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# taz.de -- Ins Umland? Bitte anmelden
> Nach den Übergriffen auf Berliner Schüler wirbt die Polizeipräsidentin
> von Eberswalde um Vertrauen. Gruppen sollen sich durch besondere
> Polizeiobhut im Umland sicherer fühlen  ■ Von Plutonia Plarre
Eigentlich könnte sie sich entspannt zurücklehnen und auf das
brandenburgische Innenministerium verweisen. Denn schließlich betreffen die
Übergriffe auf Berliner Schulklassen das gesamte Land. Aber das ist nicht
die Art von Uta Leichsenring, Polizeipräsidentin von Eberswalde. Und so
wagt sich die einzige Frau unter den fünf Polizeipräsidenten in Brandenburg
mit einer ungewöhnlichen Bitte an die Öffentlichkeit: Berliner Gruppen, die
einen mehrtägigen Ausflug in die Mark planen, sollten das Polizeipräsidium
vor Reisebeginn telefonisch benachrichtigen.
„Wenn wir wissen, daß Gruppen da sind, geht dies in unsere Lagebesprechung
ein, und wir schauen in der Gegend besonders genau hin“, sagt die für den
Nordosten Brandenburgs zuständige Polizeichefin. Die von den Bündnisgrünen
nominierte Beamtin ist sich darüber im klaren, daß ihr Vorschlag bei den
Berlinern nicht unbedingt auf Gegenliebe stoßen wird. Erholung im Grünen
unter lauter Grünen? „Wir wollen die Campingplätze und Ferienanlagen nicht
umstellen“, erläutert Leichsenring ihr Konzept. „Es geht darum, das
subjektive Sicherheitsgefühl zu erhöhen. Manche Betreuer sind schon
beruhigt, wenn sie wissen, daß der Revierpolizist mehrmals am Tag dezent
vorbeischaut.“ Auch innerhalb der Anlagen seien die Sicherungsvorkehrungen
erhöht worden. „Naürlich gibt es keinen hunderprozentigen Schutz, aber wir
versuchen, unser Bestes zu tun.“
Nach den negativen Schlagzeilen der vergangenen Wochen versteht die
Polizeipräsidentin ihren Vorschlag vor allem als vertrauensbildende
Maßnahme. Wie berichtet, sind seit Anfang des Jahres 15 Übergriffe auf
Berliner Schulklassen im Umland registriert worden. Die Mehrzahl der Lehrer
läßt sich dadurch zwar nicht von weiteren Ausflügen abhalten. Jedes Jahr
finden zwischen 6.000 und 8.000 Klassenfahrten nach Brandenburg statt.
Aber jeder einzelne Übergriff hinterläßt nicht nur bei den Opfern Spuren.
„Die öffentliche Wirkung ist verheerend“, klagt Uta Leichsenring. Bei einem
Gespräch mit Kreuzberger Schülern hat sie unlängst erfahren, „wie stark
sich schon die Meinung verbreitet hat, daß man in Brandenburg nicht mehr
sicher ist“. „Darum“, sagt sie, „ist es wichtig, Zeichen zu setzen – …
das Zusammenleben von Berlin und Brandenburg nicht gefährdet wird.“
Zum Zuständigkeitsbereich der 48jährigen, parteilosen Vorgesetzten von
1.000 Polizisten gehören die Städte Prenzlau, Templin, Schwedt, Bernau,
Eberswalde, und Angermünde. Im vergangenen Jahr wurden in diesem Bereich
drei Berliner attackiert, und eine Schulklasse aus Kreuzberg wurde bedroht.
In diesem Jahr wurde bislang „nur“ ein Vorfall registriert, der aber groß
durch die Presse ging: Himmelfahrt überfielen Jugendliche aus Bernau
Berliner Abiturienten beim Grillen am Kiessee bei Ruhlsdorf. Daß die
Polizei die Täter schnell ermittelt hat, hält Uta Leichsenring für eine
„Selbstverständlichkeit“. Drei von ihnen sitzen wegen des Vorwurfs der
gefährlichen Körperverletzung in U-Haft. „Richtig“, lautet ihr Kommentar.
Denn auch das versteht Uta Leichsenring unter „Zeichen setzen“. „Die
Jugendlichen können nicht davon ausgehen, daß sie ungestraft Menschen
verletzen dürfen.“ Sie seien alt genug, um die Folgen ihres Handelns
rational zu erfassen. „Schnelle Sanktionen sind sehr wichtig.“
Was Straftaten mit rechten Hintergrund angeht, sind Brandenburg und
Mecklenburg-Vorpommern gemessen an der Zahl der Einwohner führend in der
Bundesrepublik. Auch in diesem Jahr hat die rechte Gewalt nicht
nachgelassen, lediglich die Propgandadelikte haben abgenommen. Daß die
Sympathie für braune Ideologie wächst, erfüllt die Polizeipräsidentin mit
großer Sorge. Mehr als die Hälfte der Brandenburger hat nach einer
Forsa-Umfrage Vorurteile gegenüber Ausländern. Sieben Prozent würden
derzeit bei einer Landtagswahl Rechtsextreme wählen. Bei den
Bundestagswahlen im September wollen sowohl „Republikaner“ als auch DVU und
NPD antreten.
„Die Parteien wollen hoffähig werden, um in die Parlamente zu kommen“,
stellt Leichsenring fest. Es gebe deutliche Signale dafür, daß die Jungen
Nationalen die Jugendlichen „einzufangen“ versuchen. Die Treffen würden
zunehmend von öffentlichen Plätzen ins Konspirative verlagert. „Die Gefahr,
daß der Rechtsextremismus größere Kreise zieht, wird von der breiten
Bevölkerung zuwenig zur Kenntnis genommen.“ Daß so viele Jugendliche dafür
empfänglich sind, wundert Leichsenring nicht. „Darin spiegelt sich das
Denken der Erwachsenenwelt wieder.“ Platte Parolen wie „Die Ausländer
nehmen den Deutschen die Arbeit weg“ kämen besonders gut an. „Dabei gibt es
hier doch kaum Ausländer.“ Der richtige Ansatz dagegen sei „eine Ächtung
von unten“, ist Leichsenring überzeugt. „Das ist aber ein sehr mühseliger
Prozeß.“
In Bernau liegt das berüchtigte Polizeirevier, in dem Beamte vor einigen
Jahren vietnamesische Staatsbürger mißhandelt haben. Ihr hartes
Durchgreifen nach Bekanntwerden der Vorwürfe hat Leichsenring große
Anerkennung von außen, aber auch Kritik von innen eingebracht. Inzwischen
sind drei Polizisten verurteilt worden. In Eberswalde starb 1990 der
Angolaner Amadeu Antonio durch die Tritte von Springerstiefeln. In der
50.000 Einwohner zählenden Kleinstadt, in der sich das Polizeipräsidium von
Leichsenring befindet, dominieren Kurzgeschorene das Stadtbild. Die
offizielle Arbeitslosenquote liegt bei 22 Prozent. Inoffiziell soll
mindestens ein Viertel ohne feste Beschäftigung sein.
Je weiter man nach Norden kommt, desto größer wird die Arbeitslosigkeit.
„Es gibt Dörfer, wo nur noch ganz wenige Arbeit haben“, weiß Leichsenring.
Bei den Besuchen der kleinen Kommunen stellt sie zu ihrem Erschrecken immer
wieder fest, daß die soziale Kontrolle kaum noch funktioniert. „Zwischen
Jung und Alt, Eltern und Kindern, findet so gut wie keine Kommunikation
mehr statt.“ Auch Bürgermeister, Pfarrer und Lehrer seien keine Autoritäten
mehr. „Dabei kennen die sich doch alle mit Namen und könnten am ehesten auf
die Jugendlichen einwirken.“
Warum die Aggressionen mit Vorliebe an Berliner Jugendlichen ausgelassen
werden, kann Leichsenring nur vermuten. „Fremde sind bei manchen alle, die
nicht von hier sind.“ An die teuren Autos der Berliner Tagestouristen, die
jedes Wochenende zu Tausenden in Brandenburg unterwegs sind, wagten sich
die jungen Männer nicht heran. Statt dessen mache man sich an wehrlose
Schülergruppen heran. Neidgefühle auf die vermeintlich reichen Hauptstädter
und die Gruppendynamik tun ein übriges. „Meistens geht es damit los, daß
sie sich für die Berliner Mädchen interessieren, und dann schaukelt sich
das Ganze hoch“, hat die Polizeipräsidentin festgestellt. Bagatellisieren
will Leichsenring die Überfälle damit aber nicht. Schließlich handelt es
sich oftmals um keine Rauferei mit Fäusten, sondern um Überfälle mit
Baseballschlägern. „Uns versuchen sie zu erzählen, daß sie den
Baseballschläger alle nur zu ihrer eigenen Sicherheit dabei haben“, sagt
Leichsenring. „Das stimmt natürlich nicht. Es geht um die Demonstration von
Stärke und ganz gezielt darum, Angst zu machen.“
Der Gedanke, daß die Berliner aus Angst wegbleiben könnten, ist für Uta
Leichsenring eine Horrorvorstellung. Nicht Abgrenzen, sondern
Aufeinanderzugehen ist das Credo der gebürtigen Brandenburgerin, die sich
als große Berlin- Liebhaberin outet. „Die Ressentiments und Vorbehalte
können nur dadurch abgebaut werden, indem man zusammenkommt.“ Es gebe
natürlich Brandenburger, die an den im Volksmund als „großschnäuzige
Buletten“ und „Tonnenscheißer“ verschrienen Berlinern allerhand auszuset…
hätten. Tonnenscheißer ist eine Anspielung auf die Berge von Unrat, die die
Berliner im Grünen hinterlassen. Das Problem lasse sich aber leicht durch
mehr Toiletten und Müllbehälter lösen, ist Uta Leichsenring überzeugt.
„Denn Brandenburg braucht die Millionenstadt, und das brodelnde Berlin
braucht das Umland.“
26 Jun 1998
## AUTOREN
Plutonia Plarre
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