# taz.de -- Der Feind in meinem Bauch | |
> Was für unzählige Seminararbeiten gut ist, kann auch in einer vierten | |
> Verfilmung nicht wirklich schlecht sein. Sigourney Weaver alias Ellen | |
> Ripley ist auch in „Alien – die Wiedergeburt“ weiterhin die Mutter aller | |
> Monster, die da durch das Raumschiff schleimen ■ Von Harald Fricke | |
Winona Ryder war neun oder zehn Jahre alt, als sie zum ersten Mal „Alien“ | |
sah. Das muß 1980 gewesen sein, vielleicht hat Ryder aber auch ein bißchen | |
geflunkert – schließlich wurde der Film erst ab 18 freigegeben. Jedenfalls | |
schwärmt sie heute noch von der Vorstellung, daß eine Frau damals den | |
Helden spielen durfte: „Ich wollte Ripley sein“, hat sie in einem Interview | |
zum Start von „Alien 4“ erzählt. | |
Daraus ist nichts geworden. Während Sigourney Weaver erneut die Menschheit | |
retten darf, spielt Winona Ryder bloß einen Cyborg namens Annalee Call. Sie | |
könnte dabei auch gut Weavers Tochter abgeben, wären nicht schon fremde | |
Wesen in Ripleys Bauch. Überhaupt ist es dieses Mal sehr kompliziert: | |
Aliens werden von Menschen geboren, haben sich aber mit deren DNS | |
verbunden, und so entstehen in der zweiten Generation bereits seltsame | |
Mutationen. Das Enkelkind von Ripley sieht aus wie die Fratze auf einem | |
Heavy-Metal-T-Shirt von Metallica. Daß es Liebe will und weint, wenn es | |
tötet, ist sehr romantisch. | |
Warum auch nicht? Was sollte man von einem Film erwarten, der laut | |
Verleihtitel von „der Wiedergeburt“ handelt? Spätestens nach der dritten | |
Fassung hat man sich an das Black-Box-Spiel da draußen im All gewöhnt, an | |
den Kampf zwischen der Frau und dem Anderen, den böse Wissenschaftler auf | |
der Erde vorprogrammiert haben: Hier die wagemutige Sicherheitsoffizierin | |
Lt. Ellen Ripley, dort eine stets wechselnde Zahl von Monstren einer | |
fremden Rasse, dazwischen ein labyrinthisches Raumschiff, verwinkelte | |
Planetensiedlungen und eine ganze Menge Waffen. Zuletzt hatte David Fincher | |
für „Alien 3“ alle zusammen in die Luft gesprengt. Keine guten | |
Voraussetzungen für eine weitere Folge, möchte man meinen. Daß der Franzose | |
Pierre Jeunet die Story deshalb 200 Jahre in die Zukunft verschoben hat, wo | |
ein stilechter mad scientist Ripley aus einem Blutstropfen genetisch | |
rekonstruieren kann, wirkt auch sehr romantisch. Immerhin ist Weaver, die | |
schon zwischen den ersten beiden Teilen 57 Jahre im Tiefschlaf auf Eis lag, | |
jetzt fast 300 Jahre alt. | |
## Allegorie auf die Schwangerschaftsängste | |
Vor allem aber bleibt der Alien- Mythos weiter eine reine Frauensache. Ob | |
als Unschuld im weißen Schlüpfer, als weiblicher Terminator oder als | |
psychisch angeknackster Skinhead – immer muß Ellen Ripley gegen dieses | |
Mutter-Ding ankämpfen, das ohnehin nur äußerst zielstrebig Eier zu legen | |
scheint, wenn es nicht allerhand Schleim absondert oder Menschen tötet. Für | |
die Frauenbewegung gilt „Alien“ deshalb auch als Allegorie auf die | |
Schwangerschaftsängste in einer patriarchalen Gesellschaft, in der die Frau | |
von ihrem Mutterwerden entfremdet ist, solange Männer die Reproduktion | |
unter ihre Kontrolle bringen wollen. Schließlich warten in jeder | |
„Alien“-Episode Heerscharen männlicher Wissenschaftler, die dieses Alien | |
als überlegene Spezies quasi vergöttern und daraus einmal den Übermenschen | |
züchten möchten (diesmal ist es Brad Dourif, der verklemmte Junge aus | |
„Einer flog über das Kuckucksnest“, mit irrem Blick und grauem Lagerfeld- | |
Zopf). Auf der anderen Seite hat man es prompt mit jenem Vagina- | |
Dentata-Ungetüm zu tun, das als monstrous feminine die Schattenseite des | |
Schlamassels der Schöpfung darstellt. | |
Was für unzählige Seminararbeiten gut ist, kann auch in einer vierten | |
Verfilmung nicht wirklich schlecht sein, werden sich die Produzenten und | |
das Management der Twentieth Century Fox gedacht haben. Die Situation im | |
Wissenschaftsbetrieb hat sich ja in allen Belangen, aus denen die | |
„Alien“-Macher bislang ihre Ideen schöpften, noch zugespitzt: Sechs Jahre | |
nach Ripleys ursprünglich als Finale geplantem Kinotod gibt es Dolly, es | |
gibt Tracy, und in der Feminismusforschung haben sich die meisten | |
Beteiligten darauf geeinigt, daß das Geschlecht nicht bloß am Körper hängt, | |
sondern auch kulturell beschaffen ist. Sind wir nicht alle ein bißchen | |
alien? | |
Diese weitreichenden Unwägbarkeiten der Natur finden sich bereits im | |
Vorspann zu „Alien 4“ wieder. In einer Szene kreist die Kamera über | |
diversen Flüssigkeiten, fährt an einer knochigen Wange hinab, läßt kurz die | |
Schneidezähne des Alien aufblitzen, dann ein paar Krallen und zeigt | |
schließlich Weavers abgespanntes Gesicht. So sieht es demnächst also in | |
biogenetischen Laboren aus: Die Wesenheiten vermischen sich, der Mensch | |
bleibt undefinierbar. Ein wenig sind auch die frühen James- | |
Bond-Farbeffekte an diesem psychedelischen Onkel-Doktor-Spiel mit Innereien | |
und Fruchtwässerchen beteiligt: Beim Klonen wird geschüttelt, nicht | |
gerührt. | |
Daß dem Film in einem Aufwasch das planeten- ebenso wie das | |
geschlechterübergreifende Crossover gelungen ist, hängt wesentlich damit | |
zusammen, daß man sich in Hollywood den Regisseur aus Europa geholt hat. | |
Pierre Jeunet besitzt – ähnlich wie Luc Besson bei „Fifth Element“ – j… | |
seltsam französischen Humor, der von zuviel Comiclesen kommt: Realität kann | |
sich im Handumdrehen zum Gespensterreigen verwandeln, wenn die Story es nur | |
will. Für die Ordnung muß der Zuschauer schon selbst in seinem Hirn sorgen. | |
Plötzlich steht Winona Ryder, nachdem sie Augenblicke zuvor erschossen | |
wurde, wieder vor der Tür und lächelt verlegen. So erfährt man nach einer | |
Stunde ganz nebenbei, daß sich in dem zartfühlenden Mädchen ein Roboter | |
verbirgt, der über einen Leberfleck mit dem Internet verbunden ist. Daraus | |
ergibt sich eine hübsche Konferenzschaltung mit dem Hauptrechner „Father“, | |
der als Parodie dem „Mother“-Terminal des ersten „Alien“-Films | |
entgegensteht. Soweit die Ironie des Franzosen. | |
Schon bei „Delicatessen“ oder dem Fantasy-Märchen „Stadt der verlorenen | |
Kinder“ hatte Jeunet die Zeichenebenen verkehrt und durcheinandergewürfelt. | |
Seine Art Horror der Zukunft stellte er in einer versponnenen Traumwelt aus | |
Seemannskitsch und viktorianischer Depressivität zur Schau, in der | |
Zirkusdirektoren noch Kampfflöhe züchteten und freudsche Apparaturen | |
anstelle neuer Medien die Wirklichkeit kontrollierten. Der melancholische | |
Jahrmarktsbudenzauber paßte mehr zu Dickens als zu Disney. | |
Nun finden sich selbst in „Alien 4“, dessen Drehbuch vom „Toy Story“-Au… | |
Joss Whedon stammt, Kupferkessel oder Maschinen aus dem 19. Jahrhundert | |
wieder, und die satte Brauntönung des Sets kommt den Bildern flämischer | |
Meister ziemlich nahe. Dafür wurde das Filmmaterial allerdings in einem | |
extra Silberbad entwickelt. Das Verfahren ist kompliziert, die Wirkung | |
angenehm altmodisch. Auch daran scheint man sich in Hollywood nicht zu | |
stören – wegen ähnlicher Verdunkelungseffekte wurde der aus Paris stammende | |
Kameramann Darius Khondji schon bei „Evita“ für einen Oscar nominiert. | |
## Slow-motion gegen Action-Kino | |
Besonders auffällig ist aber Jeunets ungeheuer verspielter Umgang mit der | |
Geschichte. Während der „Terminator“-Regisseur James Cameron und David | |
Pincher sich für die zweite und dritte „Alien“-Bearbeitung weitgehend am | |
Action-Kino orientierten, fliegt einem bei Jeunet nicht gleich das ganze | |
Studio um die Ohren. Im Gegenteil: Fast lautlos geht es zu, wenn die | |
Alien-Königin sich ihre Opfer blitzschnell mit dem Schwanz angelt, so wie | |
halt auch wilde Tiere Beute jagen. Bei einer Unterwassersequenz schießt die | |
Besatzung dagegen in Zeitlupe auf die verfolgenden Monster. Das mag zwar | |
verwirrend scheinen, ist aber nur allzu logisch – und daher ganz im Stil | |
klassischer Science-fiction. Schließlich geht es dort um das Abarbeiten an | |
der Gegenwart aus Angst vor den möglichen Folgen in der Zukunft. Vielleicht | |
schimmert deshalb im vierten Teil wieder das Ursprungskonzept von vor 18 | |
Jahren durch. | |
Allein Ripley ist im Laufe der nun doch nimmer enden wollenden Geschichte | |
um einiges schlauer geworden. Meist steht sie ein bißchen spöttisch am Rand | |
und kommentiert die hoffnungslosen Bemühungen der Restcrew mit dem Humor | |
einer Shakespeare-Figur: Schließlich ist sie die Mutter aller Monster, die | |
da durchs Raumschiff schleimen. Und auch die kalte Härte, mit der sich | |
Sigourney Weaver als Rambo in Frauengestalt zuletzt durchs Geschehen | |
metzeln mußte, wird hier von einer emotionalen Spurensuche überlagert. Zu | |
einem selbstbestimmten Leben fehlt ihr nach dem Klon-Experiment die | |
Erinnerung an menschliche Erfahrungen: Das Es dominiert, darin ist sie | |
ihrem Alien-Widerpart zumindest ähnlich. Weil nun aber nach Freud das | |
Wiederfinden der Identität wie bei einem Kinderspiel auf Wiederholungen | |
beruht, wird für Ripley die Schlacht mit der eigenen Nachkommenschaft zur | |
Therapie, bei der das Grauen haarscharf am Lustprinzip entlangschrammt. Am | |
Ende entscheiden tatsächlich die Familienbande über das Leben auf der Erde. | |
Der Trieb verliert, Mutter gewinnt. Wer Märchen mag, muß „Alien“ mögen. | |
„Alien – Die Wiedergeburt“, Regie: Jean-Pierre Jeunet. Mit Sigourney | |
Weaver, Winona Ryder, Ron Perlman, Michael Wincott. USA 1997, 120 Min. | |
27 Nov 1997 | |
## AUTOREN | |
Harald Fricke | |
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