# taz.de -- Mein Führer, es ist ein Wunder! | |
> In einer Woche, am 4. Januar 1997, wird der „Spiegel“ 50 Jahre alt. | |
> Nichts hat er in dieser Zeit so wenig aufgearbeitet wie seine eigene | |
> Vergangenheit. In den fünfziger Jahren wurden zwei seiner Ressorts von | |
> SS-Offizieren geleitet ■ Von Lutz Hachmeister | |
Im April 1945 traf der junge Jurist Hans Abich in Salzburg unvermutet auf | |
zwei SS-Offiziere, die ihm noch als Dozenten der Berliner | |
„Auslandswissenschaftlichen Falkultät“ bekannt waren. SS-Brigadeführer | |
Professor Franz Alfred Six und sein Adjutant, SS- Hauptsturmführer Dr. | |
Horst Mahnke, beide damals in Diensten des Ribbentropschen Außenamtes, | |
bereiteten gerade ihren Abgang in den Untergrund vor. | |
Abich, später Filmproduzent und Programmchef von Radio Bremen, erinnert | |
sich an ein seltsames letztes Gespräch: „Ich war schon in der Tür, da macht | |
der Six den Mund auf... Sagen Sie, Herr Abich, wann wird unsereiner wieder | |
publizieren können? Ich war einfach nur erstaunt und fragte mich, woran | |
denkt der denn, der will doch sein Leben retten. Er fragte: Fünf Jahre? Ich | |
wollte in dieser Situation keine Kalkulationen machen, und da kam ihm | |
Mahnke, der etwas lockerer war, zu Hilfe und sagte: Wenn überhaupt, zwanzig | |
Jahre.“ | |
Mahnkes Prognose war falsch. Schon 1952 wurde er selbst Ressortleiter | |
„Internationales/Panorama“ beim Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel, | |
und sein einstiger Chef Six, vorzeitig aus der Haft im Landsberger War | |
Criminal Prison entlassen, übernahm ein Jahr später als persönlich | |
haftender Gesellschafter die Geschäfte des ehrwürdigen Darmstädter C.W. | |
Leske-Verlages. Als Horst Mahnke 1954 zusammen mit seinem Spiegel-Kollegen | |
Georg Wolff (Ressortchef Ausland seit 1952), auch der ein SS- | |
Hauptsturmführer a.D., ein Buch mit dem Titel „Der Frieden hat eine Chance“ | |
publizierte, kam es bei Leske heraus. Der Spiegel annoncierte: „Die Autoren | |
haben einen Typ globaler strategischer Buch-Reportage entwickelt, der von | |
der Kritik durchweg freundlich aufgenommen worden ist. Der nächste Krieg | |
findet nicht unbedingt in Europa statt, ist ihre Hauptthese.“ Mitunter kam | |
Franz Alfred Six in die Spiegel-Redaktion und besuchte seinen ehemaligen | |
Adjutanten. Man ging hinunter zur Journalistenpinte „Fiete Melzer“, trank | |
ein Pils und redete über die alten und die neuen Geschäfte. | |
## Der SD: Ideologiefabrik und Mordbüro | |
Six, Mahnke und Wolff kannten sich aus Königsberg. Mahnke und Wolff hatten | |
bei dem jungen Six (Jahrgang 1909) studiert, dem es als | |
NS-Studentenfunktionär im Jahr 1935 gelungen war, aus eigener Initiative an | |
der östlichen „Stoßtrupp-Universität“ ein Zeitungswissenschaftliches | |
Institut aufzubauen. Eng mit seiner zeitungskundlichen Arbeit verwoben, | |
leitete Six, manisch arbeitswütig und auf der Suche nach einem | |
„wissenschaftlichen Nationalsozialismus“, das Amt für Presse und Schrifttum | |
im SD, dem Sicherheitsdienst des Reichsführers SS. Der SD hatte sich aus | |
bescheidenen Anfängen zu einer einflußreichen Lenkungsinstitution des | |
NS-Staates entwickelt – eine Mischung aus Secret Service, | |
Meinungs-Observatorium, Ideologiefabrik und Mordbüro. | |
Dem SD-Chef Reinhard Heydrich fiel die Arbeitsleistung seines | |
Presse-Abteilungsleiters so nachhaltig auf, daß er ihm im Frühjahr 1937 die | |
gesamte „Gegnerforschung“ des SD unterstellte. Six war hier, im Rahmen der | |
SD-Verschwörungsanalysen, vor allem für die Gegnergruppen Freimaurer, | |
Judentum, politische Kirchen und deren untergründige „Kanalsysteme“ | |
zuständig. Adolf Eichmann, der sich unter Six' Führung als SD-Judenexperte | |
profilierte, notierte in seinen Memoiren: „Six bearbeitete die | |
weltanschauliche Gegnerbekämpfung auf rein wissenschaftlicher Basis. Er | |
hatte seine Augen und Ohren überall und wußte genau, wer diese oder jene | |
Institution leitete, wer dieser oder jener war.“ | |
Heydrich lag zunächst daran, den Status und die Funktionen des SD durch die | |
Akquise fachlich qualifizierter Akademiker zu erweitern. Franz Alfred Six | |
war einer der profiliertesten Manager der SD-Hochschulpolitik. 1939 wurde | |
er, noch keine dreißig Jahre alt, auf Heydrichs Weisung Staatskommissar für | |
den Aufbau der neuen „Auslandswissenschaftlichen Fakultät“ der Berliner | |
Universität, dann auch ihr Gründungsdekan. Es sollte eine „politische | |
Geländekunde“ für das Großdeutsche Reich erarbeitet werden. Begabte | |
Studenten wurden für die Mitarbeit im SD angeworben. | |
Spiegel-Ressortleiter Mahnke, vier Jahre jünger als Six, war bereits am 1. | |
Oktober 1936 in Königsberg hauptamtlicher Mitarbeiter des SD geworden. Er | |
lieferte Berichte und Dossiers über universitäre Vorgänge ab. Im Oktober | |
1939 promovierte er bei Six (Note: „sehr gut“) über die „Freimaurer-Pres… | |
in Deutschland“. Das Material für die Arbeit stammte aus den vom SD | |
erbeuteten Logen-Archiven. Mahnke siedelte nach Berlin über und fand eine | |
passende Wohnung in dem Gebäude Emser Straße 12, das der SD den Berliner | |
Tochterlogen der „Großen Loge von Hamburg“ abgenommen hatte. Six teilte | |
Mahnke dem gerade neu etablierten Reichssicherheitshauptamt (RSHA) als | |
Sachbearbeiter für Marxismus zu und nahm ihn als Chefassistenten mit an die | |
neue Fakultät. Dort bekam Mahnke einiges zu tun, weil sich der häufig | |
beurlaubte Dekan um Vorlesungen und Übungen kaum kümmern konnte; Six war in | |
die praktischen Kriegseinsätze des SD verwickelt. | |
Die „weltanschauliche Forschung“ hatte für Heydrich an Wert verloren, Six | |
und seine Mitarbeiter wurden nach Kriegsausbruch vor allem für die | |
Beschlagnahme von Archiven in den eroberten Gebieten, aber auch für die | |
Arbeit an den konkreten „Gegnerkarteien“ des Auslands eingesetzt. Im Herbst | |
1940 war Six dann als SD-Kommandeur für die geplante und von Hitler | |
verworfene Besetzung Großbritanniens vorgesehen (“Operation Seelöwe“), und | |
Mahnke fungierte als Stabsleiter der antibritischen Gegnerforschung – im | |
SD-Hauptamt wurde zusammengestellt, welche Freimaurer, Juden, Liberale und | |
Parlamentarier im Falle einer Invasion festzusetzen seien. (Es entbehrt | |
nicht einer gewissen Ironie, daß bei einem von den Briten inspirierten | |
Nachrichtenmagazin ausgerechnet der für internationale Politik | |
federführende Mann den potentiellen Terror in Großbritannien | |
mitorganisierte.) | |
Im Juni 1941 wurde Six, inzwischen SS-Standartenführer, mit der Führung des | |
„Vorkommandos Moskau“ beauftragt, das mit der Speerspitze der deutschen | |
Wehrmacht in der russischen Hauptstadt einmarschieren sollte, um auch dort | |
politische und geheimdienstliche Dokumente zu beschlagnahmen. Anfang Juli | |
stieß in Minsk auch Assistent Mahnke zu dieser Gruppe, die aus rund 25 | |
„Ortskennern Moskaus“, Wissenschaftlern, Dolmetschern und Hilfskräften | |
bestand. Das Vorkommando blieb in Smolensk hängen. Womit es sich dort | |
mehrere Wochen lang beschäftigte, kam im Nürnberger Prozeß gegen Six und | |
andere Führer der Einsatzgruppen wohl zur Sprache, aber nicht zur | |
wirklichen Klärung. Die Ereignismeldung Nummer 73 der Einsatzgruppe B unter | |
SS-Brigadeführer und Reichskriminaldirektor Arthur Nebe (dem das | |
Vorkommando zugeteilt war) vom 4. 9. 1941 besagte jedenfalls, daß | |
einerseits Gruppenstab und Vorkommando Moskau in der Zeit vom 22. 6. bis | |
zum 20. 8. genau 144 Personen erschossen hätten, andererseits das | |
Six-Vorkommando allein 46 Personen liquidiert habe, darunter 38 | |
intellektuelle Juden, die versucht hätten, „im neu errichteten Ghetto von | |
Smolensk Unzufriedenheit und Unruhe hervorzurufen“. | |
Six berief sich in Nürnberg darauf, Erschießungen durch das Vorkommando | |
seien, wenn überhaupt, erst vorgekommen, nachdem er dessen Führung am 20. | |
August niedergelegt habe und aus Smolensk abgereist war; Mahnke testierte | |
ihm dies als Zeuge mit eidesstattlichen Erklärungen. Mahnke war indes | |
länger in Smolensk geblieben, ein Schriftstück mit Datum 31. August, | |
Briefkopf „Vorkommando Moskau der Einsatzgruppe B – Sicherheitspolizei und | |
SD“, trägt die Unterschrift des Assistenten. Der neue Kommandeur des | |
Vorkommandos, der gelernte Opernsänger Woldemar Klingelhöfer, berichtete in | |
Nürnberg über die weiteren Geschehnisse: „Währenddem ich mit der Leitung | |
des Vorkommandos Moskau von Nebe beauftragt war, erhielt ich von demselben | |
den Auftrag, von Smolensk nach Tatarsk und Mistislawl zu gehen und dort | |
Pelze für die deutsche Truppe zu sammeln und einen Teil der Juden zu | |
liquidieren. Die Juden waren bereits laut Auftrag von Hauptsturmführer Egon | |
Noack verhaftet worden. Die Exekution als solche wurde von Noack unter | |
meiner Aufsicht durchgeführt. Die zu exekutierenden Juden wurden an den | |
Rand einer bereits vorbereiteten Grube geführt und dort stehend von hinten | |
erschossen. Bei diesen Exekutionen war kein Arzt anwesend. Durch die | |
stehende Stellung am Rande der Grube fielen die Leute, nachdem sie von | |
Kugeln getroffen waren, meistens in das Grab.“ | |
Klingelhöfer und Noack waren, wie Mahnke, schon im Vorkommando, als es Six | |
zweifelsfrei befehligte. Den US-Militärrichtern in Nürnberg wollte nicht | |
recht einleuchten, daß sich die Wissenschaftler und Ortskenner erst nach | |
der Abreise von Six in Judenmörder verwandelt hätten. Weil das Gericht Six | |
die Beteiligung an den Liquidationen „nicht mit wissenschaftlicher | |
Bestimmtheit“ nachweisen konnte, wurde er lediglich zu zwanzig Jahren Haft | |
verurteilt. Mahnke war in Nürnberg nur Zeuge, seine Rolle wurde nicht näher | |
untersucht. | |
1942 kam Six durch Vermittlung des rabiaten Unterstaatssekretärs Martin | |
Luther zum Auswärtigen Amt; er sollte dort die Ausbildung des Diplomaten- | |
Nachwuchses straffer organisieren. Dies eröffne der SS nach Luthers Ansicht | |
eine „außerordentliche Einflußmöglichkeit“, wie der Chef des Persönlich… | |
Stabes Reichsführer SS, Obergruppenführer Wolff, zufrieden notierte. Der | |
Plan zerschlug sich, aber Six übernahm statt dessen im Frühjahr 1943 im | |
Rang eines Gesandten Erster Klasse die Leitung der Kulturpolitischen | |
Abteilung. Auch hier zog er den nun unentbehrlichen Mahnke als persönlichen | |
Referenten nach. | |
## Pläne für kulturelle Auslandspropaganda | |
Die beiden gelernten Zeitungskundler hatten jetzt Pläne für die kulturelle | |
Auslandspropaganda zu entwerfen, wobei sie des öfteren konkurrierenden | |
NS-Institutionen, wie Goebbels' Propagandaministerium oder Ribbentrops | |
persönlichem Propaganda-Beauftragten Karl Megerle, ins Gehege kamen. „Herr | |
Dr. Megerle hat betont“, hielt Six am 17. 6. 1943 für seine Referenten | |
fest, „daß der Herr RAM (Reichsaußenminister) in der Zukunft nicht nur die | |
ruhige, gleichmäßige Propaganda wolle, sondern er Wert drauf lege, ebenso | |
wie es das Promi (Propagandaministerium) mache, bestimmte Schlager zu | |
finden, die auch in der deutschen Presse zum Niederschlag kommen könnten. | |
Man müsse sehen, wie man zu solchen Schlagern käme, zum anderen müsse man | |
aber auch Material sammeln, um es bei entsprechender Fülle auch wieder als | |
einen geschlossenen Schlager herauszubringen. Ich bitte Herrn Richter, | |
Herrn Dr. Mahnke und Herrn Dr. Wirsing um geeignete Vorschläge hierzu.“ | |
Überdies kümmerte sich Mahnke im Auftrag seines Chefs um die Verteilung der | |
vertraulichen „Informationsberichte zur Judenfrage“, die von Six' altem Amt | |
VII (“Weltanschauliche Forschung“) im RSHA zusammengestellt wurden. | |
Neuesten Aktenfunden zufolge sollte sich Mahnke im Auftrag von Six im Amt | |
VII des Reichssicherheitshauptamtes 1942 auch um eine aktuelle „Namensliste | |
jüdischer Wissenschaftler“ kümmern. Im Ausweichquartier des Auswärtigen | |
Amtes in Krummhübel/Riesengebirge hielt Six am 3. April 1944 bei einer | |
Tagung der Judenreferenten der Deutschen Missionen dann ein | |
Grundsatzreferat, in dem er gemäß Protokoll zum Ausdruck brachte, „die | |
physische Beseitigung des Ostjudentums entziehe dem Judentum die | |
biologischen Reserven“. Der Gesandte bestritt in Nürnberg die Echtheit des | |
Protokolls. | |
## Das Kuriernetz der Untergetauchten | |
In zerlumpter Kleidung und mit falschen Papieren versehen, hatten sich Six | |
und Mahnke, zunächst gemeinsam, dann getrennt, von Salzburg aus nach Hessen | |
und Niedersachsen durchgeschlagen. Six nannte sich „Georg Becker“ und | |
arbeitete als Müllergehilfe in Gilserberg bei Kassel, Mahnke benutzte eine | |
Zeitlang den Paß seines Onkels Georg Groke und suchte Unterschlupf bei | |
Verwandten in der Gegend von Hannover. Man hielt Kontakt durch ein | |
Kuriernetz, Mahnke besuchte des öfteren die Frau des untergetauchten | |
Gesandten, Ellen Six, in der hannoverschen Helmholtzstraße. Am 17. 1. 1946 | |
wurde Six nach intensiver Recherche (federführend war der renommierte | |
Sozialwissenschaftler Bruce Lannes Smith) vom militärischen US-Geheimdienst | |
CIC verhaftet, elf Tage später stöberten CIC-Männer Mahnke und einen | |
weiteren Six- Vertrauten, den promovierten Zeitungswissenschaftler und | |
Liquidierungs-Experten SS-Obersturmbannführer Rolf Oebsger- Röder, in Ellen | |
Six' Wohnung auf. Wie es zur Arretierung gekommen war, konnten | |
Spiegel-Leser knapp drei Jahre später en detail erfahren. | |
„Merkt euch den Namen Hirschfeld“, empfahl das Nachrichtenmagazin in der | |
Artikelüberschrift. Den umgedrehten SS- Mann Walter Hirschfeld hatte der | |
CIC auf ehemalige leitende Mitglieder der Schutzstaffel angesetzt; | |
Hirschfeld suchte Verwandte und Freunde der Gesuchten auf, gab sich als | |
SS-Kurier aus und verriet den Amerikanern anschließend die Aufenthaltsorte | |
des NS-Untergrunds. So knüpfte er auch eine enge Beziehung zur | |
Six-Schwester Marianne, einer angehenden Kinderärztin. Ihren unfreiwilligen | |
Verrat empfand Marianne Six als Schande, die nicht mehr gutzumachen schien | |
– sie starb am 17. 2. 1946, nachdem man sie in Heidelberg mit schweren | |
Vergiftungserscheinungen aufgefunden hatte. Der Spiegel suggerierte, es | |
müsse sich nicht unbedingt um Selbstmord handeln, sondern um sinistre | |
Machenschaften des US-Geheimdienstes. Agent provocateur Hirschfeld | |
(“Blutwarze auf der Knollnase“) und Gattin Josephine (“weiland als | |
Verkäuferin in Heidelbergs Ami-Kaufhaus noch wasserstoff- blond, heute | |
brandrot“) müßten sich jetzt allerdings, nach den „goldenen Tagen | |
1945-1947“, mit einem „uralten 2-Liter-Adler AW 66-4443 zufriedengeben, der | |
gerade noch den Weg von Hirschfelds Feudalwohnung Hirschgasse 16 (3mal | |
läuten) bis zur Bergheimer Straße 111-115“ schaffe. | |
Auf solche präzisen Hinweise folgte im Spiegel auch ein passender | |
Leserbrief (gezeichnet: „Name uninteressant“): „Um den Hirschfeld machen | |
Sie sich man keine Sorgen, der steht sowieso schon auf der Liste und wird | |
wohl keines natürlichen Todes sterben.“ Der Artikel über die Verhaftung der | |
Six-Gruppe und den Tod der Schwester Marianne war ein Musterstück für viele | |
frühe Spiegel- Texte über den NS-Staat. Sie enthielten Insider-Kenntnisse, | |
die nur von unmittelbar Eingeweihten stammen konnten (und zwar über die | |
normale Recherche nach Zeitzeugen hinaus), sie waren zumeist als dunkel | |
raunende Crime-Stories konstruiert, sie zeigten deutliche Antipathien gegen | |
die „Besatzer“ und gaben Hinweise auf neue Wohnorte und Netzwerke der NS- | |
Elite. In diesem Sinne diente das Nachrichtenmagazin den SD-Leuten als | |
Relaisstation für neue Orientierungen im demokratischen Staat. Der Spiegel | |
entwickelte sich zu einer SD-Mailbox, in der kräftig für die eigene Sache | |
geworben werden konnte. | |
Am 6. Juli 1950 begann im Spiegel die Serie „Am Caffeehandel betheiligt“, | |
konzipiert von Horst Mahnke und Georg Wolff. Die beiden Königsberger | |
Kommilitonen waren mittlerweile als „Marktbeobachter“ beim | |
Kaffee-Einfuhrkontor im Hamburger Freihafen gelandet. Ihre Aufgabe bestand | |
vor allem darin, die Geschäfte des florierenden Kaffeeschmuggels zu stören. | |
Die wilden Geschichten im Spiegel über „die letzten Geheimnisse der | |
neuesten, frechsten und spekulativsten Methoden der Schieberringe“ dienten | |
der PR für den legalen Kaffeehandel: „Über diese konservativste Branche der | |
Welt, die noch heute ihre eigene Gerichtsbarkeit besitzt – was den Kaffee | |
betrifft – und deren Kontore aussehen, als hätte sie Holbein gemalt, ist | |
wie eine Geißel der Schmuggel gekommen. Mit einem Satz umschrieben: Der | |
Kaffeeschmuggel ist heute größer als der Kaffeehandel. Deutschlands | |
Schmuggler verdienen heute etwa 1.000.000.000 (eine Milliarde) DM per anno. | |
Soviel betragen die Steuern und Zölle, die sie an die Bundeskasse nicht | |
abführen, sondern sich als ihr Verdienst in die eigenen schmutzigen Taschen | |
stecken“, entrüstete sich das Nachrichtenmagazin. | |
Georg Wolff, Jahrgang 1914, Mahnkes Koautor und von 1952 an Ressortleiter | |
„Ausland“ des Spiegel, stammte aus Wittenberge bei Potsdam und war dort als | |
19jähriger der örtlichen SA beigetreten. Nach einer Ausbildung zum | |
Schriftleiter beim Nordischen Kurier in Itzehoe, zweieinhalb Jahren Dienst | |
bei der Wehrmacht und weiterer journalistischer Arbeit bei kleineren | |
Lokalzeitungen kam er im März 1938 hauptamtlich zum Königsberger | |
SD-Abschnitt und war dort parallel zu seinem Studium als Leiter der | |
Referate III A-C mit der Observation der kulturellen und ökonomischen | |
Lebensgebiete beschäftigt. Der SD-Personalbericht bescheinigte ihm | |
Willenskraft und persönliche Härte „in ausgeprägter Form“, Wolff sei „… | |
jeder Hinsicht Nationalsozialist“. Im April 1940 wurde Wolff dem | |
SD-Einsatzkommando für Norwegen zugeteilt, er blieb in Oslo, zuständig für | |
die SD-“Meldungen aus Norwegen“, bis zum Kriegsende. Im Spiegel-Heft 5/1951 | |
findet sich eine Rezension über eine Schrift des norwegischen Psychiaters | |
Johan Scharffenberg zur Frage der deutschen Besatzung: „Um der Wahrheit | |
willen aber müssen“, so referiert der Spiegel die Psychiater-Thesen, „die | |
Norweger ,den Mythos von der engelreinen Unschuld der Alliierten und der | |
teuflischen Alleinschuld der Deutschen für Norwegens Schande und Unglück | |
aufgeben'.“ Scharffenberg komme zu dem Schluß, „daß die deutsche Okkupati… | |
vom 9. April nicht völkerrechtswidrig war... Die englische Angriffsabsicht | |
hält Scharffenberg für erwiesen.“ | |
## Wolffs völkische Soziologie Afrikas | |
Wolff fand neben seiner Spiegel- Arbeit auch Zeit, Essays für die im | |
Leske-Verlag wieder edierte Zeitschrift für Geopolitik (Schriftleiter war | |
Six' einstiger Prodekan, der völkische Soziologe Karl- Heinz Pfeffer) zu | |
verfassen, wobei das kurze Studium bei dem Königsberger Moralphilosophen | |
Arnold Gehlen deutlich nachwirkte: „Zwischen den Glaubensfronten“, so | |
sinnierte Wolff über die Lage in Afrika, „irrt der Neger hin- und her – ein | |
Heimatloser. Das Denken ist ihm zur mörderischen Waffe geworden... Afrika | |
belehrt den weißen Kapitalisten, daß moderne technische Zivilisation nur an | |
einem Ort vollstreckbar ist, wo es Glauben oder zumindest seine Tradition | |
gibt. Der Neger ist intelligent, anstellig und lernbegierig, aber er ist | |
,faul'. Meint er, genug verdient zu haben, läuft er davon, ohne sich um die | |
Maschine und das Werk zu kümmern... Um eine autonome afrikanische | |
Zivilisation zu schaffen, braucht Afrika Moral.“ | |
SS-Sturmbannführer Giselher Wirsing, Strategie-Berater des SD-Auslandschefs | |
Walter Schellenberg und in der Bundesrepublik Chefredakteur des | |
Wochenblattes Christ und Welt, kam in einer Spiegel-Rezension des Jahres | |
1952 (Heft 18) nicht gut weg, weil er sich in seinem Buch „Schritt aus dem | |
Nichts“ den grundsätzlichen Moralfragen verweigerte. Alle praktischen | |
Vorschläge, die Wirsing mache, blieben für das Magazin „irgendwie im | |
Technischen der menschlichen Beziehungen stecken. Amerikanische | |
Gesellschaftmagie wie Public Relations, Keep- smiling oder Carnegies | |
Rezepte, wie man Freunde gewinnt, bleibt ohne religiöse oder philosophische | |
Verbindlichkeit eine Technik des Lebenskampfes, um mit geringstem | |
Widerstand größtmögliche Erfolge zu erzielen. Das Abendland kann dadurch | |
nicht gerettet werden.“ Wirsing, der mit Mahnke im britischen | |
Internierungslager Bad Nenndorf eingesessen hatte (wo laut Spiegel „nachts | |
in den Zellen die Häftlinge unter den Riemenschlägen ihrer Bewacher | |
aufheulten und die angetrunkenen Bewacher sadistisch jaulten“), sei ohnehin | |
ein Opportunist gewesen, der im Dienst des amerikanischen Geheimdienstes im | |
Winter 1945/46 gemeinsam mit dem Gesandten Werner Otto von Hentig „die Idee | |
von Deutschland als einer US-Kolonie erbrochen“ habe. | |
Seinen ersten authentischen Reporter aus dem früheren | |
Reichssicherheitshauptamt hatte Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein im | |
Sommer 1949 in Bad Harzburg akquiriert. Dort arbeitete Kriminalrat und | |
SS-Hauptsturmführer a.D. Dr. Bernd Wehner als Kraftfahrer bei der | |
britischen Besatzungsbehörde. Wehner hatte unter Arthur Nebe im RSHA-Amt V, | |
Gruppe B, das Referat für Kapitalverbrechen betreut und war nach dem | |
„automatical arrest“ von den Briten dazu eingesetzt worden, gegen Bad | |
Harzburger Kriminalbeamte zu ermitteln, die im Verdacht der Beteiligung an | |
Schwarzmarktgeschäften standen. Dies erschwerte ihm später, eigenen Angaben | |
zufolge, die Wiedereinstellung in den deutschen Kripo-Dienst. Der damals | |
40jährige wurde Mitarbeiter des Spiegel, nachdem Augstein ein von Wehner | |
ausgearbeitetes Dossier über die Kriminalpolizei im Dritten Reich | |
vermittelt worden war. Augstein kabelte nach Bad Harzburg: „Nichts weiter | |
unternehmen, ich komme.“ Kriminalrat Wehner, von 1954 an wieder Chef der | |
Düsseldorfer Kripo und schreibfreudiger Redakteur des Fachblattes | |
Kriminalistik, hatte einen umfangreichen, aber für Augsteins Vorstellungen | |
zu nüchternen Report vorgelegt. Der Spiegel-Herausgeber trimmte den Text | |
auf jene wunderliche stilistische Linie, die beim frühen Spiegel irgendwo | |
zwischen Time und Landserheften situiert ist. | |
Wehner wollte mit seiner Aufsatzfolge „Das Spiel ist aus – Arthur Nebe“ | |
darstellen, daß die Kripoleute im NS-Staat anständig und sauber, also im | |
Gegensatz zur Gestapo „unpolitisch“ agiert hätten, sofern sie nicht durch | |
verstorbene Monstren wie Heydrich zu Sondereinsätzen gezwungen wurden. Kein | |
engerer Mitarbeiter Arthur Nebes sei überzeugter Nationalsozialist gewesen, | |
annoncierte Wehner; er selbst war indes schon 1931 zu NSDAP und SA | |
gestoßen. | |
Augsteins Redaktionsarbeit führte dazu, daß sich die legendären Untaten der | |
Massenmörder Kürten, Seefeld oder Ogorzow, der Räuber Walter und Max Götze | |
und der Tresorknacker Gebrüder Saß sich mit den Einsatzgruppenverbrechen | |
der Nebe, Ohlendorf oder Blobel zum surrealen großen Pandämonium mischten. | |
Wenig wurde verschwiegen, dafür kam alles im schnoddrigen Casino-Ton daher. | |
Arthur Nebe war ein „anständiger, ehrlicher Ausrottungshäuptling“, Heydri… | |
hat „nichts so sehr gewurmt wie seine Abstammung“, denn er hatte „zwar | |
einen nordischen Körper, aber einen schlitzäugig vermatschten Kopf“, | |
Heydrichs Nachfolger Kaltenbrunner war „ein Mann mit Manieren, zudem ein | |
glänzender Logiker“. | |
Wehner kam in seiner Serie, die im Spiegel natürlich anonym erschien, auch | |
selbst vor. Er war an den Untersuchungen nach dem Attentat des 20. Juli | |
1944 beteiligt und traf den lädierten Diktator in der Wolfsschanze: „Hitler | |
hakte (Wehner) mit dem linken Arm unter, ging mit ihm den Korridor entlang | |
und fragte ihn: ,Was sagen Sie zu dem Wunder, daß mir nichts passiert ist? | |
Ist es nicht ein Wunder?' – ,Doch, mein Führer', sagte Wehner daraufhin | |
innerlich ernüchtert, ,es ist ein Wunder.'“ | |
Zu den möglichen Folgen des Attentats ließ Augstein auch dieses im | |
Wehner-Text stehen: „Der einzige Revolutionär unter den Putschisten, der | |
Graf Stauffenberg, war bei allen menschlichen und geistigen Qualitäten ein | |
politischer Wirrkopf. Wäre dieser eindrucksvolle Organisator zum Zuge | |
gekommen, ständen die Russen heute nicht an der Elbe, sondern mindestens am | |
Rhein.“ | |
Beim frühen Spiegel existierte keine Direktive, die auf eine Entschuldung | |
der NS-Täter zielte; ein solches Interpretationsmuster wäre allzu simpel. | |
Es gab keine politische Strategie, wohl aber eine Strategie der | |
Politisierung des Magazins. Es dominierten persönliche Vorlieben und | |
Animositäten und viel publizistisches Abenteurertum im Stile eines | |
gehobenen Studentenblattes. Die Redaktion war jung, disparat, geprägt durch | |
die Erfahrungen in der Hitlerjugend, durch Kriegserlebnisse und | |
Besatzungswirren. Die Geschehnisse im NS-Reich wurden als Fatum | |
hingenommen; der Spiegel, obwohl als Projekt durch britische | |
Presseoffiziere inspiriert, verstand sich als deutschnationales Blatt, | |
dessen Mitarbeiter, so die Vorstellungen Augsteins und seines | |
Redaktionsmanagers Hans-Detlef Becker, zuallererst für die Souveränität und | |
Einheit einer Nachkriegsrepublik zu fechten hatten. Mahnke und Wolff wurden | |
fest angestellt, nachdem – vor dem Umzug des Spiegel von Hannover nach | |
Hamburg – die junge Kulturredakteurin Hanne Walz, der Feuilletonchef Hans | |
Joachim Toll und der Chef vom Dienst Werner Hühne wegen unterschiedlicher | |
Auffassungen über den redaktionellen Stil zum Verlassen des Blattes | |
gedrängt worden waren. Bei der Auswahl von Informanten und Redakteuren | |
dachten Augstein und Becker funktional: Wer Insider-Kenntnisse loswerden | |
wollte, wurde honoriert. Berlin- Korrespondent des Spiegel in den 50er | |
Jahren war Karl Friedrich Grosse, NSDAP-Mitglied seit 1931 und Anfang der | |
40er Jahre Leiter des Ribbentropschen „Auslandspresseclubs“ in der Berliner | |
Fasanenstraße, wo Vertreter ausländischer Medien umsorgt und ausgeforscht | |
wurden. Inlands- Chef Kurt Blauhorn stand hingegen deutlich links und hatte | |
vor seinem endgültigen Wechsel in den Westen gleichzeitig für das Neue | |
Deutschland und den Spiegel gearbeitet. | |
So rühmt sich der letzte Chefadjutant des Reichspropagandaministers, | |
Wilfred von Oven, Autor des wüsten Werkes „Mit Goebbels bis zum Ende“ noch | |
heute, 1951 als Südamerika-Korrespondent des Spiegel gewirkt zu haben. Doch | |
schon vor dem Engagement des Goebbels-Mannes brachte der Spiegel schräge | |
Analysen südamerikanischer Geschehnisse. Als der Bonner Minister Carl | |
Spiecker, ein früherer Zentrumsmann, 1950 von der Adenauer-Regierung auf | |
eine Sondierungstour nach Argentinien und Brasilien geschickt wurde, | |
kritisierte der Spiegel (Heft 43/1950) das ungeschickte Auftreten des | |
Diplomaten. Spiecker habe nämlich zuerst dem linken Argentinischen | |
Tageblatt ein Interview gegeben, weil er dessen „Schriftleiter Dr. Ernst | |
Feder vom früheren Pariser Tageblatt aus seiner Emigrantenzeit in | |
Frankreich“ gekannt habe. Das war für den Spiegel ein Fauxpas, der in der | |
deutschen Kolonie in Buenos Aires äußerst unangenehm aufgefallen sei: | |
„Feders Tageblatt aber ist in Argentinien umstritten. Die Zeitung forderte | |
während des Krieges gellend die politische Liquidierung der Deutschen und | |
vertrat noch bis vor Monaten laut die These der deutschen Kollektivschuld“. | |
Wilfred von Oven war im Spiegel für die breite Öffentlichkeit am 24. 1. | |
1951 wieder aufgetaucht, und zwar mit Bild. Der Goebbels-Referent, so | |
vermittelte das Magazin in einer Story über das Schicksal der | |
Goebbels-Tagebücher, habe „nach mehrjährigem Untergrund als Bauernknecht“ | |
seinen echten Namen wieder angenommen. Eigentlich ging es in der Goebbels- | |
Geschichte aber nicht um von Oven oder seinen Adjutantenkollegen | |
Schwägermann (“An der Ostfront hatte ihm der Iwan mit dem Gewehrkolben ein | |
Auge aus- und den Schädel eingeschlagen“), sondern um den letzten | |
Staatssekretär des Propagandaministeriums, den von Himmler sehr geschätzten | |
SS-Oberführer Dr. Werner Naumann (“Nau-Nau“). Der hatte sich nach dem | |
Exodus des Großdeutschen Reiches als Maurergeselle verdingt, bevor er als | |
Geschäftsführer der Düsseldorfer Exportfirma Cominbel, die dem | |
Ex-Propagandaoffizier Herbert Lucht und seiner Frau Lea gehörte, wieder | |
eine halbwegs standesgemäße Anstellung fand. Zu Luchts Frau Lea hatte Dr. | |
Naumann engere Beziehungen geknüpft, politisch wie privat. Der Spiegel | |
(Heft 4/1951) über Lea Lucht: „Für Konzessionen ist sie nicht zu haben, | |
denn sie ist die Tochter eines belgischen Generals. Die sweet seventeen, | |
das Backfischalter, hatte sie gerade hinter sich, als im östlichen | |
Nachbarland Hitler zur Macht kam. Sie konnte sich der magischen | |
Ausstrahlungskraft seiner Ideen ebensowenig entziehen wie ihr Landsmann | |
Leon Degrelle und verschrieb sich dem Nationalsozialismus mit zarter Haut | |
und seidenglänzenden dunklen Haaren...“ | |
Schon bald galt Hausfreund Naumann, den Hitler in seinem Testament noch zum | |
Propagandaminister unter einem Reichskanzler Goebbels bestimmt hatte, als | |
zentrale Figur bei der Rekonstitution einer NS-Führungselite in der | |
Bundesrepublik. In Hamburg und Düsseldorf bildeten sich „Stammtische“ der | |
NS-Prominenz, wo unter Naumanns Anleitung die Strategien der Machtübernahme | |
debattiert wurden. Naumanns Rezept: keine neue, wohl ohnehin chancenlose | |
NS-Partei, sondern Unterwanderung bestehender Gruppierungen im | |
parlamentarischen Raum. Am 26. August 1950 traf sich Naumann mit einem | |
führenden nordrhein-westfälischen FDP-Politiker, dem Essener Rechtsanwalt | |
Dr. Ernst Achenbach, der zu NS-Zeiten Leiter der Politischen Abteilung der | |
deutschen Botschaft in Paris und später Ressortleiter in Six' Berliner | |
Kulturressort gewesen war. Achenbach sei überzeugt, notierte Naumann in | |
sein Notizbuch, daß alerte Nationalsozialisten in der NRW- FDP die Führung | |
übernehmen könnten; mit nur 200 neuen Mitgliedern könne man den „ganzen | |
Landesvorstand erben“. | |
Im Januar 1953 schlug, gestützt auf das Besatzungsrecht, die britische | |
„Public Safety“ zu. Naumann und sechs weitere Verdächtige der sogenannten | |
„Gauleiter-Verschwörung“ wurden in Hamburg verhaftet. Der Spiegel war | |
aufgebracht – nicht wegen der NS-Geheimbündelei, sondern wegen der nach | |
Meinung des Magazins unangemessen harten Aktion der Briten, die nur auf | |
außenpolitische Geländegewinne gezielt hätten: „Der Kreis war eher eine | |
NS-Erinnerungsgemeinde und eine braune Hilfe, die Stellungen vermitteln | |
wollte. Der Kreis war weder geschlossen noch ein Kreis im geometrischen | |
Sinne, dessen Punkte – sprich Mitglieder – vom Mittelpunkt gleich weit | |
entfernt waren. Die meisten der etwa hundert Gesinnungsfreunde waren nur | |
durch gelegentliche Besuche und Korrespondenzen verbunden.“ | |
## SS-Leute unterwandern die FDP in NRW | |
In Sachen NRW-FDP waren allerdings gewichtige Stellungen vermittelt worden. | |
SS-Standartenführer Diewerge, auch er ehemals beim Propagandaministerium, | |
arbeitete bereits als Geschäftsführer des NRW-Landesverbandes, der sich | |
unter Leitung des Opladener Verlegers Friedrich Middelhauve (er kaufte dann | |
1960 den Leske- Verlag) offensiv um die Wiedereingliederung von NS-Führern | |
mühte. Zahlreiche Leitungspositionen auf Kreis-, Bezirks- und Landesebene | |
befanden sich schon in Händen der Unterwanderer. Die Bundes-FDP unter Franz | |
Blücher setzte nach dem Schlag der Briten eine Untersuchungskommission ein. | |
Augsteins Magazin – der Herausgeber stand lange Jahre den Freidemokraten | |
nahe – interpretierte in Heft 19/1953 die Kommissions-Ergebnisse: „Goebbels | |
Staatssekretär Naumann hat trotz erklärter Absicht bis zu seiner Verhaftung | |
den Landesverband Nordrhein-Westfalen der FDP noch nicht in einem | |
,Rhein-Ruhr-Gau' einer NS-FDP umwandeln können... Daß sich Franz Blücher | |
bei seinem Vorgehen gegen den rechten Parteiflügel britischen Nau- | |
Nau-Telephonabhörmaterials bediente, nagt an den Herzen vieler jüngerer und | |
aktiver Funktionäre ebenso wie die Ettäuschung über die Hilfe, die | |
(Justizminister) Thomas Dehler dem Vizekanzler hierbei leistete“. | |
Ein 50-Punkte-Papier der Briten zur Gauleiter-Verwörung kanzelte der | |
Spiegel ab: Es werde über „einflußreiche Verbindungen mit | |
Ruhrindustriellen“ schwadroniert, „also über all das, was in ausländischen | |
Augen untrennbar zu einem revanchelüsternen pangermanischen Reich gehört. | |
Einzelne Namen der Beteiligten sind falsch geschrieben.“ Und am 17. Juni | |
1953 meldete das Magazin, in der NRW-Industrie herrsche Verstimmung über | |
die Kaltstellung von Anwalt Achenbach in der FDP, der bislang die | |
Verbindung zwischen Großspendern und den Freien Demokraten hergestellt | |
habe. Einzelne Geldgeber aus der Wirtschaft seien bereits zur CDU | |
abgewandert. | |
Den verhafteten Naumann, der wenig später zu offen rechtsradikalen Parteien | |
überwechselte, bedachte der Spiegel mit Milde und Nachsicht. Sefton Delmer, | |
der Star der britischen „schwarzen Propaganda“, dem im September 1954 (Heft | |
37) eine Titelgeschichte gewidmet wurde, sei „mehr als einmal freundlich | |
empfangener Gast im Heim von Werner Naumann (,Nau-Nau') und dessen | |
Gefährtin Lea (,Slicki') Lucht gewesen“, hatte sich aber offenbar als nicht | |
besonders dankbar erwiesen. Spiegel-Leser mußten sich darüber nicht | |
wundern, wurde Sefton Delmer doch so präsentiert: „In Gummistiefeln, Größe | |
47, stapft ein menschlicher Koloß von 114 Kilo über die taufeuchten Weiden | |
von Valley Farm in Essex, um ein halbes Dutzend ausgerissener Schweine | |
zurück in den Pferch zu treiben... Bis heute blieb unerforscht, in welchem | |
Ausmaß es der zügellosen Phantasie dieses einen Mannes, gepaart mit | |
abgrundtiefem Zynismus und verspieltem Intellekt, gelungen ist, die | |
Widerstandskräfte des Dritten Reiches zu lähmen, zu zersetzen oder sogar in | |
den Dienst der Alliierten zu stellen.“ | |
Zu jener Zeit publizierte der Spiegel auch eine 14seitige Titelgeschichte | |
über Reinhard Gehlen und seine Organisation, für die Hans-Detlef Becker ein | |
besonderes Faible entwickelt hatte. Von großer Bewunderung für den | |
einstigen Wehrmachtsgeneral Gehlen durchzogen, war der Report eine | |
grandiose Weißwäsche für den kommenden Bundesnachrichtendienst. „Als | |
V-Leute und Forscher stehen zwar ehemalige SD- und Gestapo-Beamte hier und | |
da in Gehlens Diensten“, versicherte der Spiegel (Heft 39/1954), „da sie | |
bei ehemaligen Kameraden auf der Gegenseite eine gute Ansprache haben und | |
in einer Reihe von Fällen erfolgreich in den gegnerischen Dienst | |
eingedrungen sind. Eines aber wird Konrad Adenauer auf sein Wort nehmen | |
können: In Gehlens Stab gibt es nicht einen einzigen SD- oder Gestapo- | |
Mann.“ | |
Horst Mahnke, der 1985 verstarb, blieb im Stab des Spiegel bis 1959, | |
wechselte danach zu Springers illustrierter Kristall, leitete nach deren | |
Niedergang das „politische Büro“ des Springer Verlages und beendete seine | |
Karriere als Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher | |
Zeitschriftenverleger. Georg Wolff wandte sich, wie Leo Brawand in seiner | |
kürzlich publizierten Augstein-Biographie schildert, gegen den | |
adenauerfeindlichen Kurs des Spiegel-Herausgebers und plädierte für eine | |
Westorientierung des Bundesrepublik. 1961 sei Wolff, so Brawand, als | |
Chefredakteur des Spiegel im Gespräch gewesen. Augstein habe Wolff damals | |
gebeten, mit ihm „eine Suppe essen zu gehen“. Brawand weiter: „Bei Tisch | |
erklärt der Herausgeber bedauernd seine Ablehnung Wolffs damit, man müsse | |
vermutlich sonst in der Öffentlichkeit wegen seiner ,SD'-Tätigkeit während | |
des Krieges im besetzten Norwegen mit bösen Kommentaren rechnen.“ Wolff | |
übernahm das Ressort „Geisteswissenschaften“ und blieb beim Spiegel bis zum | |
Ende der 70er Jahre. Er verstarb im Sommer 1996. | |
Eine erweiterte Darstellung der frühen „Spiegel“-Geschichte erscheint | |
demnächst in Lutz Hachmeisters Monographie „Der Gegnerforscher. Zur | |
Karriere des SS-Brigadeführers Franz Alfred Six“. | |
27 Dec 1996 | |
## AUTOREN | |
Lutz Hachmeister | |
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