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# taz.de -- Kommt Pinochet doch noch vor Gericht?
> Der chilenische Ex-Diktator wird in einem Londoner Krankenhaus
> festgenommen. Ein spanischer Haftbefehl wirft ihm „Verbrechen gegen die
> Menschlichkeit und Terrorismus“ vor. In Chile kann er nicht belangt
> werden  ■ Von Ingo Malcher
Buenos Aires (taz) – Die schlechte Nachricht für Augusto Pinochet kam um
Mitternacht. Kaum hatte sich der chilenische Ex-Diktator am Freitag abend
in seinem Krankenbett in einer Londoner Privatklinik zur Ruhe gelegt,
betraten mehrere Beamte von Scotland Yard das Zimmer. In der Hand einen
Haftbefehl. Drei Polizisten halten seither vor seiner Zimmertür Wache, um
zu verhindern, daß sich Pinochet einfach aus der Verantwortung stiehlt. Der
chilenische Ex-General und Senator auf Lebenszeit war Ende September nach
London gekommen, um sich einer Bandscheibenoperation zu unterziehen.
Frankreich hatte ihm kurz zuvor die Einreise verweigert.
Der Festnahme Pinochets liegt ein internationaler Haftbefehl aus Spanien zu
Grunde. Am Madrider Sondergerichtshof für Terrorismus und Finanzverbrechen,
der Audiencia Nacional, ermitteln gleich zwei Richter, Manuel Garcia
Castellón und Baltasar Garzón, gegen den Ex-Diktator wegen „Verbrechen
gegen die Menschlichkeit und Terrorismus“. Sie stützen sich dabei auf das
vor drei Jahren eingeführte neue spanische Strafgesetzbuch. Darin wird
festgehalten, daß Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht verjähren und
von der spanischen Justiz weltweit geahndet werden können. Um die 800.000
Chilenen mußten in den Jahren nach dem Putsch Pinochets gegen den
demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende 1973 mit der Folter
Bekanntschaft machen. Besonderes Augenmerk richtet Garcia Castellón bei
seinen Ermittlungen auf acht Verschwundene spanischer Nationalität.
Castellón beantragte Anfang letzter Woche, Pinochet in London verhören zu
dürfen.
Sein Kollege Baltazar Garzón ging am Freitag noch einen Schritt weiter und
übermittelte per Interpol an das Londoner Justizministerium einen
internationalen Haftbefehl, der jetzt umgesetzt wurde. Garzón ermittelt
gegen die argentinische Militärjunta (1973 bis 1983), unter der 30.000
Menschen verschwanden. Auch in diese Verbrechen ist Pinochet verwickelt.
Zusammen mit den Diktatoren von Argentinien, Paraguay, Uruguay und
Brasilien rief er die Operativo Condor ins Leben. Das Ziel dieser
Koordination der einzelnen Geheimpolizeien war das Aufspüren und
Verschwindenlassen von Systemkritikern, egal, wohin sie sich geflüchtet
hatten. Mindestens 119 Opfer sind zu beklagen. Jetzt hat Garzón 42 Tage
Zeit, einen Auslieferungsantrag zu stellen, damit Pinochet von London nach
Madrid verlegt wird. Noch in dieser Woche wollen die beiden spanischen
Richter nach London fliegen, um Pinochet zu verhören.
Für den Ex-Diktator kamen die Anträge aus Madrid nicht überraschend. Er
hatte sich extra von Chiles Außenminister Jose Miguel Insulza einen
Diplomatenpaß ausstellen lassen. „Das schützt ihn vor Verhören“, war sich
Insulza noch Anfang der Woche völlig sicher. Mit der Festnahme Pinochets
würde jetzt diese Diplomatenimmunität verletzt, kritisiert Chiles Präsident
Eduardo Frei Scotland Yard scharf. „Die Gesetze unseres Landes müssen
respektiert werden“, fordert der Christdemokrat. Seiner Ansicht nach sind
für chilenische Staatsbürger allein die chilenischen Gerichte zuständig.
Ohne dabei zu erwähnen, daß Pinochet in seiner Heimat aufgrund eines
Amnestiegesetzes für die von ihm zu verantwortenden
Menschenrechtsverletzungen nicht belangt werden kann.
Das britische Außenministerium weist die Vorwürfe zurück. Den Schutz der
Immunität genössen in Großbritannien nur Diplomaten, die ordentlich in
London akkreditiert seien oder in einer speziellen Mission im Land
verweilten. Beides trifft auf Pinochet nicht zu. Außerdem gab das
Außenministerium bekannt, daß die Festnahme Pinochets eine rein
polizeiliche Angelegenheit sei und es sich nicht um eine „politische
Entscheidung“ handele.
„Ich habe die Briten immer für Freunde gehalten“, tobt der Sohn des
Ex-Diktators, Augusto Pinochet Junior, vor Wut. Die Festnahme seines Vaters
sei eine „feige Entscheidung.“ Der Chef der ultrarechten „Nationalen
Erneuerung“ (RN), Alberto Espina, wirft den Briten gar vor, „Chile wie eine
Kolonie zu behandeln“. Am Samstag abend zog die RN ihre Anhänger vor der
Botschaft Großbritaniens in Santiago zusammen. In Sprechchören forderten
knapp 300 Demonstranten die Freilassung Pinochets und auf Transparenten
stand: „General, wir sind immer mit ihnen.“ Vereinzelt wurde die Botschaft
mit Steinen beworfen, wobei einige Fensterscheiben eingeworfen wurden.
Die Opfer der Militärdiktatur hingegen zeigten sich erfreut über die
Festnahme Pinochets. Isabel Allende, Tochter des von Pinochet gestürzten
sozialistischen Präsidenten, Salvador Allende, und Abgeordnete der
Sozialistischen Partei (PS), nannte die Festnahme Pinochets „sehr wichtig.“
Sie sei „eine einzigartige Gelegenheit für Pinochet, über die
Menschenrechtsverletzungen seines Regimes Auskunft zu geben“. Ebenfalls
erfreut zeigte sich Gladys Marin, Chefin der Kommunistischen Partei Chiles,
deren Mann während der Militärdiktatur verschwand. „Man muß bedenken, daß
Pinochet wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt ist. Dafür
gibt es keine Immunität“, entgegnet Marin der Kritik an Pinochets
Verhaftung.
Mitarbeit: Reiner Wandler, Madrid
19 Oct 1998
## AUTOREN
Ingo Malcher
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