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# taz.de -- Die erste Linie der Pferdebahn regt die Gegner noch heute auf
> ■ Wie aus dem ersten Massenverkehrsmittel eine „Autofahrer-Schikane“
> wurde und wie es zur Rennaissance der Straßenbahn in Bremen gekommen ist
Der Streit um die Straßenbahnlinie 4 hat die verkehrspolitische Debatte in
Bremen seit Jahren geprägt und ist noch immer nicht ausgestanden.
Historisch ist die Aufregung über Sinn oder Unsinn der Linie 4 nicht zu
erklären. Denn die verkehrspolitische Bedeutung der Verbindung Richtung
Horn und Lilienthal in der Geschichte der Bremer Straßenbahn ist einmalig.
Vor hundert Jahren wurde auf ebendieser Strecke zwischen Hauptbahnhof und
Horn die erste Pferdebahnlinie der Hansestadt eröffnet und damit das
Zeitalter der Massenverkehrsmittel in Bremen eingeläutet.
Umgewandelt in die Straßenbahnlinie 4 fiel sie in den siebziger Jahren der
Modernisierungspolitik der BSAG zum Opfer und symbolisierte den Niedergang
der traditionellen Straßenbahn. Die Eröffnung der neuen Linie 4 am 24. Mai
1998 dokumentiert dagegen die Umkehr des damaligen Trends: die Renaissance
der Straßenbahn als städtisches Verkehrsmittel.
Noch in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatte Bremen die
räumlich kompakte Form einer mittelalterlichen Stadt. Der Bedarf für ein
Nahverkehrssystem war nur schwach ausgeprägt, als private Investoren das
Risiko nicht scheuten und am 31.5.1876 die erste Pferdebahnlinie auf der
Strecke Herdentor – Hauptbahnhof – Horn eröffneten.
Die Ausflugslinie weckte das Bedürfnis der Bremer nach Mobilität, so daß
schon 1890 die wichtigsten Siedlungsgebiete der Hansestadt an den
öffentlichen Nahverkehr angeschlossen waren. Auch begann sich das neue
Verkehrsmittel auf die Siedlungsform der Stadt auszuwirken: Mit der
Aufnahme des regelmäßigen Verkehrs zwischen Horn und der Bremer Innenstadt
wurden die Bereiche längs der Pferdebahnlinie zu beliebten Wohnstandorten
von Bremern, die es sich leisten konnten, jeden Tag mit der Pferdebahn zu
ihren Arbeitsplätzen in der Altstadt zu pendeln.
Im Jahr 1890 wurde erstmals in Bremen die elektrische Straßenbahn im
öffentlichen Versuch eingesetzt. Der Betrieb war so erfolgreich, daß die
Bremer Pferdebahnlinien nach und nach elektrifiziert und durch
Straßenbahnen ersetzt wurden. Zu dieser Zeit erkannte der Senat die
Wichtigkeit von Massenverkehrsmitteln und sicherte sich mit der
Konzessionsvergabe seinen Einfluß auf die Unternehmenspolitik der neu
gegründeten Bremer Straßenbahn AG. Die Stadt Bremen wurde u.a. an den
Fahrgeldeinnahmen beteiligt und konnte zudem den Bau und Betrieb neuer
Linien vorgeben.
Die wachsenden Einwohnerzahlen in den 20er Jahren des neuen Jahrhunderts
ließen das Straßenbahnnetz schnell wachsen, wobei sich die räumliche
Ausdehnung der Stadt vor allem an den vorhandenen Straßenbahnlinien
orientierte. Auch nach dem I. Weltkrieg war die Straßenbahn das wichtigste
Massenverkehrsmittel der Stadt und ihr Netz wurde kontinuierlich ausgebaut.
Bis 1939 war das dichteste Straßenbahnliniennetz entstanden, das Bremen je
hatte. Es umfaßte 13 Linien, welche die Stadtteile Burg, Findorff,
Gröpelingen, Häfen, Hemelingen, Horn, Mitte, Neustadt, Obervieland,
Oslebshausen, Östliche Vorstadt, Schwachhausen, Walle und Woltmershausen
miteinander verbanden.
## Niedergang der Straßenbahn in Bremen
Mit Beginn der 50er Jahre war die Blütezeit der Straßenbahn in Bremen
vorüber. Das Netz der Vorkriegszeit wurde nie komplett wiederaufgebaut, das
Wagenmaterial stammte aus Zeiten der Jahrhundertwende und alles verströmte
den Geruch vergangener Tage. Omnibusse und Personenkraftwagen dagegen waren
neuesten Datums und symbolisierten den Fortschritt und Aufschwung der
deutschen Wirtschaft nach dem Krieg.
Auf den Straßen kam es zu einer Konkurrenz um den knappen Raum zwischen der
Straßenbahn und dem wachsenden Individualverkehr. Das Schlagwort
„Verkehrsprobleme“ machte erstmals die Runde und die Straßenbahn wurde als
Hindernis des wachsenden Autoverkehrs definiert. Neue Wohnsiedlungen wie
die Neue Vahr, Blockdiek oder Huchting waren an den Stadträndern
entstanden. Die verkehrliche Anbindung der neuen Siedlungen war in erster
Linie auf den Pkw-Verkehr ausgerichtet. Für die Erschließung durch den
öffentlichen Verkehr schien eine Verlängerung der vorhandenen
Straßenbahnlinien die beste Lösung, doch entsprach dies nicht dem damaligen
Zeitgeist.
Ein Gutachten sollte hier helfen. Es wurde 1958 vorgelegt und empfahl die
Vermehrung der oberirdischen Verkehrsfläche durch den Bau einer U-Bahn.
Noch verhinderten finanzielle Engpässe den U-Bahn-Bau, doch der neue Trend
hatte sich zu Beginn der 60er Jahre auch bei der BSAG durchgesetzt. Es gab
kein bedingungsloses Eintreten für die Straßenbahn mehr. Am 31.5.1965 kam
es auf Veranlassung der BSAG zur Einstellung der Linie 7 zwischen Findorff
und Woltmershausen. Auch andere Straßenbahnlinien wurden in Omnibuslinien
umgewandelt und die dringend nötige Modernisierung der Straßenbahn fand nur
auf wenigen Hauptstrecken statt.
Mitte der 60er Jahre verpflichtete sich die Stadt Bremen, den Ausbau von
Verkehrsanlagen, die auf ihren Wunsch hin erfolgten, zu finanzieren. Somit
konnte die erste größere Netzerweiterung der Straßenbahn nach dem Krieg
beginnen. Am 18.6.1967 wurde die Neubaustrecke der Linie 1 zwischen der
Schwachhauser Heerstraße und Blockdiek eingeweiht. Die Strecke war als
moderne Stadtbahnstrecke konzipiert und verlief ausschließlich auf eigenem
Gleiskörper, im zweiten Bauabschnitt bis zur Endhaltestelle Züricher Straße
sogar kreuzungsfrei. Von der Schwachhauser Heerstraße durch die Innenstadt
nach Huckelriede verkehrte die Linie 1 auf der vorhandenen Strecke der
Linie 4. Moderne Stadtbahnstrecke und alte Straßenbahnstrecke waren somit
gekoppelt worden. Mit der Eröffnung der Linie 1 wurde gleichzeitig das Ende
der Linie 4 eingeleitet. Zuerst bediente sie nur noch den Streckenast
Domshof – Horn, am 1. Mai 1972 wurde sie dann endgültig durch die 30er
Buslinien ersetzt. Die traditionelle Straßenbahn wurde peu à peu vom
Kfz-Verkehr von der Straße gedrängt und sollte zukünftig die Innenstadt in
Tunnellage durchqueren und auf kreuzungsfreien Außenstrecken verlaufen.
Anfang der 70er Jahre war die U-Bahn-Diskussion noch nicht ausgestanden.
Der Senat hatte inzwischen auch das Betreiberrisiko der BSAG übernommen und
wären da nicht die bekannten Finanzprobleme der Stadt gewesen, müßten wir
heute mit der Straßenbahn durch dunkle Tunnel fahren. So kam es nur zu zwei
Netzerweiterungen: die Verlängerung der Linie 1 von Huckelriede bis Arsten
(1973) und der Linie 6 von Grolland bis Huchting (1976). Die neuen
Streckenabschnitte waren kreuzungsfrei sowie für Straßenbahnwagen als auch
U-Bahnwagen ausgelegt.
Die Eröffnung der Linie 6 zwischen Huchting und Grolland war die vorerst
letzte Eröffnung einer Neubaustrecke in Bremen – bis zum vorletzten
Mai-Wochenende 1998. Das Straßenbahnnetz war bis dahin lange auf sechs
Linien festgeschrieben. Während der Ausbau der Straßeninfrastruktur ständig
vorangetrieben wurde, beschränkte sich der öffentliche Nahverkehr lange auf
reine Daseinsfürsorge.
Progressive Ideen in der Verkehrspolitik konnten sich über eine Dekade lang
nicht durchsetzen. Erst im Oktober 1989 ist es schließlich soweit: Der
Bremer Senat und die BSAG verabschieden ein neues ÖPNV-Konzept, welches
erstmals seit Jahren wieder den Neubau von Straßenbahnlinien vorsieht und
zudem Verkehrsfläche zugunsten des öffentlichen Verkehrs umwidmen soll.
Steigendes Umweltbewußtsein in der Gesellschaft und die Erkenntnis, daß
Straßenneubauten keine Staus beseitigen, verhelfen der Straßenbahn zu ihrem
Comeback.
Um die Straßenbahngleise von Behinderungen durch den Automobilverkehr
freizuhalten, werden 1990 die Gleise der Linien 2 und 10 nahezu komplett
abschraffiert, auf anderen Linien wird an der Gleisschraffur gearbeitet.
Die Neubelebung der Straßenbahn verläuft nicht ohne Geburtswehen. Die
Handelskammer Bremen, die CDU sowie Geschäftsleute der betroffenen
Straßenzüge laufen Sturm gegen die Schraffuren und entfachen eine
Pressekampagne gegen die „Autofahrer-Schikane“. Ungeachtet dessen ist die
Erfolgsbilanz auf Seiten der neuen Verkehrsführung: Die Straßenbahnen
fahren zuverlässiger und schneller, der erwartete Dauerstau der
Automobilisten – auf den jetzt einspurigen Straßen – bleibt aus.
Angetrieben vom Erfolg der Schraffuren arbeitet die BSAG weiterhin an einer
Modernisierung der Straßenbahn: Eine neue Generation von
Niederflurstraßenbahnen soll langsam die alten Bahnen ablösen, die „Grüne
Welle“ für den öffentlichen Verkehr setzt sich an vielen Kreuzungen durch
und die Planungen zum Bau neuer Straßenbahnlinien laufen auf Hochtouren.
Noch verhindern Verzögerungen in der Politik den Baubeginn der geplanten
Linie 4 und die Verlängerung der Linie 6.
Im Herbst 1995 wird Bernd Schulte (CDU) neuer Verkehrssenator in Bremen,
ein erklärter Gegner der Linie 4. Während einige Ausbaupläne des
Straßenbahnnetzes wieder in den Schubladen der BSAG verschwinden müssen,
ist die langjährige Planung für die neue Linie 4 aber nicht mehr
aufzuhalten. Der Bau beginnt im September 1996.
Neben der Neueröffnung der Linie 4 werden noch Universität und Flughafen
direkt an das Straßenbahnnetz angeschlossen. Die Anbindung der beiden
Bremer Wachstumspole an das Straßenbahnnetz verdeutlicht das neue
Selbstverständnis: Die Straßenbahn ist wieder das zukunftsgerichtete
Verkehrsmittel der Stadt. Technologiepark, Stadtmitte und Airport-Stadt
werden im 5-Minuten-Takt miteinander verbunden und kein Stadt- oder
Wirtschaftsplaner könnte sich eine attraktivere Infrastruktur vorstellen.
Die Buten-Bremer aus Lilienthal oder Brinkum würden eine direkte
Straßenbahnanbindung zum Bremer Marktplatz auch zu schätzen wissen, doch
noch sträubt sich die Autofahrer-Lobby hartnäckig. Und wo der Kfz-Verkehr
eine Fahrspur zu verlieren hat, stehen der Wiedergeburt der Straßenbahn
noch zahlreiche Widerstände entgegen.
Jens Rühe
Der Autor studiert Geografie an der Universität Bremen
11 Jul 1998
## AUTOREN
Jens Rühe
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