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# taz.de -- Der Unschuldsengel mit Gletscherbrille
> ■ Aus dem Leben eines surrealistischen Dandys, der jetzt zur Diva gemacht
> wird: In Essen zeigt sich die Fotografin Claude Cahun (nicht)
Unter dieser Maske, eine andere Maske. Ich werde nicht aufhören, all diese
Gesichter abzuziehen“ – so ist am Rand einer von Claude Cahun und Suzanne
Malherbe gefertigten Fotomontage zu lesen. Sie illustriert die
autobiographische Schrift „Aveux non Avenus“ (Nichtige Geständnisse) von
Claude Cahun (1894–1954). In dieser Fotomontage, die derzeit im Museum
Folkwang, Essen, zu sehen ist, entwachsen aus einem Hals eine Vielzahl von
Gesichtern, die jedoch immer ein und dieselbe Person zeigen – die
Künstlerin selbst.
Die in zwei parallelen Reihen übereinander geschichteten Gesichter kommen
dem Betrachter schon aus anderen Selbstporträts der Künstlerin bekannt vor.
Hier finden sich das ausgeschnittene Gesicht aus einem Porträt Claude
Cahuns, in dem sie ihre Augen hinter schwarzen Gläsern einer
Gletscherbrille versteckt, dahinter eine Maske mit weit aufgerissenen
Augen, die ihre Gesichtszüge zeigt, dann wiederum der Ausschnitt des
Gesichts aus Cahuns Porträt in orientalischer Verkleidung oder ihr
ausgeschnittener Mund aus einer Reihe von Aufnahmen, in denen sie als
Zirkusgewichtheber posiert. Schicht um Schicht blättern so die
verschiedenen, angenommenen Identitäten ab. Ein Dahinter scheint es aber
gar nicht zu geben.
Das Hauptwerk der französischen Künstlerin bilden Selbstdarstellungen, in
denen sie sich immer wieder in verschiedenen Inszenierungen zeigt. So nimmt
sie die Rolle des Dandys ein, verkleidet sich als Matrose oder als Buddha.
Sie zeigt sich im mädchenhaften Kostüm, mit einem blonden Zopf um ihr
Gesicht gelegt, oder plaziert sich mit Strickpullover und kahlrasiertem
Schädel vor einer Mauer, ihr Gegenüber mit entschlossenem Blick fixierend.
Ebenfalls in ihrem Buch „Aveux non Avenus“ schreibt sie: „Ich hatte meine
einsamen Stunden damit verbracht, meine Seele zu verhüllen. Die Masken
waren so vollkommen, daß es ihnen gelang, sich auf dem Marktplatz meines
Bewußtseins zu treffen, ohne daß sie sich wiedererkannten. Ihre komische
Häßlichkeit verführte mich, ich benutzte meine niedersten Instinkte; ich
adoptierte junge Monster und zog sie auf. Aber die Schminke, die ich
benutzt hatte, schien unverwischbar zu sein. Ich rieb mich so sehr, um die
Haut zu reinigen, daß sie sich ablöste. Und meine Seele hatte wie ein
lebendig gehäutetes Gesicht keine menschlichen Züge mehr.“
Diese Monstrositäten, die sie beschreibt, bannt sie in anderer Form in
ihren Fotografien auf Papier. Die Frage, die sie sich in ihren Porträts
stellt, ist: Wer ist Claude Cahun?
Sie war Schriftstellerin, Fotografin, politische Aktivistin,
Schauspielerin, Kostümbildnerin, Literaturkritikerin, Übersetzerin; sie war
homosexuell, sie war Jüdin und eine Frau. Ihre Namen wechselte sie fast so
oft wie ihre Professionen, sie veröffentlichte unter den Pseudonymen Claude
Courlis und Daniel Douglas. Ihre politischen Pamphlete gegen die
Nationalsozialisten unterzeichnete sie mit „namenloser Soldat“ und „Stumm…
im Getümmel“. Diese Maskierung bot allerdings keinen Schutz gegen die
Verfolgung durch die Besatzungsmacht; der Vollstreckung ihres Todesurteils
kam die Befreiung glücklich zuvor, doch starb sie früh an den Folgen der
Internierung.
1917, mit dreiundzwanzig Jahren, nimmt sie den Namen Claude Cahun an und
läßt ihren ursprünglichen Namen Lucy Schwob hinter sich. 1922 zieht sie mit
ihrer Stiefschwester Suzanne Malherbe, mit der sie ein Leben lang in einer
lesbischen Beziehung lebte, in ein Atelier am Montparnasse, das sie als
Salon betrieben. Sicherlich war sie eine der schillerndsten Gestalten der
Pariser Künstlerszene der 20er Jahre.
Mit ihrem kahlrasierten Schädel oder kurzgeschnittenen und buntgefärbten
Haaren tauchte sie gemeinsam mit ihrem „anderen Ich“ Susanne Malherbe auf
und vergraulte selbst André Breton aus seinem Stammcafé, dem Café Cyrano.
Selbst für die Surrealisten war sie wohl einen Hauch zu exzentrisch. Sie
gehörte zur internationalen Avantgarde und war in den 30er Jahren mit
bekannten Surrealisten wie Robert Desnos befreundet, seit 1935 gehörte sie
wie George Bataille und Breton der antifaschistische Gruppe Contre-Attaque
an.
Um so seltsamer erscheint es, daß eine solch hervorstechende Künstlerin ein
halbes Jahrhundert lang in Vergessenheit geraten konnte. Erst 1985 tauchte
sie erstmals in einer großen amerikanischen Ausstellung zur surrealistische
Fotografie auf, und da sind selbst ihre Lebensdaten noch nicht bekannt – so
kolportiert man etwa, sie sei im KZ umgekommen. Nur wenig später galt sie
schon als Protagonistin der Gender- und Identitätsdebatte, und wie der
Katalogbeitrag von Peter Weibel zeigt, wird sie auch von Theoretikern der
Postmoderne umstandslos für ihre Zwecke vereinnahmt.
Ohne Frage gilt sie jedoch als große Entdeckung der Fotogeschichte. Was die
Arbeiten Cahuns und den Besuch der Ausstellung so spannend macht, ist wohl
kaum, daß sie etwa eine Cindy Sherman vorwegnimmt. Vielmehr erstaunt es,
daß sie uns in ihrer Thematik so modern erscheint. Cahun setzt ihre eigene
Person selbstbewußt ins Zentrum ihres Werkes. Nicht der Selbstfindung gilt
ihre Obsession, sondern der Inszenierung möglicher Identitäten, der Lust an
Verkleidungen und Verfremdungen. Das Spiel mit ihrer geschlechtlichen
Identität ist ein Teil davon, der schon beim Namen Claude – der im
Französischen geschlechtsneutral ist – beginnt.
Ebenso versucht sie in ihren Bildern jegliche Eindeutigkeit zu vermeiden.
In manchen Bildern mag man kaum entscheiden, ob es sich um einen Mann oder
eine Frau handelt. Ebenso bleiben ihre Rollenspiele ambivalent und
verweigern sich jeder Psychologisierung.
Claude Cahun wendet sich gegen die Gesellschaft mit ihren Konventionen von
Geschlecht, aber auch gegen die von den Surrealisten immer wieder
reproduzierten Klischees von Weiblichkeit – der Frau als Muse, als
unschuldiger Engel, als Kindfrau, als Wahnsinnige. Sie wehrt sich
entschieden gegen die gängigen Bilder von Weiblichkeit und setzt
geschlechtliche Undefinierbarkeit an deren Stelle. Sie scheint immer ein
Stück ihrer Person vorzuzeigen und zugleich wieder einen Teil zu verhüllen
– letztlich entzieht sie sich jeder Form von Festlegung. Esther Ruelfs
Bis 8. März, Folkwang Museum, Essen. Ein Katalogbuch zur Ausstellung ist
bei Schirmer und Mosel, München 1997, 48 DM, erschienen
31 Jan 1998
## AUTOREN
Esther Ruelfs
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