# taz.de -- Morgen schon was vor? | |
> Wenn ein Meteorit das Ende der Welt bedeutet: „Armageddon“, der | |
> Katastrophenfilm dieses Sommers, ist eine Art „Deeper Impact“, der für | |
> den Thrill der Zerstörung nicht weniger als biblische Ausmaße bemüht ■ | |
> Von Harald Fricke | |
Behutsam schraubt ein Astronaut an seinem Spaceshuttle herum. Im Stil eines | |
Nasa-Dokumentarfilms sieht man ihm dabei zu, wie er freundlich schwebend | |
die täglichen Dinge der Raumfahrt verrichtet. Unten auf der Erde sprechen | |
derweil die Spezialisten per Funk- und Fernsehkontakt mit der Crew im All | |
das Programm ab, nach dem die Mission geregelt wird. Anders als bei den | |
Desastern, die im vergangenen Jahr von der Mir-Station aus in die Welt | |
gesendet wurden, geht es in der US- amerikanischen Forschung ziemlich | |
professionell zu. Zwanzig Sekunden später ist die „Atlantis“ trotzdem in | |
tausend Splitter zerborsten, und man ahnt, daß hier stärkere Mächte im | |
Spiel sind als eine bloß von Menschenhand falsch bediente Technik. | |
Daß die Bedrohung überirdisch ist, kann man schon dem Titel entnehmen: | |
„Armageddon“, der Katastrophenfilm für diesen Sommer, ist eine Art „Deep… | |
Impact“, der sich beim Thrill der Zerstörung gleich um biblische Ausmaße | |
bemüht. Ein Asteroid, so groß wie Texas, rast mit 40.000 Stundenkilometern | |
auf die Erde zu. Seinen Einschlag wird die Menschheit nicht überleben, wie | |
vor ihr vermutlich schon die Dinosaurier mit einem Big Bang ausgestorben | |
sind. Der ganze Spaß soll, das ergibt sich aus den Hochrechnungen einer | |
flugs einberaumten Expertenrunde, in achtzehn Tagen stattfinden. Zum | |
Aufwärmen für den finalen Countdown hat Regisseur Michael Bay („Bad Boys“) | |
bereits kleinere Meteoritenhagel auf New York niederprasseln lassen. Mit | |
Erfolg: In hübschen Panoramafahrten sieht man, wie sich Feuerbälle | |
blitzschnell durch verglaste Hochhausfronten brennen, Taxis fliegen über | |
den Broadway, und die Spitze des Chrysler-Buildings stürzt elegant in die | |
Tiefe. Überhaupt ist ein großes Kreischen und Gerenne wie in den | |
klassischen Katastrophenfilmen der siebziger Jahre. | |
Zugleich will „Armageddon“ jedoch mehr, als sein Publikum bloß mit einer | |
unentwegten Materialschlacht mürbe zu machen. „Ich liebe Geschichten, die | |
größer sind als das Leben“, hat Produzent Jerry Bruckenheimer über seinen | |
immerhin 120 Millionen Dollar teuren Film geschwärmt, der bei einem | |
Gesamtbudget von angeblich 250 Millionen sogar „Titanic“ weit überflügelt | |
haben muß. Tatsächlich ist „Armageddon“ nicht bloß das Special-effects-, | |
Stunt-, Animations- und Software-Spektakel, an das man sich in Post- | |
„Star-Wars“-Zeiten mit Filmen wie „Independence Day“, „Starship Troop… | |
oder „Godzilla“ reichlich gewöhnt hat. Die Rettung der Menschheit durch ein | |
grobschlächtiges Team von der Bohrinsel soll erneut den Mythos der | |
wiedergeborenen amerikanischen Nation nacherzählen. Der global killer ist | |
dabei nur eine willkommene Projektion für uramerikanische Bedrohungsängste. | |
Möglicherweise hat sich Bruckenheimer, der bislang für die Finanzierung | |
markiger Action- Abenteuer à la „Top Gun“, „The Rock“ oder „Conair“ | |
verantwortlich war, dabei verschätzt: „Armageddon“ ist in Zeiten | |
weltumspannender Kommunikation ein bißchen zu viel Wertekanon und | |
Patriotismus. Statt bunter Fahnen – schließlich geht es um den Untergang | |
der Welt – wehen immer nur „Stars and Stripes“, statt einer international… | |
Crew wird ein Haufen rauhbeiniger Cowboys ins All geschossen, die sich als | |
Gegenleistung für ihren Drecksjob Eight- Track-Kassetten und Steuerfreiheit | |
zurückwünschen. Und weil der US-Präsident sämtliche Vollmachten hat, muß er | |
gar nicht lange mit anderen Staatsmännern diskutieren, wenn er den Befehl | |
zum nuklearen Erstschlag gibt. Der Rest der Welt, die ohnehin so verblödet | |
freundlich aussieht wie in einer Multikulti-Microsoft-Reklame, behilft sich | |
in Zeiten der Katastrophe mit Gebeten. Da die Handlung vehement auf | |
militärische Tugenden setzt, aber jede Verständigung etwa mit | |
Wissenschaftlern ausblendet, kippt der Thriller schon beim ersten | |
Pilotentraining in lehrbuchhafte Staatsbürgerkunde um – da helfen auch die | |
Science-fiction-Dimensionen wenig. | |
Obwohl in Sachen Astrophysik bei Experten der Nasa nachrecherchiert wurde, | |
wirkt selbst „Deep Impact“ im Vergleich zu „Armageddon“ noch wie ein | |
seriöser Forschungsbeitrag. Für die Echtheit seiner Apokalypse hat sich das | |
Filmteam allerdings enorme Effekte einfallen lassen. Während der Meteorit | |
immer wieder kleinere Gesteinsbomben abschießt, die zunächst Shanghai | |
vernichten und dann auch Paris in einen kilometerweiten Krater verwandeln, | |
wird im Kennedy-Space-Center ein unglaublicher Plan ausgearbeitet. Man will | |
den galaktischen Feind von innen erledigen. Deshalb sollen zwei Shuttles | |
sich am Mond vorbei hinter dem Meteoriten anschleichen, um mit | |
Parallelgeschwindigkeit – 40.000 km/h!– auf dessen Oberfläche | |
niederzustürzen. Einmal gelandet will man ein etwa 250 Meter tiefes Loch | |
bohren, in das zuletzt eine Atombombe versenkt wird, um den gewaltigen | |
Körper per Explosion in zwei Teile zu spalten, die wiederum mit einigem | |
Abstand an der Erde vorbeisausen könnten. | |
Für soviel Wahnsinn im Angesicht des Ernstfalls hat die bekanntlich eher | |
rationell agierende Nasa bereits das gesamte futuristische Drill-Equipment | |
einer geheimen Marsmission parat. Nur die Spezialeinheit für den Bohrjob | |
fehlt. Selbstverständlich findet sich mit dem bärbeißigen Bruce Willis als | |
Harry Stamper umgehend ein Red Adair für das Weltall. Dabei wird Willis | |
offenbar immer mehr zum Nachfolger für Charlton Heston aufgebaut: Im | |
chinesischen Meer vertreibt er Greenpeace- Boote mit Golfbällen von den | |
Fördertürmen, nebenbei ist er aber auch alleinerziehender Vater einer | |
Tochter (Liv Tyler), die eine Bohrinsel-Affäre mit seinem jugendlichen | |
Kompagnon (Ben Affleck) hat. Weil alle väterliche Schelte nichts nützt, | |
nimmt er den Widersacher mit auf das Himmelfahrtskommando. Damit ist klar, | |
daß nur einer der beiden wieder auf die Erde zurückkommen darf. | |
Nachdem praktisch alle noch so irrwitzigen Manöver im All bravourös | |
gelingen, ist auch der Sturm auf den Meteoriten bloß ein Kinderspiel. Das | |
Team segelt mit einem Marsmobil wie Evil Knievel über Kraterschluchten; | |
zerklüftete Steinformationen umschifft man grazil, als wäre der fremde | |
Planet eine „Holiday on Ice“-Kulisse; und wenn mal ein Bohrer abbricht, | |
gibt es kumpelhaftes Gelächter. Die Gefahr lauert indes auf der Erde, | |
sozusagen im Headquarter selbst: Da der oberste General den Underdogs dort | |
oben mißtraut, kommt es zu einigen atomsprengkopftechnischen | |
Komplikationen. Daß sie zum Wohle der Menschheit gelöst werden, ist Willis' | |
Wille und Untergang. Am Ende bleibt ein etwas zu üppig röhrender | |
Soundtrack-Bombast übrig; und auch von den Fahnen, die wie ein | |
Bühnenvorhang die Plothäppchen und Effektschnipsel miteinander verzahnen, | |
hat man mit der Zeit genug. Vielleicht sollte mal wieder jemand die | |
american flag verbrennen oder anderweitig mißbrauchen – und sei es nur aus | |
ästhetischen Gründen. | |
„Armageddon“. Regie: Michael Bay. Mit Bruce Willis, Billy Bob Thornton, Liv | |
Tyler, Ben Affleck, Steve Buscemi u.a.; USA 1998, 140 Min. | |
16 Jul 1998 | |
## AUTOREN | |
Harald Fricke | |
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