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# taz.de -- Der Klang der Maschinen
> ■ Techno bedenken, den Klangstrom zum Beben bringen, den Wohlstand
> stören: In der Markthalle findet das „Electronic Species“-Wochenende
> statt
Gegenwärtig geht die Rede von einem Stillstand in der Techno-Szene. Doch
der Stillstand birgt eine Chance. Denn, für einen Moment angehalten,
beschäftigt man sich weniger mit der Generierung immer neuer Spielarten,
sondern nimmt sich zum ersten Mal Zeit für Positionsbestimmungen und
Diskursanschlüsse. Techno wird bedenkenswert. Dieses Wochenende wird eine
Veranstaltung genau dies tun: Techno bedenken. Sie nennt sich Electronic
Species und findet in der Markthalle statt. Worum es geht, läßt sich
vielleicht eher von der Peripherie als vom Zentrum aus erfahren. Denn am
Rand des Electronic-Wochenendes wird der kleine Saal der Markthalle mit
einer Ausstellung und einer Klanginstallation bestückt, die gegensätzlicher
kaum sein könnten – und so unfreiwillig den Spagat vergrößern, in dem sich
Techno zur Zeit bewegt. Heraus kommt ein produktiver Spreizgang zwischen
Bildern und Gedanken, zwischen Oberfläche und Tiefenstruktur.
Unter dem Titel Techno Style werden Flyer und Plattencover die ästhetischen
Bilderwelten von Techno unter Designaspekten demonstrieren. In ihrem
Vorwort zum gleichnamigen Buch erläutern die beiden Ausstellungsmacher
Martin Pesch und Markus Weisbeck, daß die Graphikdesigner der Techno-Szene
unter den Bedingungen des Desktop-Publishing weniger ihre Arbeitsergebnisse
verbessern als „die Technologie zum Thema“ machen wollen. Allerdings
vernachlässigen die Medien Ausstellung und Buch gerade den entscheidenden
Aspekt von Technologie, von computeranimierten Techno-Bildern: Bewegung. Es
geht bei den Techno-Bilderwelten ja gerade darum, daß sich keine festen
Einheiten formieren können, weil die Einheiten im Video immer im Fluß
bleiben.
## Geräusche, die auftreten, wenn CDs hängenbleiben
Das setzen die drei Klangforscher von Oval mit ihrer Klanginstallation im
gleichen Raum um. Was die drei Berliner über das ganze Wochenende hinweg
zelebrieren, läßt sich am ehesten als Konzeptkunst beschreiben. Für ihre LP
Systemisch nahmen sie etwa CDs, beschrieben diese mit einem Filzstift,
sampelten danach die Geräusche, die beim Abspielen auftraten, wenn die
Discs hängenblieben, und setzten alles zu Tracks zusammen. Das Ergebnis hat
sich von musikalischen Grundeinheiten wie Rhythmus, Melodie und Harmonie
weitgehend gelöst und macht – über ihre Fehler – die Arbeitsweise der
Maschinen hörbar. Damit setzten sie das Credo ihres Labelmachers Achim
Szepanski um, der zu einer Diskussion in der Markthalle erwartet wird.
Dieser sieht die Chancen von digitaler Tonerzeugung nicht nur darin,
unbegrenzt Klänge zu Verfügung zu stellen, sondern gleichzeitig den
zugrundeliegenden Arbeitsprozeß, den Klang der Maschinen, hörbar zu machen.
Der Labelmacher von „Mille Plateaux“, nach einem Text von Gilles Deleuze
und Félix Guatarri benannt, träumt von einer elektronischen Musik, „die den
Wohlstand stören könnte“. Dafür müsse man „das Tor für das Geräusch �…
den Kanal für den Klangstrom selbst zum Beben bringen“.
Den Klang der Maschinen zeigt auch die Band Locust auf, die am Samstag in
der großen Halle auftritt. Ihre LP Truth Is Born Of Arguments lockt mit
einer nachdenklichen Chanteuse auf dem Cover auf die falsche Fährte. Immer
wieder dringt industrielles Schleifen in die Songs vor, die sich dagegen
nur mühsam behaupten. Eher die Möglichkeiten der gängigen Stile ausloten
wollen danach Ultramarine, deren Klang-Ambiente dementsprechend weniger
zerebral wirkt. Ihre ersten beiden Platten versöhnten handgemachte und
digitale Klangerzeugung, indem die Folk-Traditionals, für die sie gar den
Songwriter Robert Wyatt gewinnen konnten, in ein Trance-Bett legten. Bei
ihrer aktuellen Veröffentlichung Bel Air geht das Duo aus Essex eher
Soul-Standards an die Wäsche. Gespannt darf man auch auf den DJ-Auftritt
von Word Sound sein, deren Veröffentlichungen (u.a. der wunderbare Crooklyn
Dub Consortium-Sampler) unter der Ägide der Produzentenlegende Bill Laswell
in neue Richtung weisen. Die düster in den Seilen hängenden Beat-Skelette
verarbeiten diverse Klänge aus fernen Ländern auf bisher ungehörte Weise.
Die Höhepunkte am Freitag werden neben dem unterkühlten im Industrial
wurzelnden Ambient der belgischen Formation Psychic Warriors ov Gaia der
hochgehandelte David Holmes sein. Von Glockenklängen bis Sarah Cracknell
von St. Etienne und Jah Wobble (Ex-P.I.L.) bringt dieser desperate Welten
in Einklang. Das ganze Wochenende werden Videoinstallationen und
Lichtarchitektur dafür sorgen, daß die unzähligen Klangtüftler nicht hinter
ihren Gerätschaften verschwinden.
Volker Marquardt
Heute, ab 21 Uhr: Nonplace Urbanfield, David Holmes, Psychic Warriors ov
Gaia, Drome, Loop Guru, Synapsen DJ-Team; morgen, ab 20 Uhr: Blue,
Technova, Atom Heart, Locust, Ultramarine, Word Sound, Move D, Alec Empire,
Sensorama. Jeweils Markthalle.
20 Oct 1995
## AUTOREN
Volker Marquardt
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