# taz.de -- Verstaubte Pokale im Schrank | |
> 25 Jahre nach dem Gewinn des Europapokals der Pokalsieger ist beim 1. FC | |
> Magdeburg nichts geblieben von der alten Fußballherrlichkeit ■ … | |
> Magdeburg Annett Gröschner | |
Als am 8. Mai 1974 im Rotterdamer Feyenoord-Stadion Wolfgang Seguin den | |
Europacup der Pokalsieger in die Kameras hielt, hatte zum ersten und | |
letzten Mal in der kurzen Geschichte des DDR-Fußballs eine Mannschaft aus | |
dem Osten Deutschlands einen Europapokal gewonnen. Gegner war kein | |
Geringerer als der AC Mailand, dessen Trainer Giovanni Trapattoni im | |
Vorfeld prophezeit hatte: „Wer das erste Tor schießt, gewinnt.“ Das erste | |
Tor schoß Mailand, allerdings in die eigenen Maschen, und in der 74. Minute | |
erzielte „Paule“ Seguin einen Treffer aus spitzem Winkel zum 2:0. | |
Mit diesem Sieg hatte niemand gerechnet. Der 1. FC Magdeburg war krasser | |
Außenseiter, das Durchschnittsalter der Spieler betrug nur 23 Jahre. Fortan | |
war für viele Magdeburger der 8. Mai nicht mehr der Tag der Befreiung, | |
sondern der Tag des Sieges. Der Jubel in Rotterdam hielt sich in Grenzen, | |
es war das am schlechtesten besuchte Europacupfinale der Geschichte, die | |
Zahlen schwanken zwischen 5.000 und 10.000 Zuschauern. Die wenigen | |
Magdeburger Schlachtenbummler, unter ihnen auch Matrosen von fünf | |
DDR-Handelsschiffen, die im Hafen von Rotterdam lagen, waren handverlesen. | |
Einige mußten sogar fragen, welche der beiden Mannschaften überhaupt der 1. | |
FC Magdeburg sei. Die wirklichen Fans saßen zu Hause vor dem Fernseher. | |
Zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte hatte die Stadt etwas, worauf | |
sie stolz sein konnte. Tausende pilgerten zum Centrum-Warenhaus, wo der | |
Pokal zwischen Schaufensterpuppen in Silastiktrainingsanzügen ausgestellt | |
war. Zwei Monate später fuhr die DDR-Auswahl zur WM, dabei auch Pommerenke, | |
Seguin, Hoffmann und, natürlich, Sparwasser. Es war der Höhepunkt des | |
DDR-Fußballs und mit ihm des 1. FCM. Zwei Jahre später wurde der | |
Erfolgstrainer Heinz Krügel auf Betreiben des 2. Sekretärs der | |
Bezirksleitung der SED, Kirnig, entlassen. Der offizielle Grund war | |
Erfolglosigkeit – ein Hohn für alle Fans –, in Wirklichkeit warf man ihm | |
vor, ein Ost-West-Versöhnler zu sein. Bis zur Wende fristete er sein Dasein | |
als Platzwart, ihm war das Betreten des Stadions verboten. | |
Besucht man heute die Clubleitung auf dem Gelände des Ernst-Grube-Stadions, | |
dann ist kaum noch etwas von der heroischen Zeit spürbar. In der | |
Schrankwand verstauben die Pokale, und im Fanshop kann man einen | |
aufblasbaren Knochen mit der Aufschrift „ An uns beißt Ihr Euch die Zähne | |
aus“ erwerben. Eine unfreiwillige Metapher, denn die Mannschaft ist nach | |
der Wende zusammen mit dem Schwermaschinenbau untergegangen. Als das SKET, | |
von 1965 bis 1990 Trägerbetrieb des Vereins, auf dessen Lohnlisten auch die | |
Spieler standen, 1996 die Gesamtvollstreckung beantragte, war die | |
Mannschaft bis in die Amateuroberliga abgerutscht. | |
Der 1. FC Magdeburg war immer ein Club gewesen, der seine Spieler | |
ausschließlich aus den umliegenden Dörfern „rekrutiert“ und sie über Jah… | |
aufgebaut hatte. Der bezahlte Fußball, mit dem man sich plötzlich | |
konfrontiert sah, lebt vom Geschäft. Also verkaufte man nach der Wende den | |
Nachwuchs an westdeutsche Vereine und stand plötzlich ohne gute Spieler da. | |
Auf den Rängen hielt ein Häuflein Fans die Stellung, von denen man bei | |
einigen nicht so genau wußte oder wissen wollte, ob sie nicht zu denen | |
gehörten, die außerhalb des Stadions dem Sport des Ausländer- oder | |
Punkjagens nachgingen und der Stadt in den überregionalen Zeitungen ein bis | |
heute anhaltendes negatives Image bescherten. Nicht von ungefähr hat die | |
DVU im letzten Jahr ihre aggressive Wahlwerbung vor den Toren des Stadions | |
plaziert. Das bürgerliche Publikum, oder was sich dafür hält, kaufte sich | |
ein Abonnement für den Handball und wurde mit einer monströsen | |
Bördelandhalle beschenkt. Hundert Meter weiter gibt es bei jedem Heimspiel | |
einen Polizeieinsatz, und das einst in freiwilliger Aufbauarbeit errichtete | |
Ernst-Grube-Stadion bröselt vor sich hin. | |
Trotzdem sind es immer wieder die Spieler der Erfolgsmannschaft der | |
Siebziger, die sich, mit wechselndem Erfolg, in den Dienst der Mannschaft | |
stellen. Achim Streich versuchte sich glücklos als Trainer, Manfred Zapf | |
ist Geschäftsstellenleiter, Martin Hoffmann Nachwuchstrainer, Wolfgang | |
Seguin Sponsor, und auch Jürgen Sparwasser als Präsident der Vereinigung | |
der Vertragsfußballer verfolgt von Frankfurt am Main aus sehr genau die | |
Entwicklung seines einstigen Vereins. Die Regionalliga Nordost, in die der | |
1. FCM vor zwei Jahren aufstieg, ist inzwischen die heimliche Oberliga der | |
DDR, auch wenn die gegnerischen Mannschaften nicht mehr Wismut oder Dynamo | |
heißen. Mit dem momentanen 4. Tabellenplatz gibt es die leise Hoffnung, der | |
Verein könnte es schaffen, im nächsten Jahr in die neue 3. Liga zu kommen. | |
Mehr, so wissen die meisten, wird in den nächsten Jahren nicht zu erreichen | |
sein. | |
Am heutigen Samstag spielt der 1. FC Magdeburg gegen Carl Zeiss Jena. Vor | |
dem Punktspiel wird es ein Derby der alten Herren beider Mannschaften | |
geben. Vor 25 Jahren, einen Monat vor dem Europapokalsieg, hatte der 1. FCM | |
Carl Zeiss Jena nach 76 Spielen die erste Heimniederlage beschert. | |
Magdeburg wurde DDR-Meister, Jena, wie so oft, nur Vize. | |
Im Herbst erscheint im Gustav Kiepenheuer Verlag Leipzig Annett Gröschners | |
Buch „Sieben Tränen muß ein Klubfan weinen. Der 1. FC Magdeburg – eine | |
Fußballgeschichte“.Im Fanshop kann man einen aufblasbaren Knochen mit der | |
Aufschrift „ An uns beißt Ihr Euch die Zähne aus“ erwerben | |
8 May 1999 | |
## AUTOREN | |
Annett Gröschner | |
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