# taz.de -- Befreiung aus dem Lager | |
> Das KZ als Künstlerkolonie? Theresienstadt als Sammelbegriff einer | |
> Komponistenschule – deren Musik kommt von diesem Stigma bis heute nicht | |
> los ■ Von Esther Slevogt | |
Eine Oper, von Kindern für Kinder gesungen und kaum eine halbe Stunde lang. | |
Sie ist berühmt, aber es ist ein trauriger Ruhm. Ihr Komponist wurde 1942 | |
nach Theresienstadt deportiert. Dort wurde die kleine Oper dann über 50mal | |
aufgeführt. Denn Theresienstadt war das Vorzeige-KZ der Nazis, und die | |
kulturellen Aktivitäten dort sollten den wahren Zweck der | |
Konzentrationslager vor der internationalen Öffentlichkeit verschleiern. | |
Deswegen wurde auch „Brundibar“ gespielt, die Geschichte der Geschwister | |
Aninka und Pepicek, die frische Milch für ihre kranke Mutter brauchen, aber | |
kein Geld haben, um sie zu bezahlen. Also wollen sie welches verdienen und | |
auf dem Marktplatz Lieder singen. Aber dort will sie Brundibar, ein böser | |
Leierkastenmann, nicht dulden. Am nächsten Tag helfen die Tiere den | |
Kindern. Gemeinsam besiegen sie Brundibar und triumphieren am Ende über das | |
Böse. Hans Krása, so hieß der Komponist, hatte seine Oper 1938 vor dem | |
Hintergrund von Hitlers Expansionspolitik geschrieben, ein Kindermärchen | |
als Parabel. Krása, ein Komponist auf dem Weg zu Weltruhm. Seine 1932 von | |
Georges Szell uraufgeführte Dostojewski-Oper „Verlobung im Traum“ brachte | |
ihm den Tschechischen Staatspreis ein. | |
Heute sind der Komponist und seine Musik vergessen. 1944 wurde Hans Krása | |
in Auschwitz vergast. Die meisten Kinder, die in Theresienstadt seine Oper | |
sangen, ebenso. „Brundibar“ wird immer mal wieder ausgegraben. Nur geht es | |
dann selten um die Oper, um Krása oder seine Musik. Die eigentliche | |
Bühnenwirksamkeit holen die Veranstalter stets aus der unfreiwilligen | |
Karriere der Oper als Nazi-Propagandastück und dem furchtbaren Schicksal | |
der Menschen, die ihr zu ihrem Ruhm verhalfen. Zuletzt am 27. Januar im | |
Konzerthaus am Gendarmenmarkt, wo die Oper wieder einmal Opfer | |
wohlmeinender Trauerfacharbeiter wurde. | |
„Oper der Kinder aus Theresienstadt“ hieß es im Untertitel, als sei das | |
Konzentrationslager ein Wesensmerkmal der Oper, die als eigenständiges Werk | |
sonst keinen Bestand hätte. Folgerichtig wurden auch keine weiteren | |
Kompositionen von Krása aufgeführt, sondern die 25minütige Aufführung zur | |
Betroffenheitsshow verdichtet. Der Berliner Komponist Ulrich Bauer schrieb | |
eine unsägliche, sogenannte „Brundibar-Overtüre“, der ein Zitat einer | |
Überlebenden des Theresienstädter Kinderensembles aus einem Radiofeature | |
über die Entstehungsgeschichte der Oper zugrunde lag: „We can forgive, but | |
we can never forget.“ Und auch in diesem Radiofeature fragte sich Autorin | |
Hannelore Wonschick, ob denn ihre Tochter, die so gerne „Brundibar“ höre, | |
überhaupt mit dieser „von Tragik umschatteten Musik“ in Berührung kommen | |
dürfe: Als könne die Musik etwas dafür, was ihrem Komponisten angetan | |
wurde. Als säßen Dämonen und Rachegeister zwischen den Tönen, die nur | |
dadurch zu bannen sind, indem man die Opfer auf ewig Opfer bleiben läßt. | |
„Brundibar“ aber ist nur das bekannteste Beispiel, wie die Diskriminierung | |
der Nazis bis heute fortwirkt und den Blick nicht nur auf eine ganze | |
Komponistengeneration noch immer trübt, selbst wenn man langsam beginnt, | |
ihre Werke zu entdecken. | |
Wie Krása erging es auch seinen Prager Komponistenkollegen Erwin Schulhoff, | |
Pavel Haas, Gideon Klein und Victor Ullmann. Auch sie wurden zunächst nach | |
Theresienstadt deportiert, wo sie noch eine Weile unter unsäglichen | |
Bedingungen zu leben und zu arbeiten versuchten. Auch sie haben nicht | |
überlebt, und mit ihnen ging auch ein Teil ihrer Werke zugrunde. Partituren | |
gingen verloren, wurden als wertloses Altpapier vernichtet, wie im Fall des | |
Schönberg-Schülers Ullmann, der seine Notenhandschriften komplett in seiner | |
Prager Wohnung zurückließ, als er im Herbst 1942 nach Theresienstadt | |
deportiert wurde. Sein Besitz wurde beschlagnahmt und versteigert, die | |
Noten landeten auf dem Müll. Nur was Ullmann in Theresienstadt schrieb, | |
rettete ein Freund. Darunter die Oper „Der Kaiser von Atlantis“, neben | |
„Brundibar“ das bekannteste Werk dieser Generation. | |
## Naziopferstatus als Vermarktungsaspekt | |
Weil aber von Ullmanns Leben vor dem KZ kaum eine Spur blieb – so gründlich | |
vernichtet wurde seine Existenz –, gilt er seitdem als Komponist aus | |
Theresienstadt. Unter dem Titel „Composers from Theresienstadt“ erschienen | |
auch CDs mit Kompositionen von Gideon Klein und Pavel Haas, dem | |
bedeutendsten Schüler von Leos Janácek. Das KZ als Künstlerkolonie, sein | |
Name als Sammelbegriff für eine Komponistenschule. Auf dem CD-Cover sind | |
Zeichnungen armseliger Musikanten und ausgemergelter Zuhörer zu sehen. Ein | |
anderes CD-Begleitheft enthält ein Grußwort des damaligen Bundespräsidenten | |
von Weizsäcker anläßlich eines Konzertes der Tschechischen Philharmonie | |
1994: „Selbst an einem Ort wie dem Konzentrationslager Theresienstadt gab | |
es ein Orchester. In ihm spielten die später ermordeten Komponisten Victor | |
Ullman, Pavel Haas, Gideon Klein und Erwin Schulhoff. Uns, den Überlebenden | |
und Nachgeborenen, hilft diese Musik bei dem Versuch, zu verstehen, was | |
geschehen ist.“ | |
So bleibt das KZ, in das die so jung ermordeten Prager Komponisten ohne | |
Schuld gerieten, nicht nur an ihren Biographien, sondern auch an ihrer | |
Musik haften, als deren geistige Heimat wie selbstverständlich immer noch | |
Theresienstadt gilt. Selbst noch bei der verdienstvollen Decca-Reihe, die | |
unter dem Titel „Entartete Musik“ seit einigen Jahren Neueinspielungen von | |
Werken verfemter und vergessener Komponisten herausbringt, ist der | |
Naziopferstatus der Komponisten ein entscheidender Vermarktungsaspekt. Und | |
so bleibt die Frage, ob der Motor der wiedererwachten Interessen an diesen | |
Komponisten nicht in Wahrheit eine ausufernde Gedächtniskultur ist, die | |
immer neue Objekte der Kontemplation und Geisterbeschwörung benötigt. | |
Krása, Ullmann, Haas, Klein und Schulhoff, das waren keine musizierenden | |
Ghettobewohner, die versuchten, mit ihrer Musik innere Kraft zu beziehen, | |
„das unsagbare Schicksal zu ertragen, das ihnen aufgebürdet worden ist“. | |
Das waren Musiker und Komponisten, die wohl international Karriere gemacht | |
hätten und die in dem KZ, dessen Name immer noch wie eine Eigenschaft an | |
ihnen klebt, nicht nur um ihr Leben, sondern auch um ihr Werk betrogen | |
wurden. Hans Krása: „Brundibar. The Terezin Music Anthology“ (Koch/Int. | |
Classics 1996); dt. Fassung: „Brundibar. Komponisten aus Theresienstadt“ | |
(Helikon/Chanel CCS 5193) „Verlobung im Traum“ (DSO, L. Zagrosek. Decca 455 | |
587-2) Musik von Schulhoff, Haas, Klein, Ullmann: „Musica Rediviva“ | |
(Tschech. Philharmonie, G. Albrecht. Orfeo 1994, 141A) Victor Ullmann: „Der | |
Kaiser von Atlantis“ (Gewandhausorchester Leipzig, L. Zagrosek. Decca 440 | |
854-2) | |
10 May 1999 | |
## AUTOREN | |
Esther Slevogt | |
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