# taz.de -- John Hume, der Friedensmacher aus Derry | |
> Morgen bekommt der katholische nordirische Sozialdemokrat John Hume, | |
> gemeinsam mit dem Unionisten David Trimble, den Friedensnobelpreis | |
> verliehen. Hume tritt seit 30 Jahren für den Frieden in Nordirland ein ■ | |
> Aus Derry Ralf Sotscheck | |
John Hume läßt sich in den schweren Sessel fallen und gähnt. „Ich habe | |
gestern abend eine Schlaftablette genommen und danach zwölf Stunden | |
geschlafen“, sagt er leise und gähnt noch einmal. „Trotzdem bin ich jetzt | |
furchtbar müde. Hoffentlich habe ich nicht diese neumodische Krankheit, bei | |
der man ständig schlafen könnte.“ | |
Nein, seine Müdigkeit hat wohl andere Gründe. Seit 30 Jahren ist Hume in | |
Sachen Frieden für Nordirland im Einsatz. Nachdem man Hume im Oktober den | |
Friedensnobelpreis zugesprochen hat, der ihm morgen, am Todestag Alfred | |
Nobels, in Oslo überreicht wird, reißt man sich um ihn als Ehrengast bei | |
Wohltätigkeitsveranstaltungen und Einweihungsfeiern. Freunde, Nachbarn und | |
Parteikollegen geben sich bei ihm die Klinke in die Hand. | |
„Vorher war es schon völlig verrückt“, sagt Pat, seine Frau. „Seit er d… | |
Nobelpreis bekommen hat, ist es einfach unglaublich.“ Sie sorgt sich um | |
seine Gesundheit, ihr Mann sieht mitgenommen aus, im Wochenendhaus auf der | |
anderen Seite der inneririschen Grenze in der Grafschaft Donegal ist er | |
schon seit geraumer Zeit nicht mehr gewesen. | |
Pat Hume, die stets im Hintergrund bleibt und nur zögernd von sich, ihrem | |
Mann und den fünf Kindern erzählt, hat ein normales Familienleben nie | |
gekannt. „Nachdem wir 1960 geheiratet hatten, begann John, Irlands erste | |
Kreditgenossenschaft zu gründen“, sagt sie. „Er war praktisch jeden Abend | |
unterwegs, und tagsüber arbeitete er als Lehrer.“ Als die Genossenschaft in | |
Derry auch ohne ihn funktionierte, half er in anderen Städten beim Aufbau | |
von Kreditgenossenschaften, später wählte man ihn sogar in den Europäischen | |
Dachverband. | |
„Meine Eltern mußten oft Geld borgen, um mich und meine sechs Geschwister | |
großzuziehen“, sagt John Hume. „Sie mußten dafür hohe Zinsen zahlen, das | |
machte das Leben recht schwer. Die Kreditgenossenschaft hat die Situation | |
grundlegend verändert. Arbeiter und Arbeitslose konnten nun ihre | |
Ersparnisse in einen Topf werfen, daraus Geld borgen und es in Raten | |
zurückzahlen. Niemand machte Profit.“ Wenn er in seinem Leben nichts | |
anderes getan hätte, als die Kreditgenossenschaften zu gründen, hätte er | |
viel erreicht, sagt er. | |
Das Ehepaar Hume wohnt noch immer in dem dreistöckigen Reihenhaus in der | |
Bogside, einem katholischen Viertel der Stadt, die bei den einen Derry, bei | |
den anderen Londonderry heißt – es kommt auf die politische Einstellung an. | |
Der Fluß Foyle trennt die Stadt in eine katholische und eine | |
protestantische Hälfte. Die Protestanten waren in Derry seit der irischen | |
Teilung 1922 an der Macht, obwohl sie in Nordirlands zweiter Stadt eine | |
Minderheit waren. Ihre Stadtverwaltung bevorzugte Protestanten bei der | |
Vergabe von Wohnungen und Arbeitsplätzen. Hume gründete Ende der sechziger | |
Jahre eine Wohnungsbaugesellschaft für katholische Familien. | |
„Im ersten Jahr bauten wir Häuser für hundert Familien“, sagt er. „Dann | |
wollten wir Häuser für 700 weitere Familien errichten, aber weil wir im | |
falschen Viertel bauen wollten und dadurch das Wahlergebnis | |
durcheinandergebracht hätten, lehnte die Stadtverwaltung unseren Bauantrag | |
ab. Das führte mich direkt in die Bürgerrechtsbewegung.“ | |
Bei Kommunalwahlen durften damals nur Hausbesitzer wählen, viele Katholiken | |
gingen deshalb leer aus, während so mancher protestantische Unternehmer | |
mehr als 40 Stimmen hatte. Darüber hinaus hatte man in Derry fast alle | |
Katholiken in einem Wahlkreis zusammengefaßt, aus dem acht Stadträte ins | |
Rathaus einzogen. Die protestantische Minderheit verteilte sich dagegen auf | |
zwei Wahlkreise mit jeweils sechs Stadträten. Humes Wohnungsbauprojekt | |
hätte die Mehrheitsverhältnisse beeinflußt. | |
Aus Protest setzte er sich mit anderen auf die Straße, die britische Armee | |
schickte Wasserwerfer, die mit einem lila Färbemittel gefüllt waren. Hume | |
bekam die Farbe tagelang nicht aus den Haaren. Der junge Offizier, der | |
damals den Einsatzbefehl gab, war Paddy Ashdown, inzwischen Chef der | |
britischen Liberalen Demokraten. Die protestantische nordirische Regierung | |
hatte die Armee zu Hilfe geholt, um ihre Macht notfalls mit Gewalt zu | |
verteidigen. Nach dem „Bloody Sunday“, dem 30. Januar 1972, an dem die | |
Armee 14 unbewaffnete Demonstranten in Derry ermordete, eskalierte die | |
Situation. Bis heute kamen 3.500 Menschen ums Leben, mehr als 30.000 wurden | |
verletzt. | |
Hume verfolgte von Anfang an eine friedliche Strategie, weil er davon | |
überzeugt war, daß es bei einer Lösung des Konflikts keine Sieger und | |
Verlierer geben durfte. 1970 gründete er die Sozialdemokratische und | |
Arbeiterpartei SDLP, für die er ins Londoner Unterhaus einzog. Seine | |
Strategie führte zu Anfeindungen auch im eigenen Lager, weil viele ihn als | |
Abwiegler bezichtigten. „Es gab viele schlimme Jahre“, sagt Pat Hume. „Es | |
hagelte Benzinbomben auf unser Haus, vor der Tür gab es Demonstrationen, | |
die Kinder wurden auf dem Schulweg oft verprügelt. Einmal, 1987, flogen | |
Benzinbomben gegen die Fenster aller drei Stockwerke. Wir hatten zwar | |
kugelsicheres Glas, aber das Benzin blieb an den Scheiben und an der | |
Haustür haften, so daß die ganze Vorderfront ein Flammenmeer war, mein Auto | |
wurde angezündet. Meine Tochter Maureen und ich waren allein im Haus, wir | |
flohen durch den Hinterausgang.“ | |
Personenschutz hat Hume dennoch abgelehnt, sein Haus stand Nachbarn und | |
Freunden stets offen. Im Erdgeschoß, gleich neben der Haustür, ist sein | |
Arbeitszimmer. Das Wohnzimmer im ersten Stock ist spärlich eingerichtet: | |
eine Couch, ein Sessel, ein Bücherregal, eine Stehlampe. An der Wand Fotos | |
mit Bill Clinton und Ted Kennedy, daneben ein handgeschriebenes Gedicht von | |
Seamus Heaney, dem Literaturnobelpreisträger aus Derry, mit dem er | |
gemeinsam zur Schule ging. | |
Hume kommt aus kleinen Verhältnissen, seine Mutter nähte in Heimarbeit | |
Hemdkragen für eine Fabrik. „Die erste Hemdenfabrik der Welt stand hier in | |
Derry“, sagt Hume. „Fast alle Frauen aus der Arbeiterklasse waren in | |
Hemdenfabriken beschäftigt. Wir waren aber so viele Kinder zu Hause, daß | |
meine Mutter tagsüber nicht arbeiten konnte.“ Der Vater war 20 Jahre lang | |
arbeitslos. „Er war aber hoch intelligent und hatte eine wunderschöne | |
Handschrift, wie gestochen. Deshalb erledigte er den Schriftverkehr für die | |
Leute in unserem Viertel. Sie kamen zu uns, wenn sie ein Problem hatten, | |
für mich gehörten diese Probleme dadurch zum Alltag.“ John Hume hatte | |
Glück, als die Stipendien für Oberschulen eingeführt wurden, bestand er das | |
Examen auf Anhieb. „Meine Eltern hätten das nie bezahlen können.“ | |
Mit einem Mal wird es ihm zuviel. Er wird unwirsch, verzieht das Gesicht | |
und sagt: „Ich finde es unangenehm, über mich selbst zu sprechen. Frag | |
lieber andere Leute.“ Als wir aber mit dem Stadtrat Gregory Campbell | |
sprechen wollen, der ihn seit 20 Jahren kennt, ist es ihm auch nicht recht. | |
Campbell gehört Ian Paisleys Democratic Unionist Party (DUP) an, die dem | |
Runden Tisch bisher ferngeblieben ist. Den Friedensprozeß sieht die DUP als | |
Schritt in Richtung auf ein vereintes Irland. Das sei doch alles „Friede, | |
Freude, Eierkuchen“, wettert Campbell. „Frieden? Das will doch jeder. Aber | |
meine Wähler fühlen sich unwohl bei Humes Politik. Sie ist proirisch und | |
antibritisch. Aber wir sind britisch.“ Und damit von vornherein kein | |
Zweifel daran aufkommt, hat er seinen Schreibtisch mit einem riesigen Union | |
Jack verziert, der quer über der Tischplatte liegt. | |
Hume nahm schon vor zehn Jahren Kontakt mit Sinn Féin auf, dem politischen | |
Flügel der IRA. Mitchel McLoughlin, der Parteivorsitzende, dessen Vater mit | |
Hume befreundet war, gehörte damals der Sinn-Féin-Delegation an. „Die | |
Gespräche brachten zwar kein Ergebnis, aber wir stellten bei sieben oder | |
acht Punkten Übereinstimmung fest. Auf dieser Basis bauten wir das | |
nationale Bündnis, zu dem auch die irische Regierung später hinzukam, und | |
suchten nach einer Alternative zum bewaffneten Kampf. Das war die Grundlage | |
für den Friedensprozeß.“ | |
Bis man die Unionisten an den Tisch bekam, war es noch ein weiter Weg. | |
David Trimble, der Chef der Ulster Unionist Party, der morgen ebenfalls den | |
Friedensnobelpreis erhält, kam erst auf Druck der britischen Regierung. | |
Hume ist froh, daß er sich den Preis mit Trimble teilt. „Vielleicht ist es | |
ein Ansporn, auch noch die letzten erforderlichen Schritte zu gehen.“ | |
Der Friedensprozeß steckt zur Zeit in der Krise, weil Trimble die | |
gesamtirischen Institutionen und die Bildung der nordirischen Regierung | |
blockiert, solange die IRA ihre Waffen nicht ausgemustert hat. Vorher werde | |
Sinn Féin keinen Ministerposten bekommen, so hat Trimble seiner Partei | |
versprochen. | |
„Es hätte sich gar nichts bewegt“, sagt der Journalist Ed Moloney, „wenn | |
Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams nicht die Tür geöffnet hätte. Wären Adams | |
und die IRA-Führung nicht bereit gewesen, einen Weg aus dem Konflikt zu | |
suchen, hätte es keinen Friedensprozeß gegeben. Anders gesagt: Hume war die | |
Hebamme, aber es war Adams, der den Friedensprozeß gezeugt hat.“ | |
Hume glaubt, daß Gewalt „bei der Lösung unserer Probleme keine Rolle | |
gespielt“ habe. „Wenn ein Volk so gespalten ist wie das unsere, dann | |
vertieft Gewalt diese Spaltung noch.“ Er erinnert sich an seinen ersten Tag | |
im Europäischen Parlament, in das er 1979 gewählt wurde. „Ich ging von | |
Straßburg über die Rheinbrücke nach Kehl und blieb in der Mitte stehen. Ich | |
stellte mir vor, es sei 1949. Wenn damals jemand prophezeit hätte, daß wir | |
30 Jahre später alle in der Europäischen Union sein werden, und die | |
Franzosen sind immer noch Franzosen, die Deutschen sind nach wie vor | |
Deutsche, hätte man ihn für verrückt erklärt.“ | |
Humes großes Vorbild ist Martin Luther King, der schwarze US- amerikanische | |
Bürgerrechtler, den er gerne zitiert: „Die alte Doktrin des Auge-um-Auge | |
führt dazu, daß am Ende alle blind sind.“ Hume wird am 18.Januar, dem | |
Todestag von Martin Luther King, 62 Jahre alt. Am selben Tag wird der | |
Martin-Luther-King-Friedenspreis verliehen. Das wäre doch ein passendes | |
Geburtstagsgeschenk. | |
9 Dec 1998 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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