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# taz.de -- ■ Gattin eines SS-Mannes zu werden war Traum vieler Frauen im N…
Die Taten der Ehefrauen von ranghohen NS-Funktionären sind nach dem Ende
des Nationalsozialismus nie konsequent verfolgt worden. Verurteilt wurde
keine. So konnten viele ihren Gatten wertvolle Dienste leisten, die Flucht
ins Ausland oder den Weg in eine zweite Karriere absichern. Der
ideologische „Zusammenhalt der Sippengemeinschaft“ funktionierte dank ihrer
Hilfe nach der Kapitulation des Tausendjährigen Reiches reibungslos.
Um den deutschen Frauen zu helfen, ihre „ungesunde Einstellung zur
Sexualität zu überwinden“, müßte man Familienberatungsstellen einrichten,
schrieb Ruth Kempner im August 1944. In ihrer Expertise für das
US-State-Department empfahl die aus Berlin emigrierte Sozialarbeiterin, das
Umerziehungsprogramm der künftigen amerikanischen Besatzungsmacht vor allem
an die Frauen zu richten, denn sie würden bei Kriegsende die
Bevölkerungsmehrheit bilden.
Die Autorin, deren Ehemann später Ankläger bei den Nürnberger
Kriegsverbrecherprozessen war, beschrieb die deutschen Frauen als
autoritätshörig, zwanghaft ordentlich und sentimental. Die Familienberatung
sollte ihnen ermöglichen, eine „völlig neue Sexualmoral auszubilden“ und …
lernen, daß Schwangerschaft und die Entscheidung, ein Kind zu bekommen,
eine private Angelegenheit seien und nicht eine Pflicht gegenüber Führer,
Volk und Staat.
Das Bild, das Ruth Kempner von den deutschen Frauen zeichnete, mag
übertrieben und allzu verallgemeinernd sein – zutreffend war es dennoch.
Beispielsweise kursierten im Sommer 1944 in Deutschland Gerüchte, wonach
die SS „Begattungsheime“ eingerichtet habe. Wie der Name sagt, sollten dort
Kinder mit SS- Männern gezeugt und nicht nur, wie in den Einrichtungen des
Lebensborn, Schwangerschaften ausgetragen werden können. Als Folge des
Gerüchts häuften sich die Anfragen junger Frauen, die um Adressen
derartiger Heime baten.
Heinrich Himmler erhielt Briefe, in denen ihm Ehefrauen von SS-Männern
mitteilten, wie glücklich es sie mache, in diesem Staat ein Kind gebären zu
dürfen. Diese Ehefrauen, so arbeitet Gudrun Schwarz in ihrem Buch „Eine
Frau an seiner Seite“ heraus, gehörten aufgrund ihrer Heirat zur
Sippengemeinschaft der SS, in der auf „hochwertige“ und zahlreiche
Nachkommenschaft besonderer Wert gelegt wurde. SS-Männer waren dazu
angehalten, nicht aus „egoistischen Motiven“ – wie etwa Liebe – zu
heiraten, sondern sich bei der Auswahl ihrer Frauen und der Mütter ihrer
künftigen Kinder an „vernünftigen Überlegungen“ und dem „Wohl des
Gesamtvolkes“ zu orientieren.
Gegen Ende der dreißiger Jahre gehörten immerhin fast 100.000 Paare dem
„Sippenverband“ an. Heinrich Himmler ging davon aus, daß die
nationalsozialistische Weltanschauung nur dann Bestand haben könne, wenn
sie von Frauen mitgetragen würde, und er legte großen Wert darauf, daß auch
die Frauen sich mit den Zielen des SS-Sippenverbandes identifizierten. Bis
Kriegsende ließ er es sich nicht nehmen, über die Heiratsanträge aller
SS-Führer persönlich zu entscheiden. Mitunter mischte er sich auch direkt
in die ehelichen Verhältnisse seiner Untergebenen ein, vor allem dann, wenn
die Geschlechterhierarchie ins Wanken geraten war, wenn die Frauen zu
selbstbewußt wurden und die Männer es an ehelicher „Führung“ mangeln
ließen.
Himmler war der Ansicht, daß es für einen Mann unzumutbar sei, ein Leben
lang mit einer einzigen Frau auskommen zu müssen; die Einehe nötige ihn zu
Heuchelei und Seitensprüngen. So wurden außereheliche Liebesbeziehungen bei
den SS- Männern durchaus toleriert, vorausgesetzt, daß die neue Verbindung
„gutrassige“ Nachkommen erwarten ließ und die Männer sich gegenüber ihrer
Ehefrau „ritterlich“ verhielten. Doch die Steigerung der Geburtenrate war
nicht der einzige Grund, die SS-Familien und Zweitehen zu fördern. Es ging
auch darum, einen soliden häuslichen Rahmen zu garantieren, damit die
Männer ihre Tätigkeit als Ghettoaufseher, Lagerkommandanten oder Angehörige
der Einsatzgruppen gestützt auf stabile persönliche Verhältnisse ausübten.
Die Nähe von Frau und Kindern, ein geregeltes Privatleben, sollte
Ausschweifungen der Männer verhindern, die Disziplin aufrechterhalten und
den Massenmord als eine „normale Arbeit“ erscheinen lassen. „Ich glaube,
wenn ich Franz jemals vor diese Wahl gestellt hätte: Treblinka oder ich: er
würde... ja, er hätte sich letzten Endes für mich entschieden“, berichtete
die Ehefrau des Lagerkommandanten Franz Stangl. Aber wie so viele andere
mit SS- Männern verheiratete Frauen hat auch sie ihren Franz nie vor die
Wahl gestellt. Im Gegenteil.
Kommandant Stangl nannte die Liebe zu seiner Frau als stabilisierendes
Moment, um das Grauen in Treblinka auszuhalten. Ähnliches gilt für die
Ärzte Eduard Wirths und Hans Delmotte. Auch ihnen machte das Morden
zumindest in der Anfangszeit seelisch zu schaffen. Doch ihre Ehefrauen
fingen sie auf, sorgten dafür, daß sie „funktionierten“.
Für die SS-Familien gab es bei den Konzentrationslagern eigene
Wohnsiedlungen, ausgestattet mit Schule und Kindergarten, Schwimmbecken,
Laden und Kaffeehaus. Die Frauen ließen es sich dort gutgehen. Sie lebten
in Reichtum, wenn nicht gar Überfluß und schickten mitunter Lebensmittel
oder Wertgegenstände an daheimgebliebene Verwandte. KZ-Häftlinge standen
ihnen als Bedienstete zur persönlichen Verfügung.
Hedwig Höß, die Frau des Lagerkommandanten, residierte in Auschwitz in
einer prachtvoll ausgestatteten Villa, gab Empfänge und sonnte sich in
ihrem Prestige. Es gefiel ihr dort so gut, daß sie noch Monate nach der
Versetzung ihres Mannes blieb, bevor sie mit vier Eisenbahnwaggons voller
geraubter Reichtümer abreiste. Auch Irene Mengele genoß die Wochen, die sie
– besuchsweise – in Auschwitz verbrachte. In ihrem Tagebuch notierte sie,
wie sie die „idyllische Zeit“ dort verbrachte: mit Baden, Brombeerpflücken,
Marmeladekochen. Zwar fand sie die Unterkunft primitiv und die Gegend
trostlos – aber sonst hatte sie nichts zu bemängeln.
Manche Ehfrauen nutzten die Gelegenheit und die Macht ihrer Männer aus,
wollten bei Erschießungen zusehen oder auch – gewissermaßen ehrenamtlich –
selbst Hand anlegen. Die Frau des Gestapochefs im galizischen Drohobycz zum
Beispiel mißhandelte die zur Deportation zusammengetriebenen Juden mit
einer Reitpeitsche und ermordete dabei ein Kind. Später ließ sie drei
Mädchen erschießen, mit deren Arbeitsleistung in einer Gärtnerei sie nicht
zufrieden war. Elisabeth Willhaus, Ehefrau des Kommandanten im Lemberger
Janovskalager, hat nach den Aussagen Überlebender hin und wieder vom Balkon
ihrer Wohnung auf Häftlinge im Lager geschossen. Sie habe dabei gelacht und
offenkundig kein anderes Motiv gehabt, als sich und ihre ebenfalls
anwesende sechsjährige Tochter zu amüsieren.
Willhaus war eine der wenigen Frauen, gegen die in den sechziger Jahren ein
– später eingestelltes – Ermittlungsverfahren wegen Beteiligung an
NS-Verbrechen eröffnet wurde. In der Regel jedoch wurden die Taten der
Ehefrauen nicht verfolgt. Verurteilt worden ist keine. So konnten viele von
ihnen nach dem Krieg ihren Ehemännern wertvolle Dienste leisten, die Flucht
ins Ausland oder aber den Weg in eine zweite Karriere absichern. Das nannte
man seinerzeit „Zusammenhalt der Sippengemeinschaft“.s
31 Jan 1998
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