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# taz.de -- Einbetonierte Erinnerungen
> ■ Der Berliner Happening-Künstler Wolf Vostell ist tot. Steuerzahler
> ärgerten sich über seine Cadillac-Skulpturen am Ku'damm, linken Kritikern
> war sein Politaktionismus zu selbstverliebt
1968 ging ein Pressefoto aus Vietnam durch die Medien, und die Wirkung war
erschütternd. Edward T. Adams von „associated press“ hatte die Erschießung
eines aufständischen Vietkong fotografiert. Jetzt nahm sich die Kunst der
Sache an: Im gleichen Jahr benutzte Wolf Vostell die Aufnahme der Exekution
für seine Collage „Miss America“, eine Mischung aus Pop-art und Agitprop.
Im Vordergrund der Krieg, hinten ein partygelb und lippenstiftrot
umrandetes Werbemodel. Laut Vostell sollte das Bild „Störfeuer, Mahnung,
Protest“ sein, der Kölner Schokoladenmulti Peter Ludwig hat es 1976
trotzdem für seine Sammlung gekauft.
Es gab eine Reihe solcher Widersprüche zwischen Kunst, Politik und Leben,
die Wolf Vostell aushalten mußte. Schon das Äußere des 1932 in Leverkusen
geborenen Happening-Künstler war exzentrisch: Manchen imponierten seine
mächtigen Ringe, andere wunderten sich über die silbernen Schläfenlocken.
Vor allem aber wurde Vostell für seinen Spagat zwischen Protest und
Establishment angefeindet. Als er in den siebziger Jahren kistenweise
Kopfsalat mit der Bahn durch die Bundesrepublik reisen ließen, empörten
sich linke Kritiker darüber, wie hier „Fäulnis und Korruption“ zum
Spektakel reduziert wurden.
Als Vostell 1987 für Berlins Skulpturenboulevard zwei Cadillacs als
„Zivilisations-Reliquien“ auf dem Rathenauplatz in Beton eingoß, schrieben
aufgebrachte Leser der BZ, die Objekte wären „eine Verhöhnung aller
Steuerzahler und Demokraten“. Und 1988 ärgerte sich Charlie Heuser in der
taz, weil der „senatseigene Künstler“ am Ku'damm eine Victoire-Figur mit
einem Betonflügel verzierte, wo man doch das konsumterroristische „Umfeld“
hätte anprangern müssen.
Vermutlich hat sich Vostell, der zwischen Berlin und dem spanischen
Malpartida de Càceres pendelte (wo er in seinem eigenen Museum lebte), für
Steuerzahler, Demokraten und Shopping-Touristen am Wegesrand gar nicht
interessiert. Wohl aber für künstlerische Autonomie. Manchmal kam er damit
Forderungen des Dadaismus nahe, wenn er seine Skulpturen als „Theater auf
der Straße“ bezeichnete. Über Happening und Fluxus schrieb er Anfang der
sechziger Jahre: „Vorgänge, die im Leben grauenhaft und furchtbar sind,
haben oft eine faszinierende ästhetische Ausstrahlung, obwohl der Inhalt
oder die Folgen des Ereignisses abzulehnen sind. Die Happenings machen
diesen Alptraum bewußt und schärfen das Bewußtsein für diese
Unerklärbarkeiten und den Zufall.“ Das stimmt in Zeiten von Schlingensiefs
Gesamtzirkus fast sentimental und sah doch damals mehr nach Exorzismus aus.
Bereits 1958 richtete Wolf Vostell sein „Schwarzes Zimmer“ als Environment
zur Judenvernichtung ein: In einem völlig abgedunkelten Raum wurden
Besucher mit einem KZ-Scheinwerfer aus Auschwitz geblendet, und auf dem
Tafelbild „Deutscher Ausblick“ sah man zwischen Stacheldraht und
Knochenresten Wehrmachtssoldaten marschieren. Als Vostell 1967 von dem
Kurator René Block eingeladen wurden, um eine Arbeit über die
Kriegsverbrechen im tschechischen Lidice zu realisieren, schickte er eine
Materialassemblage aus verrosteten Fahrrad- und Fernseherresten, einer
Einkaufstasche und einem übermalten Zeitungsausschnitt mit dem Porträt
Heydrichs.
Tatsächlich war Vostell der erste Künstler, bei dem sich Erinnerung als
Medienarbeit darstellte. Wenn er 1970 TV-Geräte mit Beton übergoß, wollte
er damit den Bilderfluß erstarren lassen. Aus einem ähnlichen Grund
entstanden seine Auto-Betonskulpturen, in denen der Verkehr zur Ruhe
gebracht werden sollte. Gleichzeitig hielt er diese Aktionen in Videofilmen
fest, weil ihn das neue Medium faszinierte. Vielleicht war es die
Rastlosigkeit im Umgang mit all diesen Gegensätzen, denen Vostell am
vergangenen Freitag mit einem Herzversagen erlegen ist. Harald Fricke
6 Apr 1998
## AUTOREN
Harald Fricke
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