augsteins Redaktionsarbeit führte dazu, daß sich die legendären Untaten der
Massenmörder Kürten, Seefeld oder Ogorzow, der Räuber Walter und Max Götze
und der Tresorknacker Gebrüder Saß sich mit den Einsatzgruppenverbrechen
der Nebe, Ohlendorf oder Blobel zum surrealen großen Pandämonium mischten.
Wenig wurde verschwiegen, dafür kam alles im schnoddrigen Casino-Ton daher.
Arthur Nebe war ein „anständiger, ehrlicher Ausrottungshäuptling“, Heydri…
hat „nichts so sehr gewurmt wie seine Abstammung“, denn er hatte „zwar
einen nordischen Körper, aber einen schlitzäugig vermatschten Kopf“,
Heydrichs Nachfolger Kaltenbrunner war „ein Mann mit Manieren, zudem ein
glänzender Logiker“.
Wehner kam in seiner Serie, die im Spiegel natürlich anonym erschien, auch
selbst vor. Er war an den Untersuchungen nach dem Attentat des 20. Juli
1944 beteiligt und traf den lädierten Diktator in der Wolfsschanze: „Hitler
hakte (Wehner) mit dem linken Arm unter, ging mit ihm den Korridor entlang
und fragte ihn: ,Was sagen Sie zu dem Wunder, daß mir nichts passiert ist?
Ist es nicht ein Wunder?' – ,Doch, mein Führer', sagte Wehner daraufhin
innerlich ernüchtert, ,es ist ein Wunder.'“
Zu den möglichen Folgen des Attentats ließ Augstein auch dieses im
Wehner-Text stehen: „Der einzige Revolutionär unter den Putschisten, der
Graf Stauffenberg, war bei allen menschlichen und geistigen Qualitäten ein
politischer Wirrkopf. Wäre dieser eindrucksvolle Organisator zum Zuge
gekommen, ständen die Russen heute nicht an der Elbe, sondern mindestens am
Rhein.“
Beim frühen Spiegel existierte keine Direktive, die auf eine Entschuldung
der NS-Täter zielte; ein solches Interpretationsmuster wäre allzu simpel.
Es gab keine politische Strategie, wohl aber eine Strategie der
Politisierung des Magazins. Es dominierten persönliche Vorlieben und
Animositäten und viel publizistisches Abenteurertum im Stile eines
gehobenen Studentenblattes. Die Redaktion war jung, disparat, geprägt durch
die Erfahrungen in der Hitlerjugend, durch Kriegserlebnisse und
Besatzungswirren. Die Geschehnisse im NS-Reich wurden als Fatum
hingenommen; der Spiegel, obwohl als Projekt durch britische
Presseoffiziere inspiriert, verstand sich als deutschnationales Blatt,
dessen Mitarbeiter, so die Vorstellungen Augsteins und seines
Redaktionsmanagers Hans-Detlef Becker, zuallererst für die Souveränität und
Einheit einer Nachkriegsrepublik zu fechten hatten. Mahnke und Wolff wurden
fest angestellt, nachdem – vor dem Umzug des Spiegel von Hannover nach
Hamburg – die junge Kulturredakteurin Hanne Walz, der Feuilletonchef Hans
Joachim Toll und der Chef vom Dienst Werner Hühne wegen unterschiedlicher
Auffassungen über den redaktionellen Stil zum Verlassen des Blattes
gedrängt worden waren. Bei der Auswahl von Informanten und Redakteuren
dachten Augstein und Becker funktional: Wer Insider-Kenntnisse loswerden
wollte, wurde honoriert. Berlin- Korrespondent des Spiegel in den 50er
Jahren war Karl Friedrich Grosse, NSDAP-Mitglied seit 1931 und Anfang der
40er Jahre Leiter des Ribbentropschen „Auslandspresseclubs“ in der Berliner
Fasanenstraße, wo Vertreter ausländischer Medien umsorgt und ausgeforscht
wurden. Inlands- Chef Kurt Blauhorn stand hingegen deutlich links und hatte
vor seinem endgültigen Wechsel in den Westen gleichzeitig für das Neue
Deutschland und den Spiegel gearbeitet.
So rühmt sich der letzte Chefadjutant des Reichspropagandaministers,
Wilfred von Oven, Autor des wüsten Werkes „Mit Goebbels bis zum Ende“ noch
heute, 1951 als Südamerika-Korrespondent des Spiegel gewirkt zu haben. Doch
schon vor dem Engagement des Goebbels-Mannes brachte der Spiegel schräge
Analysen südamerikanischer Geschehnisse. Als der Bonner Minister Carl
Spiecker, ein früherer Zentrumsmann, 1950 von der Adenauer-Regierung auf
eine Sondierungstour nach Argentinien und Brasilien geschickt wurde,
kritisierte der Spiegel (Heft 43/1950) das ungeschickte Auftreten des
Diplomaten. Spiecker habe nämlich zuerst dem linken Argentinischen
Tageblatt ein Interview gegeben, weil er dessen „Schriftleiter Dr. Ernst
Feder vom früheren Pariser Tageblatt aus seiner Emigrantenzeit in
Frankreich“ gekannt habe. Das war für den Spiegel ein Fauxpas, der in der
deutschen Kolonie in Buenos Aires äußerst unangenehm aufgefallen sei:
„Feders Tageblatt aber ist in Argentinien umstritten. Die Zeitung forderte
während des Krieges gellend die politische Liquidierung der Deutschen und
vertrat noch bis vor Monaten laut die These der deutschen Kollektivschuld“.
Wilfred von Oven war im Spiegel für die breite Öffentlichkeit am 24. 1.
1951 wieder aufgetaucht, und zwar mit Bild. Der Goebbels-Referent, so
vermittelte das Magazin in einer Story über das Schicksal der
Goebbels-Tagebücher, habe „nach mehrjährigem Untergrund als Bauernknecht“
seinen echten Namen wieder angenommen. Eigentlich ging es in der Goebbels-
Geschichte aber nicht um von Oven oder seinen Adjutantenkollegen
Schwägermann (“An der Ostfront hatte ihm der Iwan mit dem Gewehrkolben ein
Auge aus- und den Schädel eingeschlagen“), sondern um den letzten
Staatssekretär des Propagandaministeriums, den von Himmler sehr geschätzten
SS-Oberführer Dr. Werner Naumann (“Nau-Nau“). Der hatte sich nach dem
Exodus des Großdeutschen Reiches als Maurergeselle verdingt, bevor er als
Geschäftsführer der Düsseldorfer Exportfirma Cominbel, die dem
Ex-Propagandaoffizier Herbert Lucht und seiner Frau Lea gehörte, wieder
eine halbwegs standesgemäße Anstellung fand. Zu Luchts Frau Lea hatte Dr.
Naumann engere Beziehungen geknüpft, politisch wie privat. Der Spiegel
(Heft 4/1951) über Lea Lucht: „Für Konzessionen ist sie nicht zu haben,
denn sie ist die Tochter eines belgischen Generals. Die sweet seventeen,
das Backfischalter, hatte sie gerade hinter sich, als im östlichen
Nachbarland Hitler zur Macht kam. Sie konnte sich der magischen
Ausstrahlungskraft seiner Ideen ebensowenig entziehen wie ihr Landsmann
Leon Degrelle und verschrieb sich dem Nationalsozialismus mit zarter Haut
und seidenglänzenden dunklen Haaren...“
Schon bald galt Hausfreund Naumann, den Hitler in seinem Testament noch zum
Propagandaminister unter einem Reichskanzler Goebbels bestimmt hatte, als
zentrale Figur bei der Rekonstitution einer NS-Führungselite in der
Bundesrepublik. In Hamburg und Düsseldorf bildeten sich „Stammtische“ der
NS-Prominenz, wo unter Naumanns Anleitung die Strategien der Machtübernahme
debattiert wurden. Naumanns Rezept: keine neue, wohl ohnehin chancenlose
NS-Partei, sondern Unterwanderung bestehender Gruppierungen im
parlamentarischen Raum. Am 26. August 1950 traf sich Naumann mit einem
führenden nordrhein-westfälischen FDP-Politiker, dem Essener Rechtsanwalt
Dr. Ernst Achenbach, der zu NS-Zeiten Leiter der Politischen Abteilung der
deutschen Botschaft in Paris und später Ressortleiter in Six' Berliner
Kulturressort gewesen war. Achenbach sei überzeugt, notierte Naumann in
sein Notizbuch, daß alerte Nationalsozialisten in der NRW- FDP die Führung
übernehmen könnten; mit nur 200 neuen Mitgliedern könne man den „ganzen
Landesvorstand erben“.
Im Januar 1953 schlug, gestützt auf das Besatzungsrecht, die britische
„Public Safety“ zu. Naumann und sechs weitere Verdächtige der sogenannten
„Gauleiter-Verschwörung“ wurden in Hamburg verhaftet. Der Spiegel war
aufgebracht – nicht wegen der NS-Geheimbündelei, sondern wegen der nach
Meinung des Magazins unangemessen harten Aktion der Briten, die nur auf
außenpolitische Geländegewinne gezielt hätten: „Der Kreis war eher eine
NS-Erinnerungsgemeinde und eine braune Hilfe, die Stellungen vermitteln
wollte. Der Kreis war weder geschlossen noch ein Kreis im geometrischen
Sinne, dessen Punkte – sprich Mitglieder – vom Mittelpunkt gleich weit
entfernt waren. Die meisten der etwa hundert Gesinnungsfreunde waren nur
durch gelegentliche Besuche und Korrespondenzen verbunden.“
## SS-Leute unterwandern die FDP in NRW
In Sachen NRW-FDP waren allerdings gewichtige Stellungen vermittelt worden.
SS-Standartenführer Diewerge, auch er ehemals beim Propagandaministerium,
arbeitete bereits als Geschäftsführer des NRW-Landesverbandes, der sich
unter Leitung des Opladener Verlegers Friedrich Middelhauve (er kaufte dann
1960 den Leske- Verlag) offensiv um die Wiedereingliederung von NS-Führern
mühte. Zahlreiche Leitungspositionen auf Kreis-, Bezirks- und Landesebene
befanden sich schon in Händen der Unterwanderer. Die Bundes-FDP unter Franz
Blücher setzte nach dem Schlag der Briten eine Untersuchungskommission ein.
Augsteins Magazin – der Herausgeber stand lange Jahre den Freidemokraten
nahe – interpretierte in Heft 19/1953 die Kommissions-Ergebnisse: „Goebbels
Staatssekretär Naumann hat trotz erklärter Absicht bis zu seiner Verhaftung
den Landesverband Nordrhein-Westfalen der FDP noch nicht in einem
,Rhein-Ruhr-Gau' einer NS-FDP umwandeln können... Daß sich Franz Blücher
bei seinem Vorgehen gegen den rechten Parteiflügel britischen Nau-
Nau-Telephonabhörmaterials bediente, nagt an den Herzen vieler jüngerer und
aktiver Funktionäre ebenso wie die Ettäuschung über die Hilfe, die
(Justizminister) Thomas Dehler dem Vizekanzler hierbei leistete“.
Ein 50-Punkte-Papier der Briten zur Gauleiter-Verwörung kanzelte der
Spiegel ab: Es werde über „einflußreiche Verbindungen mit
Ruhrindustriellen“ schwadroniert, „also über all das, was in ausländischen
Augen untrennbar zu einem revanchelüsternen pangermanischen Reich gehört.
Einzelne Namen der Beteiligten sind falsch geschrieben.“ Und am 17. Juni
1953 meldete das Magazin, in der NRW-Industrie herrsche Verstimmung über
die Kaltstellung von Anwalt Achenbach in der FDP, der bislang die
Verbindung zwischen Großspendern und den Freien Demokraten hergestellt
habe. Einzelne Geldgeber aus der Wirtschaft seien bereits zur CDU
abgewandert.
Den verhafteten Naumann, der wenig später zu offen rechtsradikalen Parteien
überwechselte, bedachte der Spiegel mit Milde und Nachsicht. Sefton Delmer,
der Star der britischen „schwarzen Propaganda“, dem im September 1954 (Heft
37) eine Titelgeschichte gewidmet wurde, sei „mehr als einmal freundlich
empfangener Gast im Heim von Werner Naumann (,Nau-Nau') und dessen
Gefährtin Lea (,Slicki') Lucht gewesen“, hatte sich aber offenbar als nicht
besonders dankbar erwiesen. Spiegel-Leser mußten sich darüber nicht
wundern, wurde Sefton Delmer doch so präsentiert: „In Gummistiefeln, Größe
47, stapft ein menschlicher Koloß von 114 Kilo über die taufeuchten Weiden
von Valley Farm in Essex, um ein halbes Dutzend ausgerissener Schweine
zurück in den Pferch zu treiben... Bis heute blieb unerforscht, in welchem
Ausmaß es der zügellosen Phantasie dieses einen Mannes, gepaart mit
abgrundtiefem Zynismus und verspieltem Intellekt, gelungen ist, die
Widerstandskräfte des Dritten Reiches zu lähmen, zu zersetzen oder sogar in
den Dienst der Alliierten zu stellen.“
Zu jener Zeit publizierte der Spiegel auch eine 14seitige Titelgeschichte
über Reinhard Gehlen und seine Organisation, für die Hans-Detlef Becker ein
besonderes Faible entwickelt hatte. Von großer Bewunderung für den
einstigen Wehrmachtsgeneral Gehlen durchzogen, war der Report eine
grandiose Weißwäsche für den kommenden Bundesnachrichtendienst. „Als
V-Leute und Forscher stehen zwar ehemalige SD- und Gestapo-Beamte hier und
da in Gehlens Diensten“, versicherte der Spiegel (Heft 39/1954), „da sie
bei ehemaligen Kameraden auf der Gegenseite eine gute Ansprache haben und
in einer Reihe von Fällen erfolgreich in den gegnerischen Dienst
eingedrungen sind. Eines aber wird Konrad Adenauer auf sein Wort nehmen
können: In Gehlens Stab gibt es nicht einen einzigen SD- oder Gestapo-
Mann.“
Horst Mahnke, der 1985 verstarb, blieb im Stab des Spiegel bis 1959,
wechselte danach zu Springers illustrierter Kristall, leitete nach deren
Niedergang das „politische Büro“ des Springer Verlages und beendete seine
Karriere als Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher
Zeitschriftenverleger. Georg Wolff wandte sich, wie Leo Brawand in seiner
kürzlich publizierten Augstein-Biographie schildert, gegen den
adenauerfeindlichen Kurs des Spiegel-Herausgebers und plädierte für eine
Westorientierung des Bundesrepublik. 1961 sei Wolff, so Brawand, als
Chefredakteur des Spiegel im Gespräch gewesen. Augstein habe Wolff damals
gebeten, mit ihm „eine Suppe essen zu gehen“. Brawand weiter: „Bei Tisch
erklärt der Herausgeber bedauernd seine Ablehnung Wolffs damit, man müsse
vermutlich sonst in der Öffentlichkeit wegen seiner ,SD'-Tätigkeit während
des Krieges im besetzten Norwegen mit bösen Kommentaren rechnen.“ Wolff
übernahm das Ressort „Geisteswissenschaften“ und blieb beim Spiegel bis zum
Ende der 70er Jahre. Er verstarb im Sommer 1996.
Eine erweiterte Darstellung der frühen „Spiegel“-Geschichte erscheint
demnächst in Lutz Hachmeisters Monographie „Der Gegnerforscher. Zur
Karriere des SS-Brigadeführers Franz Alfred Six“.
27 Dec 1996
## AUTOREN
Lutz Hachmeister
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